Popkultur und Wissenschaft Vom Koma-Glotzen zum „Koma-Denken"
Westeros oder Hogwarts, Postapokalypse oder Zeitreisen – die fiktionalen Welten der Popkultur lassen den Alltag vergessen. Man kann mit ihnen aber auch Wissenschaft betreiben und "zu Erkenntnissen kommen, die man vorher nicht gesehen hätte", sagte Philosoph Martin Böhnert im Dlf.
Martin Böhnert und Paul Reszke im Corsogespräch mit Achim Hahn | 25.03.2019
Das Themen-Alphabet reicht von Architektur, Bytes und Comics über Film und Mode bis Zukunftsmusik. Ohne Etiketten wie "U", "E", "Post" oder "Proto" analysiert und diskutiert das tagesaktuelle Magazin Phänomene der Gegenwartskultur. Corso ist alles andere als reine Nacherzählungsberichterstattung oder Terminjournalismus, der nur die Chronistenpflicht erfüllt. Das Popkulturmagazin dreht die Themen weiter, um Mehrwert und Neuigkeitswert zu bieten. Kulturschaffende sind regelmäßig zu Gast im Studio und stehen im Corsogespräch Rede und Antwort. "Corso - Kunst & Pop" spielt musikjournalistisch ausgewählte Songs, die aktuell sind und nationale sowie globale Trends abbilden. Denn Musik ist Information - und Popkultur ist ohne Popmusik nicht denkbar.
Aus Binge Watching wird Binge Thinking: Stundenlanges Serien-Gucken inspiriert auch die Wissenschaft (imago stock&people / Photocase)
Mit Ihrem Sammelband "Vom Binge Watching zum Binge Thinking" wollen der Philosoph Martin Böhnert und der Linguist Paul Reszke von der Universität Kassel zeigen, dass die wissenschaftlichen Analysen von popkulturellen Erzeugnissen durchaus mehr sind, als triviale Anbiederungen an den Zeitgeist.
Es gehe beim Binge Thinking um ein "sehr langes, konzentriertes Auseinandersetzen auf wissenschaftlicher Ebene", erklärte Martin Böhnert im Corsogespräch. Und dabei könne es eben auch um popkulturelle Phänomene gehen, beispielsweise das Binge Watching von Serien. Traditionell werde Popkultur in der Wissenschaft allerdings als trivial verortet, ergänzte Paul Reszke.
Serienwelten als Gedankenexperiment
"Wir können uns eine popkulturelle Sekundärwelt, beispielsweise die Welt von 'Game of Thrones', anschauen und mithilfe von wissenschaftlichen Theorien besser durchdringen." Für Martin Böhnert seien diese Sekundärwelten eine "Art Gedankenexperiment, um daran aktuelle wissenschaftliche Theorien oder Methoden zu erproben". Philosophische Schwergewichte wie Foucault oder Wittgenstein brauche es zwar nicht, um sich mit den genannten Popkultur-Produkten auseinanderzusetzen, aber "wenn man zum Beispiel 'Game of Thrones' mit einer bestimmten Theorie fasst, dann kommt man zu Erkenntnissen, die man vorher nicht gesehen hätte."
In dem entsprechenden Buch-Beitrag zum Beispiel werde die Rolle der Frau in den zugrunde liegenden Romanen mit der filmischen Umsetzung in Beziehung gesetzt. Die Auseinandersetzung mit "Ghost in the Shell" setze sich beispielsweise mit unserer Technikethik auseinander, wenn man - wie in der Serie - Mensch und Maschine nicht mehr trennen könne.
Unpopuläre Wissenschaftssprache
Dass wissenschaftlich-popkulturelle Untersuchungen in einer Sprache geführt werden, die alles andere als populär ist, "ist ein Problem, das mit der Frage danach, inwiefern man Popkultur ernst nehmen kann, zusammenhängt". Es gäbe zahlreiche, spannende Auseinandersetzungen, die sich einer populären Sprache bedienten, wo dezidiert ein Laienpublikum angesprochen würde, "wenn man eine Publikation wissenschaftlich ernst nehmen möchte, dann ist man natürlich einen bestimmten, wissenschaftlichen Diskurs gebunden".
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Martin Böhnert/Paul Reszke (Hg.): Vom Binge Watching zum Binge Thinking transcript Verlag, Bielefeld 2019. 248 Seiten, 34,99 Euro