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Polystyrol-Chips oder Verpackungen aus Kartoffelstärke?

Was ist wohl umweltverträglicher, eine Verpackung aus Kunststoff oder eine aus Kartoffelstärke? Um eine solche Entscheidung auf eine wissenschaftliche Basis zu stellen, gibt es die Ökobilanz: Sie listet für den gesamten Lebensweg eines Produktes, von der Rohstoffgewinnung bis zur Entsorgung, alle Umweltauswirkungen auf: Schadstoff-Emissionen, Material- und Energieverbrauch.

Von Renate Ell | 02.09.2002
    Das Bayerische Institut für Angewandte Umweltforschung und -technik in Augsburg – kurz BifA – hat gemeinsam mit dem ifeu-Institut in Heidelberg gerade eine solche Bilanz abgeschlossen: Für Verpackungschips, auch Loose-Fill-Packmittel genannt, die empfindliche Gegenstände beim Transport in einem Karton weich betten. Die eine Hälfte dieser Chips wird heute aus nachwachsendem Rohstoff hergestellt, die andere Hälfte aus neuem oder recyceltem Polystyrol. Die Ökobilanz beginnt mit der Gewinnung der Rohstoffe, erklärt der Projektleiter Eduard Würdinger vom BifA:

    Wenn man jetzt die Produktion von Kartoffeln beispielsweise betrachtet, dann werden Dünger, Pflanzenschutzmittel und Saatgut benötigt, es wird Fläche benötigt, und dann muss man entscheiden, wie weit man diese Vorläufersubstanzen untersucht. Und wir haben das so gemacht, dass wir auch die Produktion der Dünger praktisch mit untersucht haben, also den Energieaufwand, den man hat, die Rohstoffe, die man braucht, die Transporte, die da im Durchschnitt in Deutschland üblich sind. Und wir haben auch alle Feldarbeiten mit berücksichtigt Was wir nicht berücksichtigen, also was abgeschnitten wird, ist zum Beispiel die Infrastruktur. Also wir haben nicht mehr den Traktor auf dem Feld bilanziert, aber den Energieverbrauch.

    Aus Kartoffeln, Mais oder Weizen wird Stärke gewonnen und aus daraus werden dann die Verpackungs-Chips gepresst. Beim Polystyrol beginnt die Ökobilanz mit der Erdölgewinnung, es folgen Raffinerie, Polystyrol-Herstellung und wiederum die Chip-Produktion. Nach der Verwendung landen die meisten Chips auf einer Deponie oder in einer Müllverbrennungsanlage. Stärkechips lassen sich auch kompostieren oder zu Biogas vergären.

    In punkto Entsorgung erlebten die Ökobilanzierer vom BifA eine Überraschung. Stärke-Chips können zum Treibhauseffekt beitragen, obwohl sie nicht mehr Kohlendioxid freisetzen, als die Pflanzen zuvor aufgenommen haben:

    Wenn die Loose-Fill-Packmittel aus Stärke deponiert werden, entsteht auf der Deponie Methan, und das Methangas wird zu einem gewissen Anteil freigesetzt, entweicht in die Atmosphäre, und Methan hat ein deutlich höheres Treibhauspotenzial als Kohlendioxid. Und diese Methanfreisetzung überwiegt die CO2-Fixierung deutlich.

    Auch die Kompostierung ist nicht das Öko-Optimum, denn die Stärke-Chips enthalten keine Nährstoffe und sie ersetzen keinen Rohstoff, den man nicht ohnehin reichlich hätte. Anders die Verbrennung zur Strom- und Wärmegewinnung: Da ersetzen Verpackungschips fossile Brennstoffe wie Erdöl oder Kohle. Außerdem ist dieser Entsorgungsweg für Polystyrol- und Stärke-Chips gleichermaßen geeignet – und das ist wichtig, weil sie häufig vermischt werden. Diese Vermischung wirkt sich auch an anderer Stelle in der Ökobilanz aus: Weil Stärke klebt, wenn sie feucht wird, und einen stärkeren Abrieb hat als Polystyrol, werden Verpackungs-Chips heute meistens nur noch einmal verwendet. Früher hingegen war Mehrfachverwendung die Regel, es gab sogar einen Secondhand-Handel. Hier sorgen die Stärkechips für rote Zahlen in der Ökobilanz, denn in der Wiederverwendung, so die Experten, stecken die größten Einsparpotenziale.

    Fazit: Nachwachsende Rohstoffe sind nicht per se besser als Kunststoff, aber die ökologischen Vor- und Nachteile liegen nicht allein im Material begründet, sondern vor allem im Umgang damit. Wiederverwendung und optimale Entsorgung sind entscheidend. Und das sind wichtige Erkenntnisse für eine Zukunft mit versiegenden Erdöl- und Erdgasvorräten:

    Für uns war es wichtig, in der Ökobilanz zu lernen, wie man sowohl fossile Rohstoffe als auch nachwachsende Rohstoffe optimal nutzt. Letztendlich wird es kaum einen Weg vorbei geben, dass die Menschheit in Zukunft vermehrt nachwachsende Rohstoffe nutzt, und da ist es wichtig für uns, zu lernen, wie man das möglichst umweltverträglich macht.