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Politkunst und Agitprop

Er ist der wohl berühmteste zeitgenössische deutsche Maler, doch das Schicksal hat Jörg Immendorff neben Ruhm auch Krankheit und Skandale geschickt. Im Kunstbetrieb jedoch ist er präsenter denn je, und auch bestimmte Einzelaspekte seines umfangreichen Werks werden schon in Ausstellungen fokussiert. In Karlsruhe zeigt die "Facetten seines Werks"

Von Christian Gampert | 31.07.2006
    Im vergangenen Jahr kaufte die Stadt Karlsruhe Jörg Immendorffs "Café Deutschland IV" von 1978, also eine jener weiträumigen, programmatischen und inzwischen zur Ikone gewordenen Arbeiten, mit denen der Maler die Situation des damals geteilten Landes als dunkle Caféhaus-Szene ins Bild brachte. Zusammen mit anderen Ankäufen, Dauerleihgaben und Schenkungen aus der Sammlung Garnatz hat Karlsruhe nun einen Grundstock wesentlicher Immendorff-Werke, um die herum sich relativ leicht eine Überblicksschau stricken lässt. Die Zeit drängt: Immendorff liegt im Sterben, und die Boulevardisierung seiner Person als skurriler Sex-Maniac, die von der Yellow Press betrieben wird, verstellt den Blick auf sein Werk und auch auf den furchtbaren, langsamen Multiple-Sklerose-Tod, den der kopfabwärts gelähmte Künstler zurzeit mit einer letzten Würde zu erleiden versucht.

    In Karlsruhe sind alle Werkphasen dieses politischen Malers zu sehen, chronologisch-thematisch gehängt und mit gewohnter Gründlichkeit kommentiert von Erika Rödiger-Diruf. Es ist eine Zeitreise zurück in die Geschichte der Bundesrepublik und der deutschen Kunstszene: Immendorff, der bei Teo Otto und Beuys studiert hat, konnte sich - während um ihn herum alles konzeptuell und minimalistisch wurde - vom Gegenständlichen nie losreißen, und gerade die frühen Arbeiten aus den 60er und 70er Jahren, die im Stil eines comic-artig gewendeten sozialistischen Realismus die damalige Polit-Elite karikieren - den Pfeifenraucher Helmut Schmidt, den segelohrigen Außenamts-Chef Genscher als Dauerflieger, den Innenminister Maihofer mit Mafia-Brille und MP –, gerade diese Arbeiten zeigen den Abstand zu heute: Fast naiv mutet es bei Vergleich der Arbeitslosenquoten an, Schmidt in der Bildunterschrift als "Arbeitslosenkanzler" zu bezeichnen; rührend der Zyklus "eine Künstlerfaust ist auch eine Faust" mit Marx-Engels-Lenin-Stalin-Mao-Porträts und Text-Abwandlungen aus der "Deutschen Ideologie".

    Aber der damalige Maoist Immendorff hatte etwas, das in der deutschen Linken eher selten anzutreffen ist: Selbstironie. Seine knallbunten wie aufgeblasene Babypuppen anmutenden Leinwand-Wesen, die in den LIDL-Aktionen für weltweiten Frieden plädierten, scheinen fast ein wenig nachsichtig zu sein mit dem Lauf der Welt. Die Figuren, die im stacheldrahtdurchtrennten "Café Deutschland" sitzen, sind allesamt keine Helden, sondern dubiose Künstlerfiguren, umgeben von Spitzeln und Geheimagenten und wölfischen, schwarzrotgolden geschminkten Gestalten an der Bar.

    Auf verblüffende Weise erinnern die heute an die scheinfröhlichen Fähnchenschwenker während der Fußball-WM; auch die Generation Golf kommt, signetartig, bei Immendorff schon in den 80er Jahren vor. Dass Immendorff zwölf Jahre als Kunsterzieher an einer Hauptschule arbeitete, hat seinen Blick für das Soziale geschärft. Andererseits bastelte er immer auch an einer Art Privatmythologie, die vor allem im Spätwerk lebende und tote Künstlerkollegen als Weltendenker neben ihn selbst ins Café Flore setzt. Aber schon der in den 70er Jahren unternommene Versuch, wenigstens auf der Ebene der Kunst (mit dem Ost-Kollegen Penck) eine deutsch-deutsche Verständigung zu betreiben, war ja nicht frei von Selbststilisierung.

    Allerdings findet Immendorff mit der vielfach variierten Eisscholle eine überzeugende Metapher für den Kalten Krieg - wenngleich es übertrieben scheint, da gleich Caspar David Friedrich als kunsthistorischen Gewährsmann aufzurufen. Die späten, ans Theater angelehnten Arbeiten, vor allem das auf Strawinsky und William Hogarth bezogene "The Rake’s Progress", deklinieren noch einmal das Faust-Thema und die gesellschaftliche Rolle des Künstlers - in handwerklich virtuosen, großformatigen Farblithografien auf Kupferdruckpapier.

    Der Pinsel als Waffe - das hätte der Immendorff der Frühphase gern so gehabt. Abgesehen von der platt sexuellen Konnotation des Begriffs ist es ein Segen, dass die Kunst im Normalfall bei der Welterkundung bleibt. Jörg Immendorff, der mit dem düsteren "Café Deutschland" ein Werk hinterlässt, in dem man immer neue Details, Verweise, Anspielungen und Personen der neueren Zeitgeschichte entdecken kann, muss sich um seinen Nachruhm keine Sorgen machen. Er kann getrost auf einer seiner Holz-Plastiken Platz nehmen, die Bundesadler, DDR-Wachtürme und schwarzrotgoldene Satyr-Figuren in die Form eines Stuhls, eines Sessels zwingen. Bequem ist es dort nicht; aber dort, in Deutschland, war er zu Haus.