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Politisches Buch
Washington und das große Geld

Enthüllungen über das politische Washington bietet "This Town" des Journalisten Mark Leibovich. Der Einfluss des "großen Geldes" auf die Politik, die Kungeleien in den elitären Clubs der Stadt und die Verdummung des politischen Journalismus werden gnadenlos seziert.

Von Gregor Peter Schmitz |
    Der legendäre US-Schriftsteller Truman Capote war ein Liebling der Schönen und Reichen in New York - bis er ein bitterböses Buch über das Treiben dieser Schönen und Reichen verfasste. Fortan galt Capote in feinen Kreisen als unerwünschte Person, er wurde von Einladungslisten gestrichen, schließlich ergab der Autor sich den Drogen und dem Alkohol.
    Mark Leibovich, Politkreporter der New York Times, ist mit der Washingtoner Oberschicht vertraut - Politiker, deren Einflüsterer, Lobbyisten und Top-Meinungsmacher. Auch er hat nun mit "This Town" ein sehr kritisches Buch über deren Treiben vorgelegt, und die Frage, die sich Amerikas Polit-Elite umgehend stellte, lautete: Wird auch Leibovich verstoßen? Schließlich machte der Journalist im TV-Sender ABC keinen Hehl daraus, dass es ihm um Aufklärung für den Rest des Landes geht:
    "Ehrlich gesagt richtet sich dieses Buch an die breite Öffentlichkeit, weil ich glaube, dass viele Bürger noch nicht wirklich mitbekommen haben, wie schlimm es geworden ist - und wie sich die Hauptstadt Washington heute präsentiert, was für ein Karneval dort abläuft. Jemand beschrieb mein Buch als einen Peep-Show-Einblick in diesen Karneval, und ich glaube, es bietet in der Tat Einblicke, wie diese ganze Maschinerie in Washington funktioniert."
    Diese Maschinerie seziert Leibovich mit scharfer Zunge und einem guten Auge für das absurde Detail. Sein Buch beginnt mit der seitenlangen Beschreibung des Begräbnisses eines bekannten amerikanischen TV-Moderators - das die versammelte Washingtoner Elite ungerührt zum Networking nutzt, allen voran das Ehepaar Clinton, aus Sicht des Autors Ehrenvorsitzende des exklusiven "Clubs" in der US-Hauptstadt, dessen Mitglieder Leibovich so beschreibt:
    "Sie sind sicherlich keine schlechten Menschen. Sie kommen in vielen Fällen - vielleicht sogar den meisten - mit guten Absichten nach Washington. Aber je länger sie da sind, wird ihr Idealismus immer schwächer.... und am wichtigsten wird für sie die Mitgliedschaft in dem "Club". Darüber definieren sie sich... Sie wollen Teil sein der "People who Run Your Country"."
    Leibovich gibt selbst bereitwillig zu, indirekt Teil dieses Clubs zu sein, da ihm als Journalisten Eitelkeit, Intrige und Klatsch keineswegs fremd seien. Doch sein Buch speist sich aus ehrlicher Empörung, vor allem über zwei Entwicklungen: Die erste ist der Einfluss von “Big Money” auf die Politik:
    "Geld hat Washington im vergangenen Jahrzehnt am meisten verändert. Washington ist nun die wohlhabendste städtische Gegend in den gesamten Vereinigten Staaten - und Geld hat einen größeren Einfluss auf Politik als jemals zuvor...Leute kamen nach Washington, um die Welt ein wenig besser zu machen, und das erleben wir auch immer noch. Aber zunehmend ist es eine Stadt geworden, in die Leute kommen, um reich zu werden."
    Der Buchautor liefert faszinierende Belege für die enge Verknüpfung von Politik und Wirtschaft, jener "revolving door", die zwar für belebenden Austausch zwischen den Branchen sorgt - aber auch die Grenze zur Korruption verwischt:
    "Das Center for Responsive Politics listet 412 ehemalige Mitglieder des Kongresses auf, die sich ihren Einfluss nun teuer bezahlen lassen. 305 von ihnen sind offiziell als “Lobbyisten” registriert. Hunderte weitere nennen sich schlicht “Berater” und kassieren oft sechs- bis siebenstellige Jahresgehälter."
    Den Rest seines Zorns reserviert der Autor, seit Jahren einer der wichtigsten politischen Berichterstatter des Landes, für seine Kollegen - mit einem Artikel über die atemlose Politikberichterstattung neuer US-Onlinemedien hatte Leibovich seine Buch-Recherche begonnen. Er schildert nun ausführlich, wie Kongressabgeordnete und das Weiße Haus Journalisten mit ungehemmtem Spin für dumm verkaufen wollen - und damit durchaus Erfolg haben. Denn die Berichterstatter im schnelllebigen Internet-Zeitalter würden oft genug den Verstand ausschalten:
    "Offenbar kann mittlerweile jeder ohne Warzen im Gesicht sich Experte nennen und im Fernsehen auftreten. Oder einen Email- Newsletter starten, einen Blog, eine Facebook-Seite, oder eine Twitter-Gruppe.... die Berichterstatter hier sind getrieben von einfachen Fragen: Wer gewinnt, wer verliert, wer hat einen Fehler gemacht? Das wird alles noch schlimmer durch die Hektik, nervöse Vorgesetzte, immer kürzere Aufmerksamkeits-Spannen der Leser, und den Umstand, dass sie für Leute schreiben, die wie sie totale Insider sind oder es sein wollen."
    Jeder "Rülpser" der vermeintlich Allmächtigen werde so in Washington mittlerweile zu "breaking news", kritisiert Leibovich. Wie es dazu kommen konnte, beschreibt er geschickt distanziert, beinahe wie ein Auslandskorrespondent in der eigenen Hauptstadt - so wurde sein Buch auch zum Bestseller außerhalb Washingtons.
    Die lokale politische Elite allerdings hat das Buch zwar verschlungen - doch den Autoren keineswegs verstoßen, sondern ihm Buchpartys ausgerichtet, und sich so wieder selbst gefeiert. Leibovich ergeht es also besser als Capote. Aber ob er sich darüber wirklich freuen kann?