Archiv


Polnische Schweinegemeinde

Die polnische Wurst ist Botschafterin ihres Landes. Und sie bringt das Ausland auf den Geschmack. Wojtek Mroz und Ernst-Ludwig von Aster haben im Westen des Landes die kleine Gemeinde Siedlec ausfindig gemacht, die dank ihrer Schweine reich geworden ist.

    Wenn Adam Cukier in seinem Büro zum Fenster geht und die Gardinen beiseite schiebt, blickt er auf das Hinterteil eines tierischen Glücksbringers.

    "Das ist ein wirklich schönes Schweinchen. Das hat der Bruder von unserem Gemeindepriester geschnitzt. Das Schwein sieht stolz aus. Es weiß, dass wir von ihm leben."

    Lebensgroß aus Holz geschnitzt steht das Schwein vor dem Rathaus, dem Amtssitz von Bürgermeister Cukier. Hier in der kleinen Gemeinde Siedlec in Westpolen, die sich selbst "Schweinegemeinde" nennt.

    "Wir züchten zirka 170.000 Schweine im Jahr. Also für so eine Gemeinde wie uns ist das viel. Hier leben 12.000 Einwohner, das macht ungefähr 15 Schweine pro Einwohner. Also müssen wir die Tiere achten. Darum haben wir uns auch entschlossen, ein Schweinefest zu organisieren."

    Das Schweinefest findet jedes Jahr im Frühsommer statt. Ausgiebig wird da dem Borstenvieh gehuldigt. Vor allem in seiner Rolle als Wurstlieferant. In dieser Funktion war es in Siedlec immer ein treuer Verbündeter, zuverlässig auch in den Zeiten, als in staatlichen Fleischläden im Rest des Landes sozialistischer Mangel herrschte

    "Schon 1956, als Wladislaw Gomulka erster Sekretär der kommunistischen Partei wurde, gab es bei uns die Marktwirtschaft. Viele Familien haben zu den Festtagen Schweine gekauft und sie zu Wurst verarbeitet. Es wurde viel privat geschlachtet."

    Und davon profitierten die Landwirte der Region. Anders als in vielen sozialistischen Bruderstaaten misslang in Polen die Kollektivierung auf dem Land. Die anfängliche Verstaatlichung der Landwirtschaft musste nach Demonstrationen und Unruhen 1956 zurückgenommen werden. Die meisten Bauern konnten nun weiter privat wirtschaften. Rund um Siedlec setzten sie weiter auf die Schweine und die Wurst.

    "Und diese Wurst und die Schweine garantierten die Unabhängigkeit. Der Bauer konnte die Schweine verkaufen, wann und wo er wollte."

    Egal wer regierte, das Schweinesystem in Siedlec funktionierte, fanden doch die Bauern immer Abnehmer für ihr Borstenvieh, stillten den Wursthunger der nur 60 Kilometer entfernten Metropole Poznan. Und in Mangelzeiten wie etwa in den 80er Jahren hielten sich auch Nichtlandwirte wie Bürgermeister Cukier ihr Hausschwein als Wurstlieferant.

    "Bei uns in der Region machen wir die Wurst aus Schweinefleisch. Und es ist unvorstellbar, das sie zu Weihnachten oder Ostern auf dem Tisch bei den Einwohnern fehlt. Bei uns sind viele Würste beliebt, aber am beliebtesten sind die Selbstgemachten."

    Auch heute noch garantiert das Borstenvieh den Wohlstand in der Schweinegemeinde. Seit dem EU-Beitritt vor zwei Jahren sind die Schweinepreise sogar gestiegen. Null Prozent Arbeitslosigkeit vermeldet heute der Bürgermeister. Die Fleischwirtschaft floriert. Etliche wurstverarbeitende Betriebe haben sich angesiedelt. Während das Gros der Schweine in den Fleischfabriken der Umgebung landet, behalten doch fast alle Bauern einige Stück Borstenvieh für sich. Die bekommen Extra-Rationen Futter und werden länger gemästet als ihre Artgenossen.

    "Die Leute kaufen die Wurst im Geschäft, aber es gibt auch noch viele, die zu den Festen ihre eigenen Schweine selber schlachten. Und dann machen sie ihre eigene Wurst. Und sie wissen, dass da keine Zusätze drin sind, weil es doch immer noch große Unterschiede zwischen der Wurst aus dem Geschäft und der selbstgemachten Wust gibt."

    Mittlerweile ist diese ganz private Wurstwirtschaft auch über Polens Grenzen hinaus bekannt. Bürgermeister Cukier deutet auf einen Kalender, der hinter seinem Schreibtisch hängt: Schweineporträts von Januar bis Dezember:

    "Diesen Kalender bekomme ich aus Großbritannien. Großbritannien weiß auch, das die Gemeinde Siedlec 'Schweinegemeinde' ist."