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Populärer Neo-Faschismus

Europa muss zuschauen, wie Italien immer tiefer in den Sumpf von Amoralität und Zynismus sinkt. Ein vorläufiger Höhepunkt diese Entwicklung ist eine neue Sendung auf einem Privatkanal: Gastgeber der Talkshow ist der Antidemokrat und ehemalige Putschist Licio Gelli. Der rechte Strom, der seit Kriegsende in Italien unbehelligt den Faschismus in Parteiform beibehielt, reckt unter Berlusconis Schutz erneut das Kinn in die Höhe, wie seinerzeit der Duce.

Von Thomas Migge |
    "Der einzige Politiker in Italien, der diesen Plan heute verwirklichen kann, ist Silvio Berlusconi. Auf ihn setze ich mein ganzes Vertrauen. Nicht etwa weil er in unserer Geheimloge eingeschrieben war, sondern weil er ein großer Mann ist."

    Licio Gelli spricht im Fernsehen und verkündet seine politischen Ideen. Der 89-Jährige beschwört die guten Zeiten des Faschismus, der neofaschistischen Partei Italiens, die seit 1948 im Parlament sitzt, und den sogenannten "Plan der demokratischen Wiedergeburt”:

    "Mein Traum ist es, dass wieder, wie früher, alle Führungskräfte Italiens bei mir mitmachen, um dieses Land endlich vor dem Untergang zu retten, vor jenen kommunistischen Kräften, die es zerstören wollen. Bei uns machten die Geheimdienste und alle deren Chefs mit."

    So spricht einer der geheimnisumwitterten lebenden Italiener, ehemaliger Chef einer pseudo-freimaurerischen Loge, die in den 70er Jahren einen Putsch plante, einen, wie es damals hieß, "soften Putsch”, herbeigeführt von Mitgliedern der international als "Propaganda Due" bekannt gewordenen Untergrundvereinigung.

    Diese Vereinigung wurde 1981 aufgedeckt, als die Polizei in der Villa des Unternehmers Gelli Listen mit hunderten von Namen fand, die Mitglieder der "Propaganda Due” waren: darunter Spitzenpolitiker wie Giulio Andreotti, der spätere Staatspräsident Francesco Cossiga, der Unternehmer Silvio Berlusconi, berühmte Journalisten, massenweise Generäle und Polizeifunktionäre, Minister und Staatssekretäre. Gelli wurde verhaftet, floh nach Südamerika und stellte sich schließlich 1987. Eine parlamentarische Kommission deckte die politischen Machenschaften der Geheimloge auf, die auf die Errichtung eines autoritären Regimes abzielte - doch, typisch für Italien, keiner der Verantwortlichen wurde wegen demokratiefeindlicher Absichten verurteilt. Im Gegenteil: Die meisten der damals prominentesten Logenmitglieder machten Karriere. Der bekannteste von ihnen ist der heutige Premier Silvio Berlusconi, der Mann, auf den Gelli in seiner heute Abend beginnenden Talksshow alle Hoffnungen setzt.

    Die Tatsache, dass ein privater Fernsehsender wie "Odeon TV” einen Licio Gelli und seine Freunde zu Wort kommen lässt, provoziert in Italien scharfe Reaktionen. Dazu der bekannte Fernsehreporter Marco Travaglio, Autor verschiedener Enthüllungsbucher über die "Propaganda Due":

    "Dieser Licio Gelli, der sich immer noch als "hochverehrter Meister" anreden lässt, wie in den 80er Jahren, ist eine der brisantesten und gefährlichsten Figuren der italienischen Nachkriegszeit. Als erklärter Faschist und Demokratiefeind scheint er noch heute mit hohen Militärs und rechtsextremen Politikern unter einer Decke zu stecken. So jemanden zu Wort kommen zu lassen ist skandalös. Er fordert doch tatsächlich, dass zum Beispiel die jungen Leute, die gegen die Bildungsreform demonstrieren, vom Heer weggeknüppelt werden sollen."

    Die linken Oppositionsparteien und Autoren wie Dario Fo und Dacia Maraini fordern ein sofortiges Verbot der Sendung und verweisen auf den entschieden demokratiefeindlichen Inhalt. Doch die Behörden schweigen. Die Opposition möchte, dass der Regierungschef dazu Position bezieht, dass er dazu Stellung nimmt, dass Gelli in ihn den Mann der Hoffnung sieht.

    Ab heute Abend also und nach der Einführung einer Mitarbeiterin präsentiert Licio Gelli in neun Folgen seine Interpretation der Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert. Eine, wie es heißt, historische Informationssendung mit Diskussionscharakter. Gelli lässt neben sich auch andere Zeitzeugen zu Wort kommen - natürlich vor allem aus dem ultrarechten Umfeld.

    Die Christdemokratin Tina Anselmi, die in den 80er Jahren die parlamentarische Kommission zur Aufdeckung der Machenschaften der Propaganda Due leitete, nennt es eine Bankrotterklärung des demokratischen Rechtsstaats, dass so ein Mann im Fernsehen auftreten darf:

    "Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass die Freiheit etwas ist, um das wir jeden Tag kämpfen müssen. Es ist doch unmöglich, dass so ein Mann im Fernsehen seine Meinung verbreiten darf, ein Mann, und die von uns veröffentlichten Dokumente beweisen es, der mit der Demokratie nichts, gar nichts im Sinn hat. Die Bürger haben die Aufgabe, unsere demokratische Freiheit zu verteidigen."

    Radikale Linke drohen bereits mit Anschlägen auf die Florentiner Sendestudios von Odeon TV, sollte die Sendung heute Abend tatsächlich ausgestrahlt werden. Das Innenministerium erklärte, dass so ein Verhalten ein Angriff auf die freie Meinungsäußerung sei - und ordnete Polizeischutz für den Demokratiefeind an.