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Porquerolles
In Einsamkeit auf einer Touristeninsel

Seit fast 20 Jahren lebt der orthodoxe Mönch Père Séraphin mitten in einem der beliebtesten Reiseziele an der französischen Mittelmeerküste: der Insel Porquerolles. Seine Ruhe findet er trotzdem.

Von Annick Eimer | 20.09.2015
    Blick zum Festland über den Hafen von Porquerolles.
    Von der französischen Insel Porquerolles kann man das Festland sehen. (dpa - picture-alliance / Robert B. Fishman, ecomedia)
    "Wer ich bin? Ich bin Père Séraphin. Ich bin ein Mönch, seit 68 Jahren. Ich bin im Alter von 18 Jahren ins Kloster eingetreten und jetzt bin ich 70 Jahre älter. Auf dieser Insel, auf Porquerolles, lebe ich nun seit August 95, ich bin also seit fast 20 Jahren hier."
    Père Séraphin ist Einsiedler, ein orthodoxer Mönch. Er lebt auf der Insel Porquerolles, die nahe der französischen Mittelmeerküste, auf halber Strecke zwischen Marseille und Saint Tropez liegt. Im Hochsommer ist die Insel voll von Tagestouristen. Die Besucher zieht es zu den kilometerlangen Sandstränden und den malerischen Buchten mit türkis glitzerndem Wasser. Doch von diesem Trubel kriegt Père Séraphin nichts mit. Er wohnt hoch oben auf einem Berg, in der Mitte der Insel.
    "Dieser Rahmen ist wirklich ideal, um als Einsiedler zu leben. Obwohl im Sommer manchmal 10.000 Menschen am Tag hier sind, sehe ich hier keinen. Manchmal kommen im Sommer ein paar hierher hoch, dann sind sie aber schweißgebadet, die Armen."
    2Ich bin hierher gekommen, um ein klösterliches Leben in der Einsamkeit zu führen"
    Das Glockenspiel, das er zur Messe läutet, steht im Innenhof einer militärischen Festung aus dem 19. Jahrhundert. Hier lebt Père Séraphin. Mehrere tausend Quadratmeter umfasst das Gelände. Allein die Gebäude haben eine Fläche von 1.500 Quadratmetern. Es sind große Gewölbe, unterirdisch, versteckt unter einem Erdhügel. Die Festung gehört dem französischen Staat. Und der ist laizistisch und hat sie deswegen Père Séraphin nur widerwillig und unter einer Auflage zur Verfügung gestellt: Er muss die Gebäude restaurieren und in Schuss halten. Das ist eine Sysiphos-Arbeit.
    "Ich bin nicht hierher gekommen, um zu arbeiten. Ich bin hierher gekommen, um ein klösterliches Leben in der Einsamkeit zu führen. Aber weil ich ein Dach brauchte, musste ich mir was suchen. Die Festung ist mein Dach, das ist alles. Ich musste aber zeigen, dass ich wirklich bleiben wollte, also habe ich in den ersten sieben, acht Jahren viel gearbeitet. Zu dem Zeitpunkt war ich Ende 60. Da hatte ich noch sehr viel Kraft und habe mich an die Arbeit gemacht. Jetzt sind die Arbeiten beendet und ich lebe mein klösterliches Leben, das heißt in Ruhe und in spiritueller Stille, so wie es mein Ziel war."
    Was aber nicht heißt, dass er sich dem Müßiggang hingibt, ganz im Gegenteil. Der Tagesablauf ist straff durchorganisiert. Drei Stunden arbeitet er auch heute noch täglich, repariert, was kaputt gegangen ist und schneidet Gras und Hecken. Schlaf gibt es nur für vier bis fünf Stunden. Die meiste Zeit verbringt er mit Beten in der Kapelle, die er in einem Teil der Festung eingerichtet hat. Allein in der Nacht hält er sich hier viele Stunden auf, zu Zeiten, in denen die meisten Menschen schlafen, nämlich von halb zwei bis fünf Uhr morgens.
    "Das ist die kleine Kapelle, die ich mir eingerichtet habe. Das war natürlich nicht als Kapelle angelegt. Der Raum diente der Verteidigung des Eingangs der Festung. Deswegen musste der Raum solider gebaut sein, als der Rest der Festung. Sie haben deswegen keinen Raum mit Rundbögen gebaut, sondern diese schmalen Kreuzgewölbe. Die sehen aus wie eine kleine Kapelle. Es war also nicht so schwierig, aus dem Raum eine echte Kapelle zu machen. Hier verbringe ich einen Teil der Nacht, bis fünf Uhr morgens. Um zehn komme ich wieder her, für eine Dreiviertelstunde. Abends, zum Vespergebet bin ich dann wieder eine Stunde oder eineinhalb Stunden hier. An Feiertagen noch länger, weil die Messe dann länger ist. Je wichtiger der Feiertag, desto länger dauert die Messe."
    Ein asketisches Leben
    Den Rest der Zeit verbringt er in seiner Zelle, einem kleinen Holzhäuschen neben der Festung. In das Holzhäuschen ist er erst vor drei Jahren gezogen. Vorher behauste er den ehemaligen Kontrollturm der Festung, der einen halben Meter aus dem Erdhügel herausragt. Doch die Feuchtigkeit und die Kälte dort haben Père Séraphin schwer zugesetzt. Heute noch tun ihm die Gelenke weh, wenn es kalt wird. In der Zelle schläft er auf einem schmalen Bett ein paar Stunden. Und er studiert an einem kleinen wackligen Schreibtisch religiöse Texte. Die dicken Fachliteratur-Wälzer, die sich den orthodoxen Heiligen und den Bräuchen der orthodoxen Kirche widmen, füllen ein großes Bücherregal in dem sonst kargen Raum. Es ist ein asketisches Leben, das er führt. Selbst fürs Essen verschwendet er bewusst keine Zeit.
    "Ich bin Vegetarier, ich esse also kein Fleisch. Gemüsegerichte zuzubereiten, das kostet viel Zeit. Mich zu viel mit materiellen Dingen zu beschäftigen, das ist nicht mein Job. Abends zum Beispiel esse ich nur eine Suppe, eine Fertigsuppe aus dem Supermarkt. Die ist in zehn Minuten zubereitet. Ich koche nur am Samstag und am Sonntag, weil man an diesen Tagen nicht fastet, so will es die orthodoxe Tradition. Da koche ich dann Gemüse und Linsen, oder Reis, oder Nudeln. Das Leben eines Mönchs ist eben ein asketisches Leben. Das ist kein fürstliches Leben, wo man sich seinen Freuden hingibt, sich ausruht und nichts macht."
    Selten, nur zu den großen Feiertagen, kehrt Père Séraphin in sein Heimatkloster zurück. Er zieht die Einsamkeit vor. Doch ab und an verirren sich doch Menschen zu ihm. Denen ein offenes Ohr zu schenken, sieht er als seine Aufgabe.
    "Ich mag die Einsamkeit. Ich lehne es trotzdem nicht ab, Menschen um mich zu haben. Ich empfange Besucher. Auch das gehört zum Klosterleben und zur Askese dazu. Ich verzichte auf ein bisschen Einsamkeit, um sie zu empfangen und um ihnen ein paar gute Worte zu schenken. Manchmal braucht es das in unserer Zeit. Die Menschen heute leben für ihr Haus, für ihr Auto und für ihre Ferien. Sie schaffen sich Bedürfnisse, die meist nicht sehr nützlich sind. Dann brauchen sie immer mehr Geld, um die Bedürfnisse zu befriedigen und wenn sie das nicht haben, dann sind sie unglücklich. Der Mönch hingegen lebt zufrieden mit Gott und mit sich selbst. Diese Zufriedenheit kann er an sein Umfeld weitergeben."
    Es ist Zeit zu gehen. Père Séraphin macht sich auf zu seinem Glockenspiel, um das abendliche Vespergebet einzuläuten.
    "Wissen Sie, wenn Sie gegangen sind, werde ich nicht aufgewühlter sein, als vorher. Die Ruhe wird gleich wieder einkehren."