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Portugal und die NATO

Heute beginnt in Lissabon der NATO-Gipfel. Das NATO-Gründungsmitglied Portugal ist zum ersten Mal Gastgeber des militärstrategischen Treffens. Das Land hat sich in den vergangenen Jahren an allen NATO-Missionen beteiligt. Doch wichtige Stützpunkte in Portugal könnten im Zuge einer neuen Ausrichtung der Allianz an Bedeutung verlieren.

Von Tilo Wagner | 19.11.2010
    Die Mitgliedschaft in der Militärallianz hat für die Regierenden in Portugal immer schon eine stabilisierende Wirkung gehabt. Als Portugal 1949 die NATO mitbegründete, war es der einzige nicht-demokratische Staat in der Allianz. Über die ideologischen Standpunkte sahen die Alliierten in Washington, Paris und London hinweg: Portugal spielte eine wichtige Rolle im neuen Verteidigungsbündnis - allein schon, um eine für die Atlantikflüge strategisch wichtige Militärbasis auf einer portugiesischen Azoren-Insel aufbauen zu können. Das autoritäre Regime von António de Oliveira Salazar nutzte die internationale Legitimierung auch, um innenpolitische Widersacher zu schwächen. Das sagt der ehemalige Verteidigungsminister und Historiker Nuno Severiano Teixeira:

    "Salazar konnte zum einen die Militärs in das Projekt einer Modernisierung und Professionalisierung der Streitkräfte einbinden: dadurch verlor das Militär zunächst das Interesse, sich über Staatsstreiche in die Politik einzumischen. Zum anderen schaffte er es, die Regimegegner zu spalten. Die der UdSSR nahe stehenden Kommunisten war gegen die Mitgliedschaft; die demokratisch-republikanische Opposition erhoffte sich vom NATO-Beitritt den Beginn einer demokratischen Transition."

    Erst ein Vierteljahrhundert später brachte die so genannte "Nelkenrevolution" das Ende des autoritären Regimes. In der zweijährigen heißen Phase des politischen Umbruchs steuerte Portugal unter Führung der Kommunisten und linksgerichteter Militärs auf den Sozialismus zu. Die NATO-Mitgliedschaft stand dabei jedoch nicht auf dem Spiel, sagt Teixeira:

    "Die Kommunisten kontrollierten zu dieser Zeit weder das Vereidigungs- noch das Außenministerium. Portugals Ausstieg aus der NATO war kein Thema, aber weil die Kommunisten mit an der Macht waren, wurde Portugal bis Ende der siebziger Jahre von sensiblen Ressorts, wie etwa dem Komitee zu Nuklearwaffen, ausgeschlossen."

    Die Kommunistische Partei, die bei den Parlamentswahlen im vergangenen Jahr auf knapp acht Prozent der Wählerstimmen kam, ihren Einfluss aber vor allem über einen großen Gewerkschaftsverband geltend macht, ist heute noch der stärkste politische Gegner der NATO in Portugal. Für den morgigen Samstag hat sich die Partei einer Großdemonstration in der Lissabonner Innenstadt angeschlossen. Auch der ebenfalls im Parlament vertretene Linksblock veranstaltete in diesen Tagen Konzerte und Treffen gegen den NATO-Gipfel. Doch die gemäßigten Parteien im Parlament sind sich hinsichtlich der Grundzüge der portugiesischen Außenpolitik einig. Nuno Teixeira:

    "Die große Mehrheit der Parteien im Parlament, das heißt die Sozialisten, die Sozialdemokraten und die Volkspartei, teilen einen gesellschaftlichen Konsens in Fragen der Verteidigungs- und Außenpolitik. Die aktive Mitgliedschaft Portugals in der NATO halten diese Parteien für absolut notwendig."

    Neben dem Militärflughafen auf den Azoren unterhält die Allianz noch eines von drei Hauptkommandos in der Nähe von Lissabon. Aus NATO-Kreisen ist zu vernehmen, dass es im Zuge der geplanten Strukturreform Bestrebungen gibt, den Stützpunkt zu verkleinern - sehr zum Leidwesen der portugiesische Regierung. Sie wird deshalb nicht müde, die Bedeutung des Standortes Lissabon zu betonen. José Anes, Leiter der unabhängigen Beobachtungsstelle für Sicherheit, Organisierte Kriminalität und Terrorismus, erklärt, welche neue Aufgaben das NATO-Kommando in Portugal in Zukunft ausführen könnte:
    "Wir glauben, dass die NATO in Zukunft im südlichen Atlantik eine wichtigere Rolle spielen könnte. Wir haben dort eine Reihe von Sicherheitsproblemen: Terroristen in der Sahel-Zone, Instabilität in Staaten wie Guinea-Bissau oder Nigeria, Drogenhandel zwischen Südamerika und der afrikanischen Westküste. Portugal könnte wegen seiner geographischen Lage und seinen guten Beziehungen zu Afrika hier Verantwortung übernehmen."