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Polizei zwischen den Fronten

Seit Jahren läuft in Nordirland eine Frist nach der nächsten ab, ohne dass sich Protestanten und Katholiken auf eine gemeinsame Regierung geeinigt hätten. Bis Freitag sollen die katholische Sinn Fein und die protestantische DUP nun zumindest eine gemeinsame Übergangsregierung präsentieren, die bis zu Neuwahlen nächstes Jahr im März im Amt bleiben soll. Noch aber liegt der Teufel im Detail, gestritten wird vor allem um die Anerkennung der nordirischen Polizei. Martin Zagatta berichtet.

    Wer die Mörder sind, das weiß auch die Polizei. Schließlich haben mehr als 70 Menschen miterlebt, wie der 33-jährige Robert McCartney in einem Pub in Belfast erstochen wurde. Doch die Beschuldigten, drei bekannte Mitglieder der katholischen Untergrundorganisation IRA, rechtskräftig zu belasten, das wagt bis heute keiner der Augenzeugen. Aus Angst vor Racheakten, aber auch weil es in katholischen Vierteln Nordirlands nach wie vor als Verrat gilt, mit der Polizei zusammenzuarbeiten.

    "Was wir brauchen, sind Leute, die sich trauen auszusagen und uns Beweise liefern, damit wir die Verantwortlichen für diesen brutalen Mord vor Gericht bringen können", erläutert George Hamilton von der Belfaster Polizei. Doch auch sein Angebot, sich über Mittelsmänner an die Uniformierten zu wenden, hat die Mauer des Schweigens nicht durchbrechen können. Viele Katholiken hegen noch immer tiefes Misstrauen gegenüber den Beamten, die sie als Handlager des britischen Staates ansehen. Mit der Polizei zusammenzuarbeiten, dazu hat sich Sinn Fein, der politische Arm der IRA und mittlerweile die tonangebende Partei der katholischen Minderheit, noch nicht durchgerungen, auch wenn diese Weigerung jetzt das Haupthindernis ist bei den Bemühungen, eine neue Regionalregierung zu bilden.

    "Die britische Regierung", so begründet Sinn Fein-Generalsekretär Mitchel McLaughlin die Vorbehalte, "war doch verantwortlich für das Treiben von Mörderbanden, für die Ermordung von Hunderten von Katholiken mit Hilfe der nordirischen Polizei." Schlimme Vorwürfe, die allerdings nicht aus der Luft gegriffen sind. Denn wie die britische Armee hat auch die nordirische Polizei bei der Planung und Ausführung von Morden mitgeholfen, heißt es in einem Untersuchungsbericht der Londoner Behörden. Beamte hätten auch dafür gesorgt, Tatwaffen verschwinden zu lassen, Beweismittel zu beseitigen, und die Mörder zu decken - zu Bürgerkriegszeiten, als die Uniformierten sich noch "königliche Polizei von Ulster" nannte. In dem Karfreitagsabkommen von 1998 wurde auch eine Reform der Behörde vereinbart, die deshalb seit fünf Jahren nun schon "Polizeidienst von Nordirland" heißt. Jeder fünfte Polizist ist inzwischen Katholik, Sinn Fein aber noch immer nicht bereit, mit dem einstigen Todfeind zusammen zu arbeiten.

    "Es gibt doch in ganz Westeuropa keine Regierungspartei, die sich weigert, die Polizei zu unterstützen." Das sei doch absurd, wenn Sinn Fein glaube, mitregieren zu können – ohne sich an Recht und Ordnung zu halten, so Jeffrey Donaldson von der DUP. Die Partei des umstrittenen Protestantenführers Ian Paisley will einer Neubildung der vor vier Jahren auseinander gebrochen Regionalregierung nur dann zustimmen, wenn sich Sinn Fein dazu bereit erklärt, mit der Polizei zu kooperieren. Auch aus protestantischer Sicht kein leichter Schritt: Schließlich sind während der so genannten "Troubles", in dem drei Jahrzehnte währenden Bürgerkrieg in Nordirland, auch mehr als 300 Polizisten getötet worden. Die meisten im Auftrag der IRA. Nun mit ehemaligen Terroristen eine Koalitionsregierung zu bilden, fällt vielen Protestanten fast genauso schwer wie den Katholiken, mit der einst so verhassten Polizei zusammenzuarbeiten.

    Die Sinn-Fein-Führung, so heißt es nun, sei wohl doch noch bereit dazu, will sich das offenbar aber von einem Parteitag genehmigen lassen. Sagt der tatsächlich Ja, erkennt der politische Arm der IRA dann die nordirische Polizei offiziell an, dürfte es der protestantischen Seite schwer fallen, den Widerstand aufrecht zu erhalten gegen eine Regierungsbeteiligung der Sinn Fein. Dann allerdings werden die Katholiken auch unter Druck kommen, Verbrechen nicht mehr länger zu decken, beizutragen dazu, dass auch die Mörder von Robert McCartney doch noch zur Rechenschaft gezogen werden.