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Pop-Star der Postmoderne

Was Jou Ming Pei in der Architektur ist, das ist Philippe Starck für das Design: einer der ganz großen, einer, dessen Name selbst schon eine Marke ist. Die Selbstvermarktung nämlich hat Philippe Starck wie kein zweiter seiner Branche perfektioniert: Es gibt eigentlich nichts, was es von ihm nicht gibt: Von der Badezimmereinrichtung über das Motorrad bis hin zur Klobürste und zur spinnenbeinigen Zitronenpresse, die in keinem Schicki-Micki-Haushalt fehlen darf - auch wenn sie überhaupt nicht funktioniert. Philippe Starck allerdings geht es wie seinen Kollegen Pierre Cardin oder Luigi Colani: Er ist zwar kommerziell erfolgreich, von der Fachwelt ernstgenommen wird er aber durchaus nicht immer.

Von Björn Stüben |
    Kommen Sie näher meine Herrschaften, haben Sie keine Angst, lauschen Sie den Lügen, lernen Sie der Realität zu misstrauen...

    Ein schwerer, dunkelbrauner Vorhang, daneben ein großer Bildschirm, auf dem das weißgeschminkte Gesicht pausenlos die immer gleichen Phrasen aus seinem blutrot hervorstechenden Mund heraussprudeln lässt. Jahrmarktambiente? Weit gefehlt. Die Inszenierung bildet den so skurrilen wie amüsanten Auftakt zur jetzt im Centre Pompidou gezeigten, ersten Retrospektive des einstigen "Enfant terrible" und heute 54jährigen Stars der französischen Designszene, Philippe Starck. Doch wer es, angelockt vom fatal an Jack Nicholson erinnernden Clowngesicht, dann schließlich wagt, den Vorhang zum beinahe stockfinsteren, ovalen Ausstellungssaal zur Seite zu schieben, der mag zunächst enttäuscht sein. Keines der von Starck entworfenen Objekte präsentiert sich real. Dabei wäre die Auswahl doch so groß, schließlich beschäftigt sich Starck mit Zahnbürsten, Wasserkochern und Zitruspressen, gelegentlich mit Hausbooten und Schwimmwesten, Hotelbars und Haute-Couture-Boutiquen, aber auch mit Stühlen, Tischen, Teddybären, öffentlichen Parkbänken und Müllkübeln. Vor Starck als Designer ist offenbar nichts sicher. Alles, was ihn umgibt, stößt auf sein Interesse. Nur eines ist Starck nicht und will es nach eigenem Bekunden auch gar nicht sein: Erfinder. Denn, so gibt Starck zu bedenken, "es gibt bereits Millionen ausgezeichneter und bequemer Stühle. Muss man da noch neue schaffen?". Was er an Alltagsgegenständen gestaltet, will er nicht als Designfetische hinter Vitrinentüren präsentiert sehen.

    Hierhin gehören für ihn Objekte anderer Kollegen mit ihrem, wie Starck abfällig bemerkt, "narzistischen Design von Designern für Designer". Die "reine Schau künstlerischer Selbstbefriedigung" ist Starcks Sache also nicht. Was aber dann?

    Starck hat die Schau im Centre Pompidou selbst inszeniert. Auf Plasmabildschirmen werden die von ihm designten Objekte vorgeführt, zu denen er seine Kommentare, kleinen Anekdoten und Erklärungen abgibt. Starcks Gesicht wurde hierbei abgefilmt und wird jetzt für die Ausstellung auf dreidimensionale Nachbildungen seines Kopfes projiziert, die sich wiederum auf elf hochaufragenden Stelen dem Besucher präsentieren. Geboten wird also ein Plauderstündchen mit dem Meister und so manches der berühmten Starck-Objekte verliert hierbei seine Aura als Inbegriff zeitgenössischen Designs. So erfährt jetzt der Besucher quasi von Angesicht zu Angesicht mehr über die multifunktionalen Damenstrumpfhosen, die Starck für einen Versandkatalog entwarf, über das Sitzmöbel aus banalem Plastik, bei dem er sich an Playmobil orientierte oder eben über seine langen Verhandlungen mit dem Besitzer des berühmten Café Costes in Paris. Er sei von Costes um einen Entwurf für das geplante Café gebeten worden, den dieser auch hoch gelobt habe. Dann sei Costes aber in der Versenkung verschwunden. Starck fragte sich, warum er mal wieder an einen völlig durchgedrehten Auftraggeber geraten sei. Erst nach einem Jahr taucht Costes plötzlich wieder auf und verkündet Starck, dass er jetzt so richtig loslegen könne. Mit Geschichten wie dieser füllt Starck die Welt des Designs mit Leben. Auch lernt der Besucher diejenigen Objekte kennen, die Starck einst vor dem Hintergrund akuter Geldnot, die den heute weltweit Agierenden sicher nicht mehr plagt, designt hat. Starcks Sendungsbewusstsein ist unüberhörbar. Doch er belehrt ebenso wenig wie er sich ernst nimmt. Was aber hat Starck im Sinn, wenn er im weiten Oval der Pariser Ausstellung elf über Alltagsdesign sprechenden Büsten sein Gesicht leiht und sie auf die Besucher unaufhaltsam einreden lässt?

    Diesen Idioten da oben von seiner Stele herunter ständig beteuern zu hören, dass das alles halb so wild ist mit dem Design, dass alles vielmehr auf harter Arbeit und Schweiß basiert, soll darauf abzielen, dass sich der Besucher schließlich fragt: "Warum bin ich das nicht? Was der kann, Mensch, das kann ich doch auch. Der Typ da oben ist doch nichts besonderes." Ich will mit der Schau erreichen, dass sich der Besucher wieder mit dem aufladen kann, was so viele Menschen heute verloren haben: Enthusiasmus.

    Starcks ausgefallenes Konzept lässt hinter die Kulissen seiner Arbeiten schauen. Auch Enthusiasmus könnte sich einstellen, doch zu welchem Preis? Fünf Stunden Starck’scher Redeschwall könnte in dieser Schau konsumiert werden, was sicherlich auch den hartgesottensten Designjünger überfordern dürfte. Rückzugsmöglichkeit bietet lediglich die Mitte des ovalen Saales, wo speziell für die Schau von Laurie Anderson komponierte Klänge aus Deckenlautsprechern herabrieseln. Selbst wenn kein einziges Designobjekt zum Anfassen präsentiert wird, so viel Philippe Starck ist wie immer amüsant aber eben auch reichlich anstrengend.

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