Bettina Klein: Kurt Beck verlässt die Geschäftsgrundlage der Koalition. Das Bündnis verändert sich, wenn einer der beiden Partner die bisherige Politik korrigiert und diskreditiert. - Deutliche Worte heute von Norbert Röttgen, dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion, die deutlichsten bisher von dieser Seite an die Adresse der SPD, in der die überwiegende Mehrheit für den Vorschlag des Parteichefs ist, das Arbeitslosengeld I nun doch wieder länger als in der Regel ein Jahr zu zahlen. Inzwischen haben sich auch die designierten Vizeparteivorsitzenden Steinbrück und Steinmeier zu Wort gemeldet, allerdings eher verhalten. (
MP3-Audio
, Bericht von Frank Capellan)
Am Telefon begrüße ich jetzt Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle. Ich grüße Sie, Herr Holtmann!
Everhard Holtmann: Schönen guten Tag, Frau Klein!
Klein: "Show down" beim Parteitag, Fragezeichen Aus dem Arbeitsministerium werden verstärkt Signale ausgesendet, Müntefering bleibt, er steht das durch, diesen Machtkampf. Nur Zweckoptimismus, oder kann der Vizekanzler unbeschadet aus der Kontroverse hervorgehen?
Holtmann: Das hängt sicherlich davon ab, wie der Parteitag letztendlich entscheiden wird, und die Tatsache, dass sich offenbar viele, auch prominente Sozialdemokraten, die an sich mit einer Kurskorrektur der Agenda 2010, wie sie jetzt Kurt Beck anstrebt, offenbar nicht einverstanden sind, in der Öffentlichkeit mit kritischen Anmerkungen zurückhalten, lässt sich wohl nur aus einer Art selbst verordneter Parteiräson erklären. Dahingehend nämlich: Man weiß, dass eine Partei, die in der Öffentlichkeit als nicht geschlossen, als zerstritten wahrgenommen wird, ihre Wahlchancen in der deutschen politischen Landschaft generell mindert. Und man will natürlich auch nicht in den Ruch geraten, an der Demontage des Parteivorsitzenden mitzuwirken. Aber das ändert nichts daran, dass der Streit, der durch die Personen Kurt Beck und Franz Müntefering verkörpert wird, in der Sache einen veritablen Richtungsstreit präsentiert.
Klein: Die Kabinettskollegen Steinmeier und Steinbrück, wir haben es gerade gehört, bei denen man unterstellt hat, sie würden inhaltlich bei Müntefering sein, stellen sich nur relativ vage hinter ihn, öffentlich zumindest. Sie wollen beim Parteitag zu Stellvertretern gewählt werden. Ist es die Rücksicht darauf, die sie jetzt so zurückhaltend agieren lässt?
Holtmann: Sicherlich werden hier die genannten auch sehr wohl überlegen, ihre eigenen auch ja legitimen Wahlchancen oder Wiederwahlchancen mit dem geschlossenen Bild der Partei gegeneinander abzuwägen. Und sie mögen auch darauf hoffen, dass vielleicht die Partei in der Mehrheit beim Parteitag die Position von Franz Müntefering nicht so weit desavouiert, dass ihm letztendlich möglicherweise nichts anderes übrig bleibt, als den Kram hinzuschmeißen. Dann hätten wir allerdings eine veritable Koalitionskrise. Generell ist es, denke ich, ein Problem der SPD, wenn sie ihre langfristigen Festlegungen, es handelt sich ja immerhin auch um programmatische Weichenstellungen, wenn sie die in dieser Weise von kurzfristigen Korrekturversuchen negativer tagespolitischer Stimmungen abhängig macht. Ich denke, das wird auch von nicht wenigen prominenten Sozialdemokraten, die sich jetzt noch bedeckt halten, so gesehen.
Klein: Welche Folgen befürchten Sie?
Holtmann: Man mag auf der einen Seite darauf hoffen, aus Sicht des Beck-Lagers, dass die derzeit in den Umfragedaten messbare wachsende gefühlte Gerechtigkeitslücke, deren Nutznießer ja zumindest demoskopisch die Linkspartei ist, dass man die gewissermaßen wieder zurückdämmen kann und sich selbst als SPD auch in dem Kompetenzbereich soziale Gerechtigkeit wieder neu profilieren kann. Die SPD wird ja trotz insgesamt relativ schlechter Umfragedaten nach wie vor mit einer Kompetenzführerschaft bei der sozialen Gerechtigkeit ausgestattet, ungefähr viermal so häufig wie die Linkspartei. Aber es sind immerhin noch zehn Prozent, die das der Linkspartei zubilligen. Indem man neben der Korrektur der Agenda-2010-Politik ja beispielsweise auch in den Mindestlöhnen versucht, stärker Flagge zu zeigen, versucht man offensichtlich auch diese weiterhin skeptische Grundstimmung gegenüber der Partei aufzufangen. Aber ich denke, das sollte man nicht mit einer programmatisch klaren und konsequenten programmatischen Festlegung verwechseln.
Klein: Lassen Sie uns kurz dabei bleiben: Kann die SPD Wähler zurückholen, die sie an die Linkspartei tatsächlich verloren hat, oder begibt sie sich damit in einen Wettbewerb, den sie gar nicht gewinnen kann?
Holtmann: Das ist eine offene Frage, die im Grunde genommen erst dann empirisch nachweisbar zu Tage tritt, wenn zu Anfang des nächsten Jahres bei den ja durchaus wichtigen Landtagswahlen in den großen Flächenstaaten dann die Wählerstimmen gewissermaßen neu gemischt und neu verteilt werden. Ich denke, dass es ein Vabanque-Spiel, riskantes Spiel ist, denn die Linkspartei ist im Zweifelsfall mit noch sehr viel weitergehenden Forderungen auf dem Feld von Hartz IV und der Agenda-Politik präsent. Sie hat ja seit langem die Forderungen erhoben, man müsse Hartz IV zurückdrehen, und die SPD könnte, selbst wenn sie hier ein wenig in der Richtung der selben Stellschrauben dreht, durchaus trotzdem ein Glaubwürdigkeitsproblem haben. Man darf ja auch nicht vergessen, die Agenda 2010 ist seinerzeit in derselben Partei ja mit sehr, sehr viel internen Spannungen, Konflikten und Mühen auch akzeptiert worden. Man hat damals häufig gesagt, wir müssen unpopuläre Politik machen, um der Sache Willen und um den Zielgruppen der Arbeitslosen auch langfristig Perspektiven zu geben. Man darf jetzt eigentlich nicht den Eindruck erwecken, dass das alles alter Schnee von gestern ist.
Klein: Herr Holtmann, lassen Sie uns einen Blick auf die Union werfen. Von dort ist heute zu hören, vehementer als bisher, man sei schwer besorgt. Der Koalitionspartner reagiere vor allen Dingen egoistisch - gemeint ist die SPD natürlich -, sei nicht mehr zuverlässig. Ist das aus Ihrer Sicht vor allen Dingen eine Strategie, von der eigenen Uneinigkeit in dieser Frage abzulenken, oder steuert die Koalition tatsächlich auf eine Krise zu?
Holtmann: Die Union ist ja in einer vergleichsweise komfortablen Position nicht nur aufgrund der derzeit sehr guten Umfragewerte für die Kanzlerin und nicht nur deshalb, weil sie in fast allen wichtigen Politikfeldern die SPD in der Kompetenzführerschaft klar hinter sich lässt: bei Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Haushaltspolitik, auch Zukunftsfragen. Da kann man sich gewissermaßen scheinbar besorgt um den Koalitionspartner erklären. Auf der anderen Seite, ich denke nicht, dass die Koalition bisher tatsächlich gefährdet ist, denn es gäbe ja ansonsten nur als Alternative im derzeitigen Bundestag neue Dreierbündnisse ohne Einbeziehung der Linkspartei, und hierfür sehe ich derzeit keine ernsthafte Alternative. Es könnte allerdings zu einer neuen Situation kommen, falls Franz Müntefering doch den Eindruck hat und die Schlussfolgerung zieht, sich selbst aus der Regierung zurückzuziehen. Dann fehlt der SPD ein wichtiger Flügelmann, und dann könnte sich auch die Koalitionsfrage durchaus ernsthaft neu stellen.
Klein: Professor Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle. Danke Ihnen für diese Einschätzungen, Herr Holtmann.
Holtmann: Bitte sehr.
Am Telefon begrüße ich jetzt Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle. Ich grüße Sie, Herr Holtmann!
Everhard Holtmann: Schönen guten Tag, Frau Klein!
Klein: "Show down" beim Parteitag, Fragezeichen Aus dem Arbeitsministerium werden verstärkt Signale ausgesendet, Müntefering bleibt, er steht das durch, diesen Machtkampf. Nur Zweckoptimismus, oder kann der Vizekanzler unbeschadet aus der Kontroverse hervorgehen?
Holtmann: Das hängt sicherlich davon ab, wie der Parteitag letztendlich entscheiden wird, und die Tatsache, dass sich offenbar viele, auch prominente Sozialdemokraten, die an sich mit einer Kurskorrektur der Agenda 2010, wie sie jetzt Kurt Beck anstrebt, offenbar nicht einverstanden sind, in der Öffentlichkeit mit kritischen Anmerkungen zurückhalten, lässt sich wohl nur aus einer Art selbst verordneter Parteiräson erklären. Dahingehend nämlich: Man weiß, dass eine Partei, die in der Öffentlichkeit als nicht geschlossen, als zerstritten wahrgenommen wird, ihre Wahlchancen in der deutschen politischen Landschaft generell mindert. Und man will natürlich auch nicht in den Ruch geraten, an der Demontage des Parteivorsitzenden mitzuwirken. Aber das ändert nichts daran, dass der Streit, der durch die Personen Kurt Beck und Franz Müntefering verkörpert wird, in der Sache einen veritablen Richtungsstreit präsentiert.
Klein: Die Kabinettskollegen Steinmeier und Steinbrück, wir haben es gerade gehört, bei denen man unterstellt hat, sie würden inhaltlich bei Müntefering sein, stellen sich nur relativ vage hinter ihn, öffentlich zumindest. Sie wollen beim Parteitag zu Stellvertretern gewählt werden. Ist es die Rücksicht darauf, die sie jetzt so zurückhaltend agieren lässt?
Holtmann: Sicherlich werden hier die genannten auch sehr wohl überlegen, ihre eigenen auch ja legitimen Wahlchancen oder Wiederwahlchancen mit dem geschlossenen Bild der Partei gegeneinander abzuwägen. Und sie mögen auch darauf hoffen, dass vielleicht die Partei in der Mehrheit beim Parteitag die Position von Franz Müntefering nicht so weit desavouiert, dass ihm letztendlich möglicherweise nichts anderes übrig bleibt, als den Kram hinzuschmeißen. Dann hätten wir allerdings eine veritable Koalitionskrise. Generell ist es, denke ich, ein Problem der SPD, wenn sie ihre langfristigen Festlegungen, es handelt sich ja immerhin auch um programmatische Weichenstellungen, wenn sie die in dieser Weise von kurzfristigen Korrekturversuchen negativer tagespolitischer Stimmungen abhängig macht. Ich denke, das wird auch von nicht wenigen prominenten Sozialdemokraten, die sich jetzt noch bedeckt halten, so gesehen.
Klein: Welche Folgen befürchten Sie?
Holtmann: Man mag auf der einen Seite darauf hoffen, aus Sicht des Beck-Lagers, dass die derzeit in den Umfragedaten messbare wachsende gefühlte Gerechtigkeitslücke, deren Nutznießer ja zumindest demoskopisch die Linkspartei ist, dass man die gewissermaßen wieder zurückdämmen kann und sich selbst als SPD auch in dem Kompetenzbereich soziale Gerechtigkeit wieder neu profilieren kann. Die SPD wird ja trotz insgesamt relativ schlechter Umfragedaten nach wie vor mit einer Kompetenzführerschaft bei der sozialen Gerechtigkeit ausgestattet, ungefähr viermal so häufig wie die Linkspartei. Aber es sind immerhin noch zehn Prozent, die das der Linkspartei zubilligen. Indem man neben der Korrektur der Agenda-2010-Politik ja beispielsweise auch in den Mindestlöhnen versucht, stärker Flagge zu zeigen, versucht man offensichtlich auch diese weiterhin skeptische Grundstimmung gegenüber der Partei aufzufangen. Aber ich denke, das sollte man nicht mit einer programmatisch klaren und konsequenten programmatischen Festlegung verwechseln.
Klein: Lassen Sie uns kurz dabei bleiben: Kann die SPD Wähler zurückholen, die sie an die Linkspartei tatsächlich verloren hat, oder begibt sie sich damit in einen Wettbewerb, den sie gar nicht gewinnen kann?
Holtmann: Das ist eine offene Frage, die im Grunde genommen erst dann empirisch nachweisbar zu Tage tritt, wenn zu Anfang des nächsten Jahres bei den ja durchaus wichtigen Landtagswahlen in den großen Flächenstaaten dann die Wählerstimmen gewissermaßen neu gemischt und neu verteilt werden. Ich denke, dass es ein Vabanque-Spiel, riskantes Spiel ist, denn die Linkspartei ist im Zweifelsfall mit noch sehr viel weitergehenden Forderungen auf dem Feld von Hartz IV und der Agenda-Politik präsent. Sie hat ja seit langem die Forderungen erhoben, man müsse Hartz IV zurückdrehen, und die SPD könnte, selbst wenn sie hier ein wenig in der Richtung der selben Stellschrauben dreht, durchaus trotzdem ein Glaubwürdigkeitsproblem haben. Man darf ja auch nicht vergessen, die Agenda 2010 ist seinerzeit in derselben Partei ja mit sehr, sehr viel internen Spannungen, Konflikten und Mühen auch akzeptiert worden. Man hat damals häufig gesagt, wir müssen unpopuläre Politik machen, um der Sache Willen und um den Zielgruppen der Arbeitslosen auch langfristig Perspektiven zu geben. Man darf jetzt eigentlich nicht den Eindruck erwecken, dass das alles alter Schnee von gestern ist.
Klein: Herr Holtmann, lassen Sie uns einen Blick auf die Union werfen. Von dort ist heute zu hören, vehementer als bisher, man sei schwer besorgt. Der Koalitionspartner reagiere vor allen Dingen egoistisch - gemeint ist die SPD natürlich -, sei nicht mehr zuverlässig. Ist das aus Ihrer Sicht vor allen Dingen eine Strategie, von der eigenen Uneinigkeit in dieser Frage abzulenken, oder steuert die Koalition tatsächlich auf eine Krise zu?
Holtmann: Die Union ist ja in einer vergleichsweise komfortablen Position nicht nur aufgrund der derzeit sehr guten Umfragewerte für die Kanzlerin und nicht nur deshalb, weil sie in fast allen wichtigen Politikfeldern die SPD in der Kompetenzführerschaft klar hinter sich lässt: bei Wirtschaftspolitik, Arbeitsmarktpolitik, Haushaltspolitik, auch Zukunftsfragen. Da kann man sich gewissermaßen scheinbar besorgt um den Koalitionspartner erklären. Auf der anderen Seite, ich denke nicht, dass die Koalition bisher tatsächlich gefährdet ist, denn es gäbe ja ansonsten nur als Alternative im derzeitigen Bundestag neue Dreierbündnisse ohne Einbeziehung der Linkspartei, und hierfür sehe ich derzeit keine ernsthafte Alternative. Es könnte allerdings zu einer neuen Situation kommen, falls Franz Müntefering doch den Eindruck hat und die Schlussfolgerung zieht, sich selbst aus der Regierung zurückzuziehen. Dann fehlt der SPD ein wichtiger Flügelmann, und dann könnte sich auch die Koalitionsfrage durchaus ernsthaft neu stellen.
Klein: Professor Everhard Holtmann, Politikwissenschaftler an der Universität Halle. Danke Ihnen für diese Einschätzungen, Herr Holtmann.
Holtmann: Bitte sehr.