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Possierlich und unerwünscht

Biologie. - Die Förderung der Biodiversität bedeutet in der Regel, dass eine Art, der Mensch nämlich, sich Beschränkungen auferlegt. Daraus können Konflikte erwachsen, etwa im dichtbesiedelten Deutschland, wo Problembär Bruno sie mit dem Leben bezahlte. Doch auch an der ziemlich unberührten kanadischen Westküste ist die Wiederansiedlung von Tierarten nicht unproblematisch, wie das Beispiel der See-Otter zeigt.

Von Dagmar Röhrlich |
    40 Jahre ist es her, dass See-Otter von den Aleuten nach British Columbia gebracht worden sind. Im Meer vor Vancouver Island erobern sie inzwischen Bucht um Bucht - und das hat Folgen:

    "Die See-Otter gehören zu den Schlüsselarten in einem Ökosystem, weil sie als Raubtiere die Struktur ihres Lebensraums verändern","

    erklärt Kai Chan vom Institut für Ressourcen, Umwelt und Nachhaltigkeit an der University of British Columbia in Vancouver. Schließlich fressen die possierlichen Tiere um die zehn Kilo Muscheln, Seeigel und Krabben - täglich.

    ""In seeotterfreien Gebieten werden Muscheln in Strandnähe bis zu 20 Zentimeter lang. Wo Otter leben, schaffen sie höchstens zwölf Zentimeter. Auch bei Krabben, Seesternen und Schnecken gibt es zwischen Lebensräumen mit und ohne Ottern gravierende Unterschiede."

    See-Otter fressen sich ihre Umwelt zurecht. Und es ist vor allem ihr Appetit auf Seeigel, mit dem sie vor Vancouver Island tief in die Ökosysteme eingreifen. Chan:

    "Die Seeigel weiden den Seetang, also den Kelp ab. Nach dem Aussterben der Otter hatten sie die Kelpwälder bis auf Restbestände verdrängt. Als die Seeotter dann zurückkehrten, machten sie sich über die Seeigel her und innerhalb weniger Jahre kamen die Kelpwälder zurück."

    Kelpwälder gehören zu den produktivsten Ökosystemen der Erde. Viele Tiere nutzen sie als Kinderstube. Wo der Seetang wuchert, entsteht ein vielfältiger Lebensraum, der ausstrahlt und benachbarte Meeresgebiete fruchtbarer macht. Das von den Seeigel dominierte Ökosystem dagegen verschwindet. Die wenigen, die es noch gibt, verbergen sich in Felsspalten. Artenschützer freut das alles - aber genau hier liegt das Problem:

    "Die Muscheln, Krabben und Seeigel, die die Otter fressen, haben eine Marktwert für die Berufs- und Hobbyfischer und einen kulturellen Wert für die Angehören der indigenen Stämme. Die Rückkehr der See-Otter ist keine gute Nachricht für die Küstengemeinden, die sich auf Muschelzucht verlegt haben."

    Deshalb versuchen Kai Chan und seine Arbeitsgruppe in einem Forschungsprojekt nicht nur die Umweltveränderungen zu analysieren, sondern auch Lösungsansätze für die Konflikte zu suchen. Anders als in Kalifornien, wo die Verluste durch die Otter durch die Tourismus-Einnahmen wettgemacht werden, bleiben auf Vancouver Island vor allem die einsam lebenden Stämme der First Nations sozusagen darauf sitzen.

    "Im Juni hatten wir einen dieser Stämme besucht und unser Projekt vorgestellt. Die Menschen leben so isoliert, dass sie auf die Nahrung aus dem Meer angewiesen sind. Sie erzählten uns sehr eindringlich, wie sehr sie die Seeigel vermissen, die einen großen Teil ihrer traditionellen Ernährung ausmachen und außerdem als Delikatesse gelten. Früher waren sie leicht zu finden, heute ist das fast unmöglich."

    Um eine Lösung zu finden, werden auch archäologische Informationen herangezogen. Sie vermitteln einen Eindruck darüber, wie es früher war, als Menschen und Otter noch ans Zusammenleben gewöhnt waren. Prähistorische Küchenabfälle sind da sehr verräterisch:

    "Man sieht deutlich, dass Menschen und Otter und Muscheln über Jahrtausende zusammengelebt haben. Wir wissen, dass die Stämme Aquakultur betrieben und sogenannte Muschelgärten anlegten - das ist kaum vorstellbar, wenn die Otter freien Zugang gehabt hätten."

    Es wäre also ideal, wieder passende Systeme zu entwickeln. Angesichts der Intelligenz und Geschicklichkeit der Seeotter ist das jedoch nicht einfach. Deshalb überlegen die Forscher, wie ein Abschreckungssystem aussehen könnte, das die Tiere aus einzelnen Buchten heraushält. Dort könnten die Menschen dann züchten, was sie brauchen, ohne mit ihren tierischen Konkurrenten teilen zu müssen - und vielleicht lassen sich dann Menschen und Seeotter wieder aussöhnen, so, wie es früher war, bevor die Pelzhändler kamen.

    Anm. d. Red.: Versehentlich ist in der MP3- und Sendefassung von "Seegurken" die Rede, wo "Seeigel" gemeint sind.)