Freitag, 19. April 2024

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Politisierung des kulturellen Erbes
"Jede Gesellschaft braucht eine Erinnerung"

Ein Weltkulturerbe gilt als besonders schützenswert. Doch mitunter, wie in Palmyra, werde Kulturerbe von einer fundamentalistischen Bewegung missbraucht, um eine Vorstellung von einer reinen Vergangenheit zu schaffen, sagte die Kunsthistorikerin Monica Juneja im DLF.

Monica Juneja im Gespräch mit Karin Fischer | 11.10.2016
    Ruinen der zerstörten Stadt Palmyra in Syrien.
    Ein Beispiel für den Missbrauch von kulturellem Erbe: die Ruinen der zerstörten Stadt Palmyra in Syrien. (dpa / picture alliance / Mikhail Voskresenskiy)
    Karin Fischer: Wenn etwas Weltkulturerbe ist, dann betrachten wir das als besonders schützenswerten Kulturschatz der Menschheit. Es wird bewahrt, es wird touristisch vermarktet und es gehört mit Hilfe global vernetzter Medien damit irgendwie auch der ganzen Welt. Gleichzeitig haben Objekte ja eine Geschichte, sie verkörpern lokale Traditionen, sie gehören Völkern oder Nationen an, die ihre eigene Narrative damit verbinden. Und diese Objekte können auch zum Feindbild werden, etwa eines radikalen Islams, der die kulturellen Traditionen eines Landes negiert, indem er alte Kunstwerke zerstört.
    "Making, Sustaining, Breaking - The Politics Of Heritage And Culture" heißt eine Tagung an der Universität Heidelberg, die sich ab morgen mit diesem Geflecht von auch politischen Zuschreibungen rund ums kulturelle Erbe befasst. Mit der Leiterin der Tagung, Monica Juneja, habe ich vor der Sendung gesprochen und sie gebeten zu erzählen, worum es dabei geht.
    Zerstörung des antiken Palmyra
    Monica Juneja: Man kann eigentlich ein beliebiges Objekt nehmen und fragen, wie dieses Objekt als Palimpsest von Geschichte fungiert. Es entsteht in einem Kontext, der vielleicht lokal ist, aber auch in Verflechtung mit anderen Regionen steht, und dann im Rahmen der nationalen Identitätsbildung wird das als nationales Kulturerbe gekennzeichnet. Aber die Nationen sind auch so ein transkulturelles Gebilde und entstehen aus kultureller Pluralität, und daher kann es auch so verschiedene Deutungen von einem Objekt geben, was auch sehr viele Schichten in sich trägt, als es sich dann vielleicht über Welträume bewegt hat.
    Vielleicht kann ich ein Objekt nehmen, das heute sehr aktuell ist. Die ganze Welt spricht über das Kulturerbe in Palmyra, diese ganzen antiken Statuen, die eigentlich für eine ganz transkulturelle Geschichte stehen, und die werden heute im Rahmen einer fundamentalistischen Bewegung missbraucht, die darum bemüht ist, eine Vorstellung von reiner Vergangenheit zu schaffen und unterschiedliche Deutungen zu unterschlagen. Und dann kommen ganz viele andere Aspekte ins Spiel, was wir in der Tagung besprechen werden, die Zerstörung von Kulturerbe, welche Rolle spielt Krieg, welche Rolle spielt der illegale Antiquitätenschmuggel. Dieses Verhältnis, dieses Beziehungsgeflecht, diese komplexen Wechselwirkungen wollen wir in dieser Tagung anhand von einer ganzen Reihe von Fallstudien untersuchen.
    Fischer: Wie beurteilen Sie denn vor dem Hintergrund dieses Beziehungsgeflechts die Situation in Palmyra und die Pläne zum Wiederaufbau dieser vom IS zerstörten Ruinenstadt?
    Juneja: Ich glaube, es gibt keine eindeutige Meinung dazu. Die Archäologen unter uns haben eine andere Vorstellung. Die würden meinen, sobald das Original weg ist, hat das Kulturerbe wenig Wert. Es sind auch Kunsthistoriker und Kuratoren, die sich bemühen, anhand von modernen digitalen Technologien praktisch ein Kulturerbe am Leben zu halten, durch Formen der Rekonstruktion. Sie würden meinen, dass dies eine Form der Demokratisierung ist, dass diese Kopien dann praktisch einen Gegenstand für viel mehr Menschen zugänglichen machen. Ich glaube, das sind keine einheitlichen Beurteilungen davon, je nachdem, aus welcher wissenschaftlichen Sicht man die Frage untersucht.
    "Natürlich ist Wissenschaft nicht neutral"
    Fischer: Es geht auch um die Konkurrenz von Erzählungen über die kulturelle Vergangenheit?
    Juneja: Ja genau. Das ist der Gebrauch, den jede Gemeinschaft aus dem Kulturerbe macht, und daraus entstehen dann verschiedene Erzählungen. Und natürlich ist die Wissenschaft auch nicht neutral. In der Wissenschaft sind auch verschiedene Positionen zugrunde liegend, auch wie man Kultur versteht, in welcher Beziehung zur Kultur eine Nation steht. Ist eine Nation ein kulturell homogenes Gebilde, oder ist eine Nation sehr stark durch kulturelle Pluralität entstanden.
    "Zerstörung kann auch zu neuen Sinnstiftungen führen"
    Fischer: Dann muss man aber auch sagen, Frau Juneja, Kulturzerstörung muss nicht immer schlecht sein, sondern ist Teil unserer natürlichen Geschichte, sage ich jetzt mal.
    Juneja: Ich würde das schon als historisches Phänomen betrachten. Da stimme ich Ihnen zu. Und Zerstörung kann auch zu neuen Sinnstiftungen führen. Das ist auch Teil der Geschichte. Andererseits ist es so, jede Gesellschaft braucht eine Erinnerung. Diese Erinnerung ist nicht einheitlich. Und wir brauchen vor allem ein Bewusstsein, wie wird Erinnerung entstehen. Wenn eine Erinnerung privilegiert wird, welche anderen Formen der Erinnerung auch dadurch vielleicht unterschlagen werden. Diese Dynamik, die vielleicht uns auch ermöglicht, mit den großen Herausforderungen der Gegenwart zurecht zu kommen.
    Fischer: Monica Juneja war das vom "Cluster Asia and Europe" der Universität Heidelberg zum historisch-politischen Beziehungsgeflecht rund ums kulturelle Erbe. Über die Jahreskonferenz des Exzellenz-Clusters Asia and Europe berichtet auch die Sendung "Aus Kultur und Sozialwissenschaften" am Donnerstagabend hier um 20:10 Uhr.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.