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Statistik
Polizei erfasst Rekordwert an politisch motivierten Straftaten

Die deutschen Sicherheitsbehörden haben im vergangenen Jahr erstmals mehr als 60.000 politisch motivierte Straftaten registriert. Vor allem der Nahost-Konflikt und die Themen "Klima und Umweltschutz" führten zu einem erneuten Anstieg der Fallzahlen, wie aus der in Berlin von Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichten Statistik hervorgeht.

    Bundesinnenministerin Faeser und der Präsident des BKA, Münch, stehen vor einem blauen Hintergrund nebeneinander und präsentieren eine Studie.
    Bundesinnenministerin Faeser und der Präsident des BKA, Münch, stellen eine Studie über politisch motivierte Straftaten vor. (AFP / TOBIAS SCHWARZ)
    Demnach erreichte die Zahl der polizeibekannten politisch motivierten Straftaten im vergangenen Jahr mit insgesamt 60.028 Delikten den höchsten Stand seit der Einführung der Statistik 2001. BKA-Präsident Münch erklärte, "die politisch motivierte Kriminalität hat sich innerhalb von zehn Jahren fast verdoppelt und nimmt weiter zu." In Teilen der Bevölkerung bestünden Radikalisierungstendenzen bis hin zur versuchten Delegitimierung des Staates und seines Gewaltmonopols. "Diese Entwicklung müssen wir sehr ernst nehmen, denn sie bedroht unsere Demokratie und unseren gesellschaftlichen Frieden", so Münch.
    Mit knapp 29.000 Taten wurden dabei erneut am meisten rechtsextremistisch motivierte Fälle gezählt. Im Vergleich zu 2022 ist das eine Zunahme von rund 23 Prozent. Besonders hoch war der Anstieg der politisch motivierten Straftaten im Zusammenhang mit dem Nahost-Konflikt: von 61 Delikten stieg die Zahl auf fast 4.400. Davon gelte knapp die Hälfte als antisemitisch, die meisten davon wurden nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober begangen. Auch die Zahlen der linksextremistisch sowie der religiös motivierten Straftaten stiegen.

    Faeser: Rechtsstaat darf Gewalt nicht hinnehmen

    Bundesinnenministerin Faeser (SPD) sagte, "wir müssen unmissverständlich zeigen, dass der Rechtsstaat diese Gewalt nicht hinnimmt." Es gelte nun, "die Menschen in unserem Land zu schützen, die Rassismus, Judenhass, islamistische Gewalt, Rechtsextremismus und Linksextremismus durch Anfeindungen und Bedrohungen erleben müssen".

    GdP verlangt Stärkung von Polizei und Justiz

    Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt mit Blick auf die Zunahme politisch motivierter Straftaten eine erhebliche personelle Stärkung von Sicherheitsbehörden und Justiz. "Wir erleben immer mehr, dass völlig unterschiedliche politische Gruppen Gewalt zu einem legitimen Mittel der politischen Auseinandersetzung erklären, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Ziele geht", sagte der GdP-Bundesvorsitzende Kopelke der Deutschen Presse-Agentur.
    Kopelke drang unter anderem auf die konsequente Entwaffnung von Extremisten, eine bessere digitale Vernetzung der Polizeien, eine gut funktionierende Verfolgung von Hass und Hetze in Online-Medien, eine schnell arbeitende Justiz und mehr politische Bildung. "Mit den richtigen Rahmenbedingungen und Instrumentarien muss uns um unsere Demokratie nicht bange sein. Aber der Staat muss seine Verpflichtung, die Demokratie zu schützen, endlich ernst nehmen."
    Die Entwicklung in den einzelnen Bereichen:

    Propaganda, Sachbeschädigungen, Beleidigungen

    Den größten Anteil der Straftaten mit einem Drittel machten dem BKA zufolge Propagandadelikte aus, also zum Beispiel das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Das können etwa Abzeichen wie der SS-Totenkopf sein oder Parolen. Auf Platz zwei folgten Sachbeschädigungen vor Beleidigungen und Volksverhetzungen. Danach kommen Nötigungen und Bedrohungen sowie Verstöße gegen das Versammlungsrecht.

    Tatort Internet

    Erheblich angestiegen ist die Zahl der im oder mit Hilfe des Internets begangenen politisch motivierten Straftaten auf 15.488 - eine Zunahme um gut 60 Prozent. Eine sprunghafte Zunahme gab es insbesondere in den Bereichen religiöse sowie ausländische Ideologie. Den größten Anteil machten hier allerdings die rund 7.000 Taten aus dem rechten Spektrum aus.

    Weniger Gewalttaten - mehr Opfer mit Gesundheitsschäden

    Die Zahl polizeibekannter politisch motivierter Gewalttaten ist der Statistrik zufolge im Vergleich zu 2022 um fast zwölf Prozent gesunken. Die 1.270 Taten aus dem rechten Spektrum machen hier den Großteil aus, gefolgt von 916 Taten aus dem linken Spektrum. Zu den Gewalttaten gehören Körperverletzungen, aber auch 17 versuchte und drei vollendete Tötungsdelikte. Insgesamt 1.759 Menschen und damit mehr als im Vorjahr (plus 5,96 Prozent) haben durch politisch motivierte Gewalt einen gesundheitlichen Schaden davongetragen. Die meisten dieser Taten geschahen aus rechten Motiven.

    Mehr Hass auf vermeintlich Fremde

    Deutlich zugelegt (um 47,63 Prozent) hat die Hasskriminalität mit insgesamt gut 17.000 Fällen. Gemeint sind Taten, bei denen jemand aus Vorteilen gegen bestimmte Gruppen gehandelt hat. Dabei kann eine Tat mehrfach in der Statistik auftauchen, wenn die Polizei von mehr als einem Motiv ausgeht. Die weitaus größte Gruppe bilden mit 15.087 "fremdenfeindliche" Taten, die meist in den rechten Bereich fallen. Die Statistik führt getrennt auch "ausländerfeindliche" Motive an, hier geht es gezielter um die tatsächliche oder vermutete Nationalität. Ebenfalls weit verbreitet sind antisemitische und rassistische Motive.

    Staat und Religion als Ziele

    Straftaten gegen Religionsgemeinschaften haben sich auf 7.029 mehr als verdoppelt, meistens traf es dabei religiöse Repräsentanten. Um mehr als ein Viertel ist hingegen die Zahl der Taten gegen den Staat und seine Vertreter gesunken, auf 15.050. Zugleich hat die Zahl der Delikte gegen Menschen, die sich politisch engagieren oder ein staatliches Amt ausüben, erheblich zugenommen (um 29,12 Prozent auf 6.508). Häufig haben diese Menschen der Statisik zufolge Beleidigungen, Nötigungen oder Bedrohungen und Propaganda erlebt. Die politische Motivation bleibt unklar, denn die allermeisten Taten fallen in den Bereich "sonstige Zuordnung". Das heißt, die Polizei konnte sie weder rechts oder links noch bei ausländischer oder religiöser Ideologie verorten. Die Zahl der Delikte gegen die Polizei, auch die der Gewaltdelikte, ist gesunken.

    Motiv Klima- oder Umweltschutz

    Die Aktionen von Gruppierungen wie der Letzten Generation - die ihre Straßenblockaden inzwischen aufgegeben hat - schlagen sich auch in der Statistik nieder. Insgesamt 3.303 Taten aus den Feldern Klima oder Umweltschutz zählte die Polizei 2023, fast eine Verdopplung gegenüber dem Vorjahr. Mehr als drei Viertel der Delikte ordnete sie dem linken Spektrum zu. Häufig ging es um Sachbeschädigungen und Nötigung oder Bedrohung.

    Religiös motivierte Straftaten

    Die Zahl der Taten aus dem Bereich religiöse Ideologie hat sich mehr als verdreifacht auf 1.458 Delikte. Häufig geht es um Volksverhetzung, die Androhung von Straftaten oder Sachbeschädigungen. Die meisten der 94 Taten "mit Terrorismusqualität" fielen ebenfalls in diesen Bereich.
    BKA und Innenministerium schreiben von einer "anhaltend hohen Gefährdungslage durch den islamistischen Extremismus/Terrorismus". Die Bundesrepublik stehe unverändert "im unmittelbaren Zielspektrum terroristischer Organisationen" wie des Islamischen Staats (IS) oder Al-Kaida und deren Ablegern. Die "anhaltend hohe Gefahr" für dschihadistisch motivierte Gewalttaten bestehe daher weiterhin fort. Man habe es derzeit vor allem mit Einzeltätern oder kleinen Gruppen zu tun, deren Taten oftmals von Terrorgruppen für ihre Propaganda vereinnahmt worden seien. "Zusätzlich tatmotivierend könnten die aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten wirken, die dazu geeignet sind, eine hohe Gefährdungsrelevanz auf die Sicherheitslage in Deutschland zu entfalten."

    Die Aufklärungsquote

    Etwas weniger als die Hälfte der im Vorjahr erfassten Straftaten (46,85 Prozent) konnte aufgeklärt werden, bei den Gewalttaten lag die Quote mit 63,35 Prozent höher. Als aufgeklärt zählen nur Fälle, bei denen es bis zum 31. Januar des Folgejahres mindestens einen namentlich bekannten Tatverdächtigen gibt.
    Diese Nachricht wurde am 22.05.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.