Seit dreißig Jahren ist Portugal nun eine Demokratie. Aber auch die neue politische Klasse hat nicht vergessen, dass sich mit dem Fußball Probleme überdecken lassen. Und der ganz große Seelentröster, das soll nun die Europameisterschaft sein, am besten mit einem Finalsieg für die eigene Elf.
Damit keine Mißverständnisse aufkommen: die EM auf die Beine gestellt zu haben, dass ist ein beachtlicher Erfolg für ein Land, das noch vor dreißig eine Diktatur war und als das Armenhaus Europas galt. Bei der Vergabe des Turniers im Jahr 1999 hatten noch viele Zweifel, dass am Eröffnungstag alle Stadien fertig sein würden. Aber trotz aller Unkenrufe haben es die Portugiesen geschafft, die nach Olympia und Fußball-WM drittgrößte Veranstaltung zu organisieren.
Und sicher wird die EM auch wirtschaftliche Effekte bringen. Zwar ist noch nicht ausgemacht, ob die über 600 Millionen Euro für Stadien und Straßen am Ende mehr Wachstum bringen oder nur mehr Schulden. Aber zumindest die Hoffnung auf einen Aufschwung für die wichtige Tourismusbranche scheint begründet.
All das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Portugal in der Krise steckt. Vordergründig ist da erst einmal die wirtschaftliche Malaise. Nach der Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft im Jahr 1986 ging es noch scheinbar unaufhaltsam aufwärts, auch Dank der Milliarden aus Brüssel. Die Wirtschaft wuchs, aber auch der Lebensstandard der breiten Bevölkerung. Nicht alle, aber weite Teile des Landes haben inzwischen eine Infrastruktur mit europäischem Standard.
Die Weltausstellung 1998 in Lissabon war so etwas wie der feierliche Schlußstein dieses Aufbauwerks, aber eben auch ein Wendepunkt. Denn seitdem geht es bergab.
Die Wirtschaft will nicht mehr wachsen. Die Arbeitslosigkeit steigt, besonders bei jungen Leuten. Portugal handelte sich das erste EU-Defizit-Verfahren ein. Nicht nur der Staat, auch Millionen von Privathaushalten sind hoch verschuldet.
Vor zwei Jahren bekam die Regierung des sozialistischen Premiers Guterres die Quittung für diesen Niedergang. Sein Nachfolger Durão Barroso versucht, mit überwiegend neoliberalen Rezepten umzusteuern. Der Staat spart und mutet den Bürgern neue Belastungen zu, etwa eine deutliche Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Doch inzwischen bezweifeln immer mehr Portugiesen, dass diese Therapie der Mitte-Rechts-Regierung anschlägt. Viele glauben, die Opfer seien umsonst gebracht worden, weil bei den Reformen die große Linie fehle. Und manche denken auch, dass ein Land von der Größe Portugals im Grunde gar nicht mehr aus eigener Kraft auf die Folgen der Globalisierung reagieren kann. Bei der Europawahl haben die Regierungsparteien PSD und PP nun ihrerseits einen Denkzettel bekommen.
Portugal hat aber nicht nur Wirtschaftsprobleme. Das Land sucht nach seinem Platz in Europa. Welche Rolle kommt einer Nation zu, die einmal Weltmacht war und vor dreißig Jahren noch Kolonien hatte - und die sich nun am äußersten Rand einer EU wiederfindet, deren Schwerpunkt nach Osten gewandert ist?
Von der EU-Erweiterung jedenfalls erwartet kaum jemand Gutes. Die Subventionen sprudeln nicht mehr wie früher. Und aus dem Osten kommt Billiglohnkonkurrenz, die schon jetzt Aufträge abzieht - nicht zuletzt von deutschen Unternehmen, die lange als Investoren tonangebend waren.
Ein Sozialstaat, wie wir ihn verstehen, auch das fehlt in Portugal. Noch heute begreifen viele nicht, wie ein Land, in dem es zuwenig Krankenhausbetten gibt, ausgerechnet zehn EM-Stadien bauen konnte. Das niedrige Wohlstandsniveau wird oft noch mit dem Erbe der Diktatur und dem Untergang des Kolonialreichs erklärt.
Keine Ausrede hat die nach 1974 an die Macht gekommene demokratische Elite für andere Defizite: Die aufgeblähte staatliche Verwaltung beschäftigt fast 15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung, ein Rekord in Europa. Effektiv ist die öffentliche Hand aber nicht. Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Portugiesen quittieren dieses Versagen mit Steuerverweigerung - und fühlen sich im Recht.
Unter den Schwachpunkten der Verwaltung seien zwei besonders genannt. Der Bildungssektor verharrt ganz am Ende der europäischen Rangliste. Das gilt für Schulen, Berufsausbildung und Universitäten gleichermaßen.
Und auch in den Rechtsstaat fehlt den Portugiesen das Vertrauen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam und oft auch willkürlich. Das Rechtssystem scheint überfordert. Ein aktuelles Beispiel sind die Ermittlungen in einem schlimmen Fall, der das Land aufgewühlt hat. Es geht um jahrelange, systematische Schändung von Kindern aus dem Lissabonner Waisenhaus Casa pia. Unter den Verdächtigen sind ein Fernsehstar und ein Abgeordneter. Auch dieses Verfahren wurde spektakulär begonnen. Es hagelte Festnahmen und öffentliche Vorverurteilungen. Knapp zwei Jahre später dreht sich die Sache im Kreise.
Bei der Fußball-EM werden sich die Portugiesen mit Sicherheit bis zum letzten Tag so zeigen wie sie sind: als herzliche und großzügige Gastgeber. Aber die Probleme des Landes kann die Europameisterschaft nur vertagen und nicht lösen, selbst wenn Luis Figo am vierten Juli den Siegerpokal in die Höhe recken sollte. Die überfällige Reform von Verwaltung und Justiz, das wäre für Portugal ein viel wichtigerer Triumph als der lang ersehnte, erste EM-Titel.
Damit keine Mißverständnisse aufkommen: die EM auf die Beine gestellt zu haben, dass ist ein beachtlicher Erfolg für ein Land, das noch vor dreißig eine Diktatur war und als das Armenhaus Europas galt. Bei der Vergabe des Turniers im Jahr 1999 hatten noch viele Zweifel, dass am Eröffnungstag alle Stadien fertig sein würden. Aber trotz aller Unkenrufe haben es die Portugiesen geschafft, die nach Olympia und Fußball-WM drittgrößte Veranstaltung zu organisieren.
Und sicher wird die EM auch wirtschaftliche Effekte bringen. Zwar ist noch nicht ausgemacht, ob die über 600 Millionen Euro für Stadien und Straßen am Ende mehr Wachstum bringen oder nur mehr Schulden. Aber zumindest die Hoffnung auf einen Aufschwung für die wichtige Tourismusbranche scheint begründet.
All das kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass Portugal in der Krise steckt. Vordergründig ist da erst einmal die wirtschaftliche Malaise. Nach der Aufnahme in die Europäische Gemeinschaft im Jahr 1986 ging es noch scheinbar unaufhaltsam aufwärts, auch Dank der Milliarden aus Brüssel. Die Wirtschaft wuchs, aber auch der Lebensstandard der breiten Bevölkerung. Nicht alle, aber weite Teile des Landes haben inzwischen eine Infrastruktur mit europäischem Standard.
Die Weltausstellung 1998 in Lissabon war so etwas wie der feierliche Schlußstein dieses Aufbauwerks, aber eben auch ein Wendepunkt. Denn seitdem geht es bergab.
Die Wirtschaft will nicht mehr wachsen. Die Arbeitslosigkeit steigt, besonders bei jungen Leuten. Portugal handelte sich das erste EU-Defizit-Verfahren ein. Nicht nur der Staat, auch Millionen von Privathaushalten sind hoch verschuldet.
Vor zwei Jahren bekam die Regierung des sozialistischen Premiers Guterres die Quittung für diesen Niedergang. Sein Nachfolger Durão Barroso versucht, mit überwiegend neoliberalen Rezepten umzusteuern. Der Staat spart und mutet den Bürgern neue Belastungen zu, etwa eine deutliche Erhöhung der Mehrwertsteuer.
Doch inzwischen bezweifeln immer mehr Portugiesen, dass diese Therapie der Mitte-Rechts-Regierung anschlägt. Viele glauben, die Opfer seien umsonst gebracht worden, weil bei den Reformen die große Linie fehle. Und manche denken auch, dass ein Land von der Größe Portugals im Grunde gar nicht mehr aus eigener Kraft auf die Folgen der Globalisierung reagieren kann. Bei der Europawahl haben die Regierungsparteien PSD und PP nun ihrerseits einen Denkzettel bekommen.
Portugal hat aber nicht nur Wirtschaftsprobleme. Das Land sucht nach seinem Platz in Europa. Welche Rolle kommt einer Nation zu, die einmal Weltmacht war und vor dreißig Jahren noch Kolonien hatte - und die sich nun am äußersten Rand einer EU wiederfindet, deren Schwerpunkt nach Osten gewandert ist?
Von der EU-Erweiterung jedenfalls erwartet kaum jemand Gutes. Die Subventionen sprudeln nicht mehr wie früher. Und aus dem Osten kommt Billiglohnkonkurrenz, die schon jetzt Aufträge abzieht - nicht zuletzt von deutschen Unternehmen, die lange als Investoren tonangebend waren.
Ein Sozialstaat, wie wir ihn verstehen, auch das fehlt in Portugal. Noch heute begreifen viele nicht, wie ein Land, in dem es zuwenig Krankenhausbetten gibt, ausgerechnet zehn EM-Stadien bauen konnte. Das niedrige Wohlstandsniveau wird oft noch mit dem Erbe der Diktatur und dem Untergang des Kolonialreichs erklärt.
Keine Ausrede hat die nach 1974 an die Macht gekommene demokratische Elite für andere Defizite: Die aufgeblähte staatliche Verwaltung beschäftigt fast 15 Prozent der arbeitenden Bevölkerung, ein Rekord in Europa. Effektiv ist die öffentliche Hand aber nicht. Hunderttausende, wenn nicht Millionen von Portugiesen quittieren dieses Versagen mit Steuerverweigerung - und fühlen sich im Recht.
Unter den Schwachpunkten der Verwaltung seien zwei besonders genannt. Der Bildungssektor verharrt ganz am Ende der europäischen Rangliste. Das gilt für Schulen, Berufsausbildung und Universitäten gleichermaßen.
Und auch in den Rechtsstaat fehlt den Portugiesen das Vertrauen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam und oft auch willkürlich. Das Rechtssystem scheint überfordert. Ein aktuelles Beispiel sind die Ermittlungen in einem schlimmen Fall, der das Land aufgewühlt hat. Es geht um jahrelange, systematische Schändung von Kindern aus dem Lissabonner Waisenhaus Casa pia. Unter den Verdächtigen sind ein Fernsehstar und ein Abgeordneter. Auch dieses Verfahren wurde spektakulär begonnen. Es hagelte Festnahmen und öffentliche Vorverurteilungen. Knapp zwei Jahre später dreht sich die Sache im Kreise.
Bei der Fußball-EM werden sich die Portugiesen mit Sicherheit bis zum letzten Tag so zeigen wie sie sind: als herzliche und großzügige Gastgeber. Aber die Probleme des Landes kann die Europameisterschaft nur vertagen und nicht lösen, selbst wenn Luis Figo am vierten Juli den Siegerpokal in die Höhe recken sollte. Die überfällige Reform von Verwaltung und Justiz, das wäre für Portugal ein viel wichtigerer Triumph als der lang ersehnte, erste EM-Titel.