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Portugal
Ertrunken im Atlantik

Mitte Dezember wurden sechs Studenten an einem Strand südlich von Lissabon von einer Welle ins Meer gerissen. Sie ertranken im Atlantik. Das Unglück könnte durch eine Studentenmutprobe ausgelöst worden sein. Nun diskutiert Portugal über diese weit verbreiteten Rituale.

Von Tilo Wagner | 18.02.2014
    Wellen auf dem Atlantik
    Noch ist das Meer ruhig, doch Winterstürme können den Atlantik enorm unruhig werden lassen. (picture-alliance/ dpa)
    Jedes Jahr zu Beginn des Wintersemesters spielen sich in portugiesischen Hörsälen chaotische Szene ab. Studenten in talarartigen Gewändern stürmen die Universitäten, ziehen die Erstsemester aus den Vorlesungen und veranstalten mit ihnen eine Reihe von Spielen und Mutproben. Die "Praxe" ist ein Initiationsritus, der seit Jahrhunderten an der Universität Coimbra ausgeübt wird und sich im 20. Jahrhundert auf alle privaten und staatlichen Hochschulen in Portugal ausgebreitet hat.
    "Es soll ein Mittel zur Integration der Erstsemester sein. Es ist nicht böswillig. Es ist die einfachste Art und Weise, sich gegenseitig kennenzulernen. Wir machen keine Mutproben und Spiele, um uns über die Erstsemester lustig zu machen. Wir wollen einfach nur zusammen Spaß haben."
    "Einfach nur zusammen Spaß haben"
    Lourenço Lima ist Publizistikstudent an der Katholischen Universität Lissabon und Präsident einer Studentenkommission, die die Mutproben für Erstsemester organisiert. An seiner Uni ginge es darum, Spiele, Musik und neue Freunde zu finden. Missbrauchsfälle, Bullying oder Gewaltexzesse seien ihm nicht bekannt. Lourenço Lima gibt jedoch zu, dass an den portugiesischen Universitäten generell Unklarheit herrsche, welche Mutproben erlaubt und welche verboten seien:
    "Es gibt einen ganz allgemeinen Kodex, der von der Universität Coimbra festgelegt wurde. Aber jede Fakultät an jeder Universität wendet ihn anders an. Jeder Fachbereich hat seine eigene Identität und will sich von den anderen abgrenzen. Und das tun die Fakultäten auch, indem sie wählen, welche Mutproben organisiert werden und wie hart diese Mutproben sind."
    Schädeltrauma und Querschnittslähmung
    An portugiesischen Hochschulen haben diese Mutproben schon mehrmals zu Gewaltexzessen geführt. Im Jahr 2001 starb ein Student an den Folgen eines Schädeltraumas, nachdem er während eines Rituals von Kommilitonen brutal getreten worden war. In den Folgejahren blieben zwei Studenten nach missglückten Mutproben querschnittsgelähmt.
    Mitte Dezember ertranken nun sechs Kommilitonen einer privaten Lissabonner Universität im Atlantik. Der einzige Überlebende und Augenzeuge war als Anführer der Praxe-Bewegung an der Hochschule bekannt. Seit mehreren Wochen wird vor allem in der portugiesischen Boulevardpresse spekuliert, ob das Unglück nicht in einem direkten Zusammenhang mit einem Studentenritual stehen könnte.
    André Machado will über den Unglücksfall nicht sprechen, der in den vergangenen Wochen die Studententradition in Portugal in ein neues Licht gerückt hat. Der Präsident der Studentenvertretung der Universität Lissabon glaubt, dass eine überwältigende Mehrheit der Mutproben die Würde der Erstsemester nicht verletzen oder das Leben aufs Spiel setzen würde. Doch auch er weiß:
    Aggressive und gewalttätige Rituale
    "Es gibt Rituale, die aggressiv und gewalttätig sind. Diese lehnen wir strikt ab, zusammen mit allen Studentenvertretungen. Wir haben uns deshalb mit dem Bildungsminister getroffen und ihm ein Statut vorgelegt, wie die Position der Studenten in Portugal künftig neu definiert und gestärkt werden kann."
    Ein Verbot der Studentenrituale hält André Machado jedoch für keine gute Idee:
    "Das würde ein großes Risiko mit sich bringen. Die Rituale würden im Geheimen weitergehen, ohne dass die Universitäten eine Möglichkeit haben, sie zu regulieren."
    Das neue Studenten-Gesetz soll genau festlegen, welche Mutproben an portugiesischen Universitäten verboten sind und wer die Verantwortung für Gewaltexzesse an Erstsemestern in Zukunft übernehmen muss. Das halten auch die Befürworter der Rituale für wichtig, um einer künftigen Generation von Studenten in Portugal die Angst vor einer Tradition zu nehmen, die mit Gewalt eigentlich nichts zu tun haben sollte.