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Politologe: Sowohl Regierung als auch Opposition handeln taktisch klug

Birke: Patentrezepte gibt es nicht, viele gute Ideen schon. Vor allem aber einen politischen Streit darüber, wie man denn die Arbeitslosigkeit hierzulande am effektivsten bekämpft. Im Vorfeld der "kleinen Bundestagswahl", wie die Landtagswahl in Nordrhein-Westfahlen auch gelegentlich genannt wird, führen die Oppositionsführer und der Kanzler eine rege Briefkorrespondenz. Die Frage, ob die Öffentlichkeit, die dieser Briefwechsel genießt, nicht der Effizienz etwaiger Gemeinsamkeit und Maßnahmen schadet, hat sicher ihre Berechtigung. Mittlerweile melden sich natürlich auch andere Diskutanten zu Wort, die Arbeitgeber beispielsweise haben heute nochmals die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes angemahnt, was auch immer das heißen mag. Und der Kanzler selbst forderte die Deutschen von seiner Reise aus dem Oman aus auf, mit der Wirtschaftskraft Deutschlands selbstbewusster umzugehen. Herr Professor Kleinsteuber, Sie sind ja Kommunikationswissenschaftler und auch Politologe. Das Briefgeheimnis beim Spitzendialog wurde - ich unterstelle das jetzt einfach mal - bewusst verletzt: Wird hier eine der Sache wenig dienliche politische Profilneurose auf beiden Seiten, also bei Regierung und Opposition, genährt?

Moderation: Burkhard Birke |
    Kleinsteuber: Ja, das denke ich schon. Sie haben Recht, der Brief ist eigentlich ein individuelles und privates Kommunikationsmittel, entsprechend auch davor geschützt, öffentlich gemacht zu werden. Hier wird nun ein offener Brief quasi zum Stilmittel der politischen Kommunikation. Das ist ungewöhnlich, scheint mir aber als taktischer Schritt seitens der CDU/CSU zu diesem Zeitpunkt durchaus sinnvoll eingesetzt.

    Birke: Wäre es denn nicht viel effizienter, zum Telefon zu greifen, selbst wenn man im Oman oder sonst wo weilt, und sich dann bei einem Treffen im Hinterzimmer über Maßnahmen im Sinne der "Deutschland AG" zu einigen?

    Kleinsteuber: Natürlich wäre das sinnvoller. Vielleicht sollte man im Stil der neuen Zeit sogar eine E-Mail schicken. Ganz klar richtet sich diese Aktion primär an die Öffentlichkeit, die irritiert ist wegen der schlechten Arbeitsmarktdaten. Sie richtet sich ja auch gegen eine Bundesregierung, die politisch angeschlagen ist in diesen Wochen, und von daher liegt es nur nahe, dass man eben eine öffentlichkeitswirksame Maßnahme bei der CDU/CSU geplant hat und nicht ein internes Gespräch erbeten hat.

    Birke: Ich möchte mal ein bisschen aus dem Brief, den der Kanzler Schröder, auf die Oppositionsführer-Ausführungen geantwortet hat, zitieren: "In Ihrem Brief schreiben Sie," so Schröder an Merkel und Stoiber, "jede Haltung des "Weiter-so", jede Fortsetzung des üblichen Tagesgeschäfts verbiete sich. Das gilt auch für den Stil der politischen Kommunikation." Herr Kleinsteuber, ist denn der Briefwechsel nicht lediglich die gleiche Art des Kommunikationsstils mit anderen Mitteln?

    Kleinsteuber: Ja, das sehe ich auch so. Also, was in den Briefen von den verschiedenen Seiten deutlich wird, ist ja, dass Spitzenpolitiker sagen, die Bevölkerung hat Recht, das Parteiengezänk muss aufhören. Auf der anderen Seite bieten sie sich sozusagen als Advokaten der öffentlichen Meinung und der Wähler an, gegen die politische Klasse und gegen die Untätigkeit der politischen Klasse, und das ist natürlich der ganze Widerspruch dabei. Und ich kann eigentlich den Kanzler auch gut verstehen, wenn er einen solchen Briefvorstoß, der durchsichtig ist, taktierend durchsichtig ist, wenn er den in genau derselben Form sozusagen abfängt und gegen die eigentlichen Angreifer wendet. Das ist wahrscheinlich seitens des Kanzlers notwendig und taktisch auch klug angelegt.

    Birke: Herr Kleinsteuber, schauen wir uns mal die Angreifer an, Merkel und Stoiber: Überrascht Sie die neuartige Einigkeit der beiden Politiker, die sich bislang gerne behakelt haben?

    Kleinsteuber: Nein, das überrascht mich nicht. Im Gegenteil, um nach innen Einigkeit zu erzeugen, wenn man unterschiedlicher Meinung ist, braucht man ein gemeinsames Außen-, Feindbild, und dafür bietet sich im Moment die Bundesregierung an. Und es ist ja nicht zufällig, dass die Rangeleien innerhalb der CDU/CSU jetzt aufgehört haben und dass man gemeinsam und - wie ich finde - auch halbwegs erfolgreich die Bundesregierung vorführen kann.

    Birke: Wäre es nicht erfolgreicher, eine Totalblockade etwa über den Bundesrat zu betreiben, so wie das Oskar Lafontaine seinerzeit in der Endphase der Regierung Kohl tat?

    Kleinsteuber: Ich denke, politische Kommunikation folgt anderen Regeln: Es gibt einerseits diese Blockade, denken Sie an Themen wie Eigenheimzulage, Pflegeversicherung und Ähnliches mehr, auf der anderen Seite wird die CDU das öffentlich immer abstreiten, weil sie natürlich das Ganze im Blickfeld hat, und genau deswegen tritt sie ja mit solchen öffentlichen Briefen an die Bevölkerung heran und versucht damit das Staatstragende, das Gemeinsame zu betonen. Zum Teil macht sie faktisch das Gegenteil im Bundesrat.

    Birke: Blicken wir jetzt mal auf die Angegriffenen, also auf die Koalitionsreihen, Rot-Grün. Müntefering hat anders reagiert als Schröder. Müntefering sagte direkt, Unionsvorschläge in der Sache seien Placebo, in Sachen Arbeitnehmerrechte Torpedo. Der Kanzler indes hat auf den Brief geantwortet, sich gesprächsbereit erklärt. Findet hier ein Rollenspiel statt?

    Kleinsteuber: Einerseits ein Rollenspiel, andererseits denke ich, gibt es ein Kommunikationsschwierigkeiten, weil sich der Kanzler ja derzeit in der "Wüste" aufhält und man sich vielleicht auch nicht absprechen konnte. Gleichwohl ist es klar, Müntefering und Stiegler sind sozusagen auf Vorposten und müssen ständig die Opposition attackieren, der Kanzler muss das Gesamte repräsentieren und der Kanzler sagt ja auch richtig, "ich bin gegenüber jedem gesprächsbereit, allerdings müssen die Konditionen stimmen", in diesem Fall sagte er schon direkt, also "meine Themen müssen dann eben auch besprochen werden" - eben die Blockade im Bundesrat.

    Birke: Herr Kleinsteuber, ist Ihrer Meinung nach das Koalitionslager nach einer Zeit relativer Geschlossenheit wieder zur Kakophonie, zum Prozess der Selbstzerfleischung zurückgekehrt? Ich will nur Unternehmenssteuer, Clement, Eichel und Schily erwähnen, der ja die Rücknahme des Antidiskriminierungsgesetzes gefordert hat.

    Kleinsteuber: Ich würde es zweistufig interpretieren. Zuerst einmal ist die Bundesregierung derzeit unter erheblichem Beschuss, einerseits wegen der gescheiterten Arbeitsmarktpolitik mit 5,2 Millionen Arbeitslosen, dann hat sie die Visa-Affäre am Hals, dann hat sie ein schwaches Ergebnis in Schleswig-Holstein eingeholt, wo ja Rot-Grün wirklich auf des Messers Schneide stand, und das animiert die Gegenseite zu massiven Angriffen und die werden im Moment und ja auch mit gutem Erfolg vorgetragen. Diese Angriffe führen eben dazu, dass innerhalb der Bundesregierung, ja, die Besorgnis steigt, dass es zu einer Kabinettsumbildung, zu einer rituellen Reinigung der Regierung kommt, und natürlich will niemand sein Ministeramt aufgeben und also treten die Minister um des eigenen Schutzes willen auch mal gegeneinander an.

    Birke: Ganz kurz zum Schluss noch, wenn Sie mal von der Rolle des Analysten in die des Beraters schlüpfen, was würden sie den Politikern raten in dieser Situation?

    Kleinsteuber: Es kommt darauf an, welchen Politiker auf welcher Seite ich beraten würde. Ich denke, der Vorstoß der CDU/CSU war klug in dieser Situation, er kommt nicht zufällig jetzt und nicht zwei Monate früher zum Beispiel. Ich denke auch, dass der Kanzler richtig reagiert hat, indem er sozusagen wie bei einem Angriff beim Judo die Energie des Angreifers umwendet und versucht damit einen Gegenschlag auszuüben. Und ich würde sagen, beide Seiten machen das, was in dieser Situation richtig ist. Ich glaube, es wird wie das Hornberger Schießen ausgehen und insofern stimme ich Herrn Brüderle zu, dass auch in den letzten Jahren die gemeinsamen Aktivitäten wie Bündnis für Arbeit oder Föderalismuskommission auch gescheitert sind, und ich glaube, auch diese Geschichte wird in wenigen Monaten vergessen sein.