Archiv


Pop-Art aus China

Der chinesische Fang Lijun, 1963 geboren, ist einer der Stars der zeitgenössischen chinesischen Kunst, die seit den Neunzigerjahren auf offene Augen in der westlichen Kunstszene stößt. Fang Lijun ist aber nicht nur Maler. Er ist auch Druckgrafiker und hat er ein reiches Werk teils monumentaler Holzschnitte geschaffen. Erstmals ist nun eine Auswahl dieser Werke - in Verbindung mit Zeichnungen - in einer Museumsausstellung zu sehen, im Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin.

Von Carsten Probst |
    Fang Lijuns Medium ist das Gesicht. Gequälte oder von Freude verzerrte Gesichter, bei denen man manchmal nicht weiß, ob sie nicht vielleicht doch eher weinen; immer wieder die Gesichter von Ertrinkenden, Jubelnden oder Schlafenden und schließlich auch Gesichter in der Menschenmasse. An der Stirnseite der Ausstellungshalle des Kupferstichkabinetts hängt der monumentale, acht mal vier Meter breite und aus sieben goldroten Papierbahnen bestehende Holzschnitt, der einer von Fangs Meisterwerken darstellt. Rund zweihundert Gesichter einer bewundernd und vor Staunen schreienden Menschenmenge, jedes Gesicht aber zeigt bei aller Verzerrung einen individuellen Charakter, so als habe Fang Lijun einfach einmal sein Vorratsarchiv an Gesichtsausdrücken vollständig versammeln wollen. Aber auch die kleineren Formate sind eindrucksvoll, insbesondere die mehrfarbigen, für die die Holzstöcke vor dem Druck zersägt werden, um die Farbfelder differenziert auftragen zu können. Fang selbst sagt von sich, dass sich für ihn im menschlichen Gesicht am ehesten die existentiellen Grundzustände des Lebens darstellen lassen, besonders bei den Ertrinkenden, und dass es ihm schließlich darum gehe: den Menschen als Menschen zu zeigen, in seinen Bedürfnissen, seiner Angst, Lebensfreude, Einsamkeit, kurz, in seiner ganzen Widersprüchlichkeit.

    Diese harmlos anmutende Selbstbeschreibung erhält vor dem Hintergrund der Situation in China und ihrer noch immer offiziell geforderten und geförderten Programmkunst eine etwas andere Bedeutung. Fang, der aus der Provinz Hebei stammt und heute in Peking lebt, absolvierte zunächst eine kunsthandwerkliche Ausbildung in Porzellanmalerei und Holzschnitttechnik, arbeitete in einer Werbeagentur, ehe er mit 21 Jahren ein Kunststudium an Central Academy of Fine Arts in Peking begann. Nach den gewaltsamen Zusammenstößen auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Juni 1989 wurde seine Malerei der so genannten Strömung des Zynischen Realismus zugerechnet. Er selbst sieht seine Kunst zwar als unabhängig von politischen Tendenzen und Ereignissen an. Gleichwohl kursiert sein Werk seit Anfang der neunziger Jahre in den USA und Europa als das eines begabten chinesischen "Kunst-Dissidenten". Und natürlich kann man die existenziellen Extremzustände, die Fang auf seinen Gesichtern abbildet, als Antithese zur Parteikunst und sozialistischen Realismus in China sehen, in dem immer noch das Heldentum aus dem Volke gepflegt wird. Die Holzschnitttechnik eignet sich mit ihrer immanenten materiellen Festigkeit dafür besonders gut, weil die bewegten Gesichter gleichsam aus der Starre des Materials hervorzutreten, sich gegen sie zu wehren scheinen.

    Bei den Staatlichen Museen in Berlin bemüht man sich dagegen, mögliche politische Konnotationen in Fangs Werk zurückzustellen. In Berlin hebt man für diese Präsentation auffallend traditionalistische Motive hervor: Holzschnitte passten eben gut zum Sammlungsbestand des Kupferstichkabinetts; zudem sei Fang einer der herausragenden jüngeren Künstler Chinas, und dann wird da noch die Spezialität bemüht, dass Fang ein bekennender Fan des Werkes von Käthe Kollwitz sei und man ihn schon deshalb einmal in Berlin zeigen wollte. Auch wenn all diese Gründe, insbesondere die Qualität von Fang Lijuns Werk unleugbar sind: Diese formelhafte Begründungspolitik bei den Staatlichen Museen zeigt dabei viel deutlicher, auf welch schmalem politischen Grat sich diese Präsentation bewegt, und auf welchem erst das Werk von Fang Lijun selbst. Dass sich bei der Eröffnung der Chinesische Botschafter in Deutschland zeigen wird, ist bemerkenswert und - möglicherweise - nach kulturpolitischer Lesart wichtiger als die Ausstellung selbst.