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Portugals Bürger wehren sich zunehmend gegen EU-Sparvorgaben

14 Prozent Arbeitslosigkeit, immer weiter sinkende Einkommen und höhere Steuern, weniger Sozialleistungen und eine immer schlimmer werdende Rezession: In Portugal gärt der Volkszorn. Ökonomen fordern mehr Wachstumsimpulse - und die Opposition nimmt die Politik von Premier Coelho ins Visier.

Von Jochen Faget | 28.02.2012
    Portugal zu regieren, das ist zurzeit alles andere als ein Traumjob. Pedro Passos Coelho hat das in der vergangenen Woche wieder erlebt, in der eigentlich so friedlichen und konservativen Provinzstadt Guarda. Statt Applaus - Proteste. Obwohl der Ministerpräsident einer älteren Dame doch zu erklären versuchte, auch er trete für angemessene Renten ein, gerade für Menschen, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet haben.

    Nach über 40 Jahren Berufsleben bekomme sie gerade noch 500 Euro monatlich antwortete die entrüstete Rentnerin und die Demonstranten brüllten den Regierungschef nieder. Die Proteste gegen die drastische Sparpolitik der Regierung werden immer lauter.

    "Die Leute haben bis vor Kurzem geglaubt, dass ihre Opfer Ergebnisse bringen würden"," erklärt der Soziologe und Wirtschaftsprofessor José Maria Castro Caldas. ""Nun erkennen sie, dass das nicht geschehen wird. Sie begreifen, dass die Opfer, die sie bringen, nutzlos sind."

    14 Prozent Arbeitslosigkeit, immer weiter sinkende Einkommen und höhere Steuern, weniger Sozialleistungen und eine immer schlimmer werdende Rezession – die Auswirkungen der von der EU und der Troika verordneten Sparpolitik sind sehr drastisch. Und da die Portugiesen immer lauter dagegen protestieren, schlagen die portugiesischen Politiker langsam und vorsichtig neue Töne an. Erste Forderungen nach einer Neuverhandlung des EU-Sanierungsplans kommen auf. Oppositionschef António José Seguro stand bisher klar hinter dem Sparprogramm, jetzt erklärte er nach einem Treffen mit der Troika:

    "Ich werde natürlich nicht verraten, was bei diesem Treffen besprochen wurde. Aber ich will nicht verbergen, dass die Troika und die Sozialistische Partei klar unterschiedliche Standpunkte haben, was den Konsolidierungsprozess des Staatshaushaltes betrifft und vor allem die Prioritäten."

    Portugal laufe Gefahr, sich tot zu sparen – davor warnt inzwischen nicht mehr nur die Linke. Selbst im Regierungslager werden die kritischen Stimmen immer lauter, stellt der Ökonom Castro Caldas fest:
    "Auch innerhalb der PSD wird immer deutlicher Wirtschaftswachstum gefordert. Das ist aber wegen der Sparpolitik nicht möglich. Nur kommen wir ohne Wachstum nicht aus diesem Teufelskreis heraus."

    Neu verhandeln, über den Abbau der Staatsschulden und die Bedingungen der EU für Finanzhilfen - das wollen immer mehr der gemäßigten Politiker der Mitte, während die extreme Linke nach wie vor auf einem Schuldenschnitt nach griechischem Vorbild und weiteren Hilfen besteht. Selbst Ministerpräsident Passos Coelho erklärte in der Stadt Guarda, wo er so heftig ausgepfiffen wurde, er wisse nicht, ob Neuverhandlungen nötig würden, oder nicht.

    Sicher ist nur, dass die Proteste gegen das Sparen immer breiter werden. Der soziale Frieden, der in Portugal erstaunlich lange gehalten habe, stehe ernsthaft auf dem Spiel, so der Soziologe und Wirtschaftswissenschaftler Castro Caldas:
    "Niemand kann voraussagen, wie diese Bewegungen sich weiter entwickeln werden. Aber eines ist sicher: Die Friedhofsruhe in Portugal wird nicht ewig andauern."

    Also wird der öffentliche Druck auf Portugals Politiker wird immer stärker. Vor zwei Wochen protestierten gut 300.000 Menschen gegen die Sparpolitik, immer mehr Bürger fordern ein Umdenken:
    "Wir, die Arbeitnehmer und Rentner, können diese ständigen Kürzungen nicht mehr hinnehmen. Die Regierung sollte den Abbau der Staatsschulden neu aushandeln und mehr Zeit fordern. Wir brauchen bessere Arbeits- und Lebensbedingungen."

    Portugal steht letztendlich vor einer unangenehmen Alternative: Ärger mit der EU, aber bessere Bedingungen für Finanzhilfen oder griechische Verhältnisse. Und um ihre Forderungen zu unterstreichen, haben die Gewerkschaften für den 22. März bereits zu einem neuen Generalstreik aufgerufen. Es gibt zurzeit wirklich Schöneres, als Regierungschef in Portugal zu sein.