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Polizeieinsatz statt Christkindbesuch

Im italienischen Coccaglio wurde die Operation White Christmas ausgerufen. Das bedeutet nicht etwa Schneeflocken und Glockenklang, sondern: unangemeldete Hausbesuche von der lokalen Polizei. Bis zum 25. Dezember sollen Ordnungshüter bei Migranten die Aufenthaltsgenehmigungen kontrollieren.

Von Kirstin Hausen |
    "Ich würde illegale Ausländer bei der Polizei melden", sagt dieser Mann aus Vicenza, der von der Operation White Christmas aus der Zeitung erfahren hat. Er würde Ähnliches auch in seiner Stadt begrüßen.

    "Es sind einfach zu viele. Italien kann sie nicht alle aufnehmen und außerdem sind viele von ihnen Verbrecher. In unseren Gefängnissen sitzen unglaublich viele Immigranten."

    Das liegt unter anderem daran, dass die unerlaubte Einreise nach Italien inzwischen keine Ordnungswidrigkeit mehr ist, sondern ein Straftatbestand und somit ein ausreichender Grund für eine Festnahme. Aber das geht in der Debatte rund um das Thema Immigration oft genug unter.

    "Die Idee von White Christmas ist einem Dorfbürgermeister gekommen, der Parteiführer Umberto Bossi hat sich bereits davon distanziert, trotzdem ist es sehr bezeichnend","

    … sagt Sergio Romano. Der frühere Diplomat beobachtet die Politik der Lega Nord sehr genau und er sorgt sich um den Imageschaden im Ausland, den Italien durch sie erleide.

    ""Die Lega philosophiert nicht groß herum. Ihr Politikstil ist populistisch. So wie diese Politiker reden, reden die Leute in der Kneipe. Glücklicherweise verhalten sich die Leute aber nicht so, wie sie reden. Das wird oft vergessen. Denn ohne die Immigranten würde die Wirtschaft Norditaliens zusammenbrechen."

    Die Zahl der Immigranten ist in Italien in den vergangenen Jahren stark gestiegen, die Nachfrage nach billigen Arbeitskräften auch. Wer, wie dieser Kolumbianer, seit acht Jahren in Italien lebt und arbeitet, fühlt sich von den Ideen der Lega Nord vor den Kopf gestoßen.
    "Rassistisch ist das", sagt er, senkt den Kopf und fegt weiter den Gehweg. Als Ausländer mit gültiger Aufenthaltsgenehmigung ist auch er aufgerufen, illegale Einwanderer anzuzeigen. Trotzdem ist der Feldzug gegen die Einwanderer zum politischen Aushängeschild der Lega Nord geworden. In Coccaglio bei Brescia läuft die Operation White Christmas, in San Martino dall'Argine nahe Mantua hat der Bürgermeister die Bürger ebenfalls aufgerufen, zu schauen, wer in der Nachbarwohnung so ein und aus geht und in Mailand sollen demnächst ganze Stadtviertel mit Hilfe der Einwohner kontrolliert werden.

    Der zuständige Dezernent für Sicherheit ist aber gar kein Lega-Nord-Politiker, sondern Mitglied in der Partei von Ministerpräsident Silvio Berlusconi. Die Bürger als Spitzel, die Bürger als Denunzianten, die Bürger als Hilfssheriffs - die Konzepte kennt keine Grenzen, und vor allem keine Parteigrenzen. Selbst einige linke Lokalpolitiker begrüßen die Bürgerwehren inzwischen. Davide Boni, ein Lega-Politiker der ersten Stunde und heute Mitglied der lombardischen Landesregierung kann darüber nur lachen.

    "Die anderen sind nur eine schlechte Kopie. Wir haben den Bürgern die Möglichkeit gegeben, sich in diesen Bürgerwehren zu organisieren."

    In der Praxis sind dem Aufruf, sich zur Bürgerwehr zu melden und abends für mehr Sicherheit durch die Straßen zu patrouillieren, nur wenige gefolgt.

    "Die Bürgerwehren funktionieren am besten in kleinen Orten, wo die Leute sich kennen. In Großstädten ist es schon schwieriger."

    Der Lega-Nord-Politiker Davide Boni schreibt das der Anonymität der Großstadt zu, nicht dem mangelnden Interesse vonseiten der Bürger. Polizisten wie dieser 42-Jährige, der seinen Namen nicht sagen will, halten die Idee der Bürgerwehren dagegen für gescheitert und für falsch.

    "Viele Freunde von mir, Carabinieri und Polizisten, sind sehr beunruhigt. Es wird viel geredet über den Kampf gegen die Kriminalität, aber dann wird Geld für die Bürgerwehren ausgegeben, während wir nicht mal das Benzin für unsere Einsatzwagen bezahlen können. Die Idee, den Bürgern Aufgaben zu übertragen, die der Polizei zukommen, und die verschiedenen Aktionen gegen Immigranten schaffen ein Klima, in dem sich anscheinend jeder selbst helfen muss. Dabei gibt es diesen Notstand meiner Meinung nach nicht. Das wirkliche Kriminalitätsproblem Italiens ist ein strukturelles und das heißt Mafia."