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Polnische Justizreformen
Richter sollen in Rente gehen

Richter am obersten polnischen Gericht, die 65 Jahre oder älter sind, sollen in Pension gehen. Die EU-Kommission sieht darin einen Angriff auf die Justiz und hat ein weiteres Vertragsverletzungsverfahren gestartet. Die PiS-Regierung lässt sich davon nicht beirren.

Von Jan Pallokat | 03.07.2018
    Der Oberste Gerichtshof Polens in Warschau
    Der Oberste Gerichtshof Polens in Warschau (Imago/ Heike Bauer)
    Das "Gesetz über das Oberste Gericht" ist nur Teilstück des großen Justizumbaus der polnischen Regierung – aber ein besonders wichtiges, schließlich betrifft es die höchste Berufungsinstanz des Landes. Das Gericht wacht auch darüber, dass es bei den Wahlen im Land korrekt zugeht. Neben einigen Verfahrensänderungen läuft die Gesetzesänderung vor allem darauf hinaus, dass schon bald ein großer Personalwechsel stattfindet.
    Denn die Absenkung des Richter-Rentenalters trifft naturgemäß gerade die höchsten Instanzen - mit ihren alten, erfahrenen Richtern. Etwa jeder dritte oberste Richter soll zwangsweise in den Ruhestand verabschiedet werden, darunter auch Gerichtspräsidentin Malgorzata Gersdorf.
    Widerspruch zur polnischen Verfassung
    Dies freilich steht im Widerspruch zur polnischen Verfassung, in der es heißt, der Staatspräsident berufe den 1. Vorsitzenden auf sechs Jahre. Maciej Gutowski, Rechtswissenschaftler in Posen:
    "Zweifellos kann man die sechsjährige Amtszeit nicht einfach per Gesetz verkürzen, auch nicht über eine Entscheidung des Präsidenten. Wenn man es könnte, wäre zum Beispiel auch der besondere Schutz von Gewerkschaftern im Betrieb illusorisch, indem man sie zum Beispiel in Rente schicken könnte. Aber so ist es nicht. Entweder haben wir die Verfassungsgarantie, oder wir haben sie nicht."
    Kritiker im In- wie Ausland, darunter eben auch die EU-Kommission, sehen durch die willkürlichen Richterentlassungen die Unabhängigkeit der Rechtsprechung in Polen generell gefährdet - und berufen sich dabei auf das Urteil internationaler Experten wie der zuständigen Venedig-Kommission des Europarats, der auch Juristen aus Osteuropa angehören.
    Reformen sollen Justiz effizienter machen
    Kritisch sehen die Experten auch den Aufbau zweier völlig neuer Kammern am Obersten Gericht, eine soll als Disziplinarkammer gegen andere Richter vorgehen, eine andere als "ungerecht" empfundene Urteile auch Jahre später noch anfechten können.
    Dies alles, verspricht die PiS-Regierung, soll die polnische Justiz "effizienter" machen und von korrupten Richtern befreien. Regierungsgegner dagegen mutmaßen, dass sich die Regierung den Justizapparat unterwerfen will, wie bereits die öffentliche Medien und andere staatliche Einrichtungen. PiS-Fraktionschef Terlecki weist das zurück:
    "Die Angriffe gegen uns finden auf Druck der Opposition statt. Sie fahren nach Brüssel, betteln bei der Europäischen Kommission, dass sie Polen zum Nachgeben zwinge. Aber wir werden nicht nachgeben."
    Richter wollen sich nicht beugen
    Vergangene Woche veröffentlichte Staatspräsident Andrzej Duda im Amtsblatt vielmehr die Vakanz von 44 Richterstellen am Obersten Gericht. Auf Basis der Justizgesetze könnte Duda einen eigenen Gerichtspräsidenten berufen, der dann neben der Amtsinhaberin Gersdorf stünde. Einige der zwangsverrenteten Richter wiederum wollen sich dem Vernehmen nach nicht beugen und ihr Amt weiter ausüben; darunter offenbar auch die Gerichtsvorsitzende. Sie berufen sich dabei auf die polnische Verfassung.
    Bei der Auswahl neuer Richter wiederum hat formal der sogenannte Landesjustizrat das entscheidende Wort. Doch wurde auch dieses Gremium, das laut Verfassung unabhängig sein soll, durch die Justizgesetze der Regierung vorzeitig aufgelöst und neu besetzt: vorwiegend mit Mitgliedern, die die PiS-Mehrheit im Parlament auswählte.