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Portugal: "Bewegung der Arbeitslosen" kämpft für mehr Rechte auf dem Arbeitsmarkt

Portugal steckt in einer tiefen Wirtschaftskrise. Darunter leiden vor allem junge Menschen. Viele von ihnen suchen den Weg ins Ausland. Doch in Lissabon und anderen Städten formieren sich neue Bewegungen, die sich vor Ort für eine Verbesserung der Situation junger Arbeitsloser einsetzen.

Von Tilo Wagner | 21.05.2012
    Premierminister Pedro Passos Coelho hatte sich seinen Sonntagsspaziergang über die Lissabonner Buchmesse unter freiem Himmel eigentlich ganz anders vorgestellt. An der Seite seiner Ehefrau schlenderte der Regierungschef in offenem Hemd und legerem Sakko an den Verlagsständen vorbei – und wurde heftig ausgepfiffen.

    Passos Coelho hatte in den vergangenen Tagen mehrmals hintereinander öffentlich bekräftigt, dass die Arbeitslosen ihre Situation auch als Chance begreifen müssten – das provozierte die Wut vieler junger Portugiesen. Auch die arbeitslose Geografin Ana Rajado stand in der protestierenden Menge:

    "Wir von der Bewegung der Arbeitslosen glauben, dass uns Premierminister Passos Coelho offen beleidigt hat. Er hat offensichtlich überhaupt keinen Respekt vor arbeitslosen Menschen, die sich in einer verzweifelten Situation befinden. Dabei ist doch die Regierung an der Wirtschaftskrise Schuld. Passos Coelho weist die Verantwortung aber von sich und schiebt sie den Arbeitslosen zu, indem er ihnen vorwirft, nicht genügend Initiative zu zeigen. Das ist eine freche Lüge."

    Seit eineinhalb Jahren ist Ana Rajado arbeitslos gemeldet. Die einzige Stellenausschreibung, die das Arbeitsamt für die Geografin in dieser Zeit gefunden hat, war ein Job als Spanischlehrerin, für den sie natürlich nicht qualifiziert war. Fast täglich bewirbt sich die 34-Jährige auf Arbeitsstellen, die sie selbst recherchiert. Doch die Unternehmen melden sich nicht und schicken noch nicht einmal eine Absage zurück. In Anas Freundeskreis macht sich Resignation, aber auch Wut breit:

    "Wir erleben einen Rückschritt. Viele von uns hatten bereits ihr eigenes, unabhängiges Leben. Doch jetzt müssen wir zurück in unser Elternhaus, weil wir für unseren Lebensunterhalt alleine nicht aufkommen können. Und viele müssen auswandern, weil die Familien sie nicht weiter durchfüttern können. Aber es gibt eine ganze Menge junger Leute, die nicht weg wollen. Und wir haben ja wohl das Recht, hier zu bleiben. Ich bleibe jedenfalls und werde dafür kämpfen, dass sich endlich etwas verändert."

    Vor zwei Monaten gründeten Ana Rajado und knapp sechzig weitere junge Portugiesen die "Bewegung der Arbeitslosen", um einer sozialen Gruppe ein Gesicht zu geben, die von den staatlichen Behörden ignoriert wird. Die Regierung hat bisher keinerlei Anstrengungen unternommen, um die Jugendarbeitslosigkeit mit konkreten Maßnahmen zu bekämpfen. Stattdessen hat sie eine Reihe von Arbeitsmarktreformen angestoßen, die die Situation auf dem Arbeitsmarkt noch verschlechtern könnte: Fristlose Kündigungen werden danach für Unternehmen wesentlich billiger. Zudem soll auf Druck der EU-Kommission das Arbeitslosengeld in Zukunft nur noch für höchstens 18 Monate ausgezahlt werden.

    Passos Coelhos unbeholfener Appell an die Eigeninitiative der Arbeitslosen war schon der zweite sprachliche Aussetzer des Premierministers. Vor ein paar Monaten hatte der Regierungschef seine arbeitslosen Mitbürger bereits direkt zur Emigration ermutigt.

    Der Unmut über die Regierung wächst unter den jungen Portugiesen. Innerhalb kürzester Zeit hat die "Bewegung der Arbeitslosen" übers Internet mehr als 2000 Anhänger mobilisieren können. Im Vordergrund stehen für Mitgründerin Ana Rajado politische Forderungen:

    "Wir wollen nicht unbedingt unsere finanzielle Situation als Arbeitslose verbessern. Wir wollen Jobs. Wir wollen arbeiten. Doch solange wir nicht arbeiten dürfen, muss unsere Menschenwürde respektiert werden. Wir Arbeitslosen dürfen nicht wie Kriminelle behandelt werden. Denn wir haben in die Sozialversicherungskasse eingezahlt und haben das Recht auf Unterstützung. Und darüber hinaus fordern wir das Ende aller Scheinselbstständigkeit, von der so viele junge portugiesische Arbeitnehmer betroffen sind."

    Die Bewegung bietet eine kostenlose juristische Beratungsstelle für die Scheinselbstständigen an, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld haben. Konkrete Ideen, wie in Portugal mehr Arbeitsplätze entstehen können, hat die "Bewegung der Arbeitslosen" jedoch noch nicht präsentiert. Die allgemeine Ratlosigkeit teilen die jungen arbeitslosen Portugiesen ausgerechnet mit ihrer ungeliebten Regierung.