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Gestochen scharfes Credo

In der Gruppe der 14- bis 34-Jährigen ist jeder Vierte tätowiert. Madonnen, Kreuze und Dürers "betende Hände" sind weniger gefragt als früher, dafür werden häufiger die Namen von Verstorbenen gewünscht. Dahinter steckt nicht immer tiefe Frömmigkeit, sondern die Sehnsucht nach Gültigkeit - hat der Theologe Patrik Dzambo in seiner Doktorarbeit herausgefunden.

Von Udo Feist | 09.05.2016
    Ein Badegast in Hamburg mit einem Tattoo mit einer religiösen Aufschrift und Symbolik
    Tattoos haben oft auch religiöse Botschaften (Ulrich Perrey)
    "Als Beispiel mal so ein Motiv auf dem Rippenbogen, wo Männer da schon so Och! - halte ich das durch? Und wenn du die dann tätowierst, sind die dann doch ein bisschen feinfühliger. Und die Frauen, die liegen da, und ertragen das echt eisenhart."
    Tätowieren tut am Rippenbogen besonders weh. Ramon Sanchez muss es wissen. Er sticht seit über 20 Jahren Tattoos. Auch Madonnen, Rosenkränze oder Herzen, Kreuz und Anker für "Glaube, Liebe, Hoffnung". Motive, die früher aber viel öfter gewünscht wurden.
    "Dürers Betende Hände, ja, ist immer noch Thema, in vielen Variationen, aber auch nicht mehr so. Also die Nachfrage nach heiligen Motiven, sage ich da mal zu, ist nicht mehr so groß."
    Herz, Spruchband und Banderole mit dem Namen und Geburts- und Sterbedatum zum Gedenken an liebe Verstorbene sind aber weiter sehr gefragt. Religiös motiviert ist das aber oft auch. Viele erzählen Ramon beim Stechen ihre Geschichte dazu. Ramon Sanchez:
    "… watt weiß ich. Meine Mama ist gestorben und ich glaub auch an Gott. Es gibt halt Leute, die sagen trendtechnisch: Ich find ein Kreuz einfach geil, und dann lass ich mir das tätowieren. Da steht nicht viel hinter."
    Urteilen will er aber nicht. Er sei nur die ausführende Hand.
    Etwas Bleibendes in Zeiten der Beschleunigung
    Auch der Theologe Patrik Dzambo will nicht urteilen - er will verstehen. Warum sich Menschen tätowieren lassen. Was es ihnen bedeutet. Was sie damit ausdrücken wollen. Was es ihnen gibt. Er sagt:
    "Ich denke, was mit Sicherheit eine Rolle spielt, ist dieser Aspekt der Gültigkeit, dass in Zeiten der Beschleunigung, des immer stärkeren Wandels eine Tätowierung etwas Festes darstellt, etwas, das bleibt, was sich nicht verändert."
    Während WhatsApp-Nachrichten und Facebook-Postings ständig ja irgendwie bloß vorbei perlen. Deswegen schaut Dzambo auch genau hin. Und zu sehen gibt es eine Menge. Statistisch ist jeder Vierte der 14- bis 34-Jährigen tätowiert. Sogar auf der Haut von Priesterkandidaten sah der katholische Theologe schon Kreuze, Bibelverse, Rosenkränze und Mariendarstellungen.
    Sogar auf der Haut von Priesterkandidaten
    "Ich denke, dass der Theologie etwas verloren gehen würde, wenn dieser Blick in die populäre Kultur, in das, was im Alltag passiert, was in der Breite passiert, in der Masse passiert, wenn sie hierfür die Augen verschließen würde. Dann würde etwas verloren gehen oder ein Auftrag, den die Theologie meines Erachtens hat.
    Erklärt Dzambo. Er sucht die Geschichten dahinter, die Sehnsucht, die Spiritualität. Damit muss die Kirche, muss der Religionslehrer ins Gespräch kommen, sagt er – auch wenn manche Tattoos trotz aller Sichtbarkeit nur für den Tätowierten selbst gedacht sind wie bei Niklas Wittig. Er wünscht:
    "Auf der Brust einmal Dürers 'Betende Hände' mit vier Wörtern drin, habe ich mir zusammengestellt: einmal Glück, Familie, Gesundheit, Erfolg. Und auf dem Oberarm einen Rosenkranz mit der Inschrift: In die Zukunft blicken, in der Gegenwart leben, aus der Vergangenheit lernen."
    Ein ästhetisch gelungenes Gebet
    Bekenntnis nach außen sei das nicht, eher stilles und für ihn auch ästhetisch gelungenes Gebet, das er immer bei sich trägt.
    "Wie kam ich drauf? Klar, ich glaube an Gott, gehe jetzt nicht regelmäßig in die Kirche oder sonstiges, aber dadurch, dass ich halt diese Hände hab, denke ich mir halt, ich bitte Gott quasi oder ich bete, habe ihn immer in mir, an mir."
    Mit seiner Doktorarbeit über die Bedeutung von Tattoos will Patrik Dzambo die Menschen nicht als Christen "überführen".
    "Ich denke nicht, dass es darum gehen kann in eine apologetische Haltung zu gehen und versuchen dem Menschen aufzuzeigen: Guck doch mal, ich zeige euch, Tätowierungen haben religiöse Dimension, ihr seid jetzt religiöser, als ihr vielleicht selber meint."
    Die Unversehrtheit der Seele wiederherstellen
    Sagt Dzambo. Auch wenn es keineswegs immer um Glauben geht, schwinge diese Dimension oft mit. Und Tattoos helfen, sagt er, Angst und Leid zu bewältigen, seelische Wunden, Krankheiten, Todeserfahrungen zu kompensieren. Egal, ob es nun heilige oder profane Motive sind. Untersuchungen bestätigen das. So widersinnig das auch klingen mag: Sich etwas auf den Körper stechen zu lassen, hilft die Unversehrtheit der Seele wiederherzustellen. Ähnlich wie auch Religion das leisten kann. Und was die praktischen Fragen angeht, da weiß Ramon Sanchez, worauf es ankommt. Er erklärt:
    "… natürlich Brust, Rücken, gerade Flächen. Wenn du überlegst, gerade, wenn du die Jesus-Figur mit dran haben willst, muss das Kreuz eine gewisse Größe haben, gerade, damit du die feinen Details machen kannst, gerade mit Dornenkrone, bei so einem großen Ding, wenn es über den ganzen Rücken gehen soll, sind es auf jeden Fall locker drei Sitzungen. Und in den drei Sitzungen sag ich mal, vier Stunden, fünf Stunden - also, wenn du wirklich ein Komplett-Sleeve auf den Rücken haben willst, bist du mit dreieinhalb bis viertausend dabei. Dann hast du definitiv ein Kunstwerk, ja 18. Und dann kannst du definitiv sagen, du hast Eier in der Hose."