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Post Bellum. Gedichte

PostBellum

Cornelia Jentzsch | 30.07.2001
    Gestalten, destilliert im/ Traum werfen am Horizont/ die Fahnen fort/ Der Teich wird licht/ Das Gelächter der Vermissten/ beweist Schmerz/ ist der Schrei des Lotos/ Unser Schweigen/ wird Strohbrei, wird/ Papier, ein Winter/ zur Heilung von Schreibwunden

    Bei Dao zählt zu den Autoren, deren schicksalhafte Verknüpfung mit China keine private Eigenheit, sondern ein traditioneller Zug chinesischer Literatur ist. Die permanente Auseinandersetzung mit China und seiner politischen Struktur war ein Überlebenskampf- auch für die Dichtung. Die chinesische Politik hatte die Sprache in fremdbestimmte Zwecke ummodelliert, weil sie individuelle ErfAhrungen negierte und ständig einem streng kollektiv ausgerichteten Schema einordnete. Als gegen Ende der 70er/ Anfang der 80er ein langsamer DemokratisierungsprozeSS begann, bedeutete dies noch lange nicht, dass sich die Literatur von ihrem politisierten Thema trennen und sich wieder in den Binnenraum der einzelnen Person zurückziehen konnte. Bei Dao ist einer der wichtigsten Vertreter der "obskuren" oder "hermetischen" Lyrik, die gerade in der Zeit des vorsichtigen Aufbruchs entstand. Infolge der geistigen Isolation der Kulturrevolution, die die Sprache für die Parteipropaganda völlig vereinnahmt hatte, gäbe es die Worte nur noch verbraucht, verbogen, geschändet, nicht mehr tauglich für die Poesie. Harmlose Naturbegriffe waren in der Nachkriegsära mit anderen Bedeutungen versehen worden, Sonne war zu einer Metapher für Macht oder Mao Tsetung, Meer für Gewalt, Partei oder Massen verkommen. Unter diesen Sprachmasken begann sich nun eine individuelle Kraft zu regen, sie versuchte, diese Metaphern aufzusprengen, zu entideologisieren und sie wieder einer ursprünglichen Poesie zurückzuführen. Die hermetische Lyrik wurde deshalb von Anfang an mehr unter einem politischen denn ästhetischen Aspekt verfasst. Im Gedicht "Die Antwort", dem wohl berühmtesten dieser literarischen Strömung, schrieb Bei Dao: "Ich sage dir, Welt, / Ich - glaube - nicht!"

    Das alles, die gesamte vergangene Geschichte des Landes und des Dichters, ist das Papier und die Tinte, auf und mit dem Post Bellum geschrieben wurde; die Übersetzung des Titels heißt nicht umsonst 2Nachkrieg". So bleibt China, auch im Exil, die schwierige, leidvolle Obsession des Dichters. Denn das Exil ist letzten Endes nur eine Variation der für Bei Dao seit jeher existierenden verschlossenen Begleitumstände, aus denen sich seine Dichtung herausschreiben muss. Dabei begleitet ihn eine Erfahrung, die jeder, der aus kommt, kennt. Es waren nicht nur der äußere Druck, der die Sprache überformt hatte. Es gibt in repressiven Verhältnissen immer auch innere Kräfte der Gegenwehr und der unfreiwilligen Selbstkontrolle, die jeder halbwegs Nichtanpassungswillige über Jahre hinweg aufbauen muss und die schließlich unter gereinigten Umständen in einem ebenso schwierigen Prozess wieder abzulegen und zu neutralisieren sind. Das Exil bietet hierzu die Chance. Das vorsichtige Zulassen von Emotionen, das der Leser in diesem Band, vor allem im letzten Abschnitt, spüren kann, ist neu für Bei Daos Dichtung. Diese sich vor allem als Schmerz äußernden Gefühle - hier fand Bei Dao in Celan einen Wahlverwandten - werden aber noch immer in Richtung China geäußert, die politische Verantwortung dem Vaterland gegenüber bleibt ein grundierendes Moment:

    Nein Lösungen finden sich schnell/ Der Kalender, dieser Schein der Lüge/ Brach sich längst in seinem Gesicht/ Nahe dem Vergessen, nahe/ dem Monolog der Gefilde/ nahe dem Wort Vaterland/Verzweiflung inbegriffen/ Das Getreide steht voll mit/ reifen Tränen/ Heute Nacht wird/ Einsamkeit sein treuester/ Führer sein/ Allen geschwätzigen Tagen/ in Reih und Glied/ erklärt er ein Nein/

    Ein zweiter Band im aktuellen Kontext chinesischer Literatur erschien beim DAAD unter dem Titel "Was hat uns das Exil gebracht? Ein Gespräch zwischen Gao Xingjian und Yang Lian". Yang Lian zählt wie auch Bei Dao zu den Vertretern der hermetischen Poesie. Doch weiter als Bei Dao öffnen sich er und auch sein Gesprächspartner den Umständen und Erfahrungen des Exils. Sie setzen außerhalb der politisierten Bannmeile der chinesischen Literatur an. Die Konfrontation mit den Sprachen der westlichen Hemisphäre, welche eher auf einem logischen Aspekt aufgebaut sind, lässt beide im Ergebnis ihre eigene Sprache genauer betrachten. Vor allem aber erlaubt ihnen diese "T Situation, sich erstmals ihrem Arbeitsmaterial, den Worten, in einem produktiven Freiraum zuzuwenden. Gao Xingjiang sagt, wenn man seine Gesellschaft und Leser verlasse, verliere das Schreiben jede praktische Bedeutung, man schreibe nur noch für sich selbst. Deshalb ist sein Verhältnis zur Sprache auch härter geworden, er spüre heute seine Verantwortung gegenüber der Dichtung klarer. Und er schreibt: "Ein Mensch, der seiner selbst ganz bewußt ist, ist immer im Exil. Erst wenn Du Stück für Stück alles ablegst, was dir von anderen aufgebürdet, aufgezwungen wird, baust du allmählich deine eigenen Werte auf- das schließt auch den Selbstzweifel mit ein".

    Gao Xingjian erhielt im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Literatur. Eine nicht ganz unangefochtene Entscheidung, lebt er doch bereits seit 1987 in Paris und schreibt zumindest seine Theaterstücke in französischer Sprache, scheint also mittlerweile recht weit von seiner chinesischen Herkunft entfernt zu arbeiten. Doch Yang Lian sagt über ihn: "Gao Xingjians Theaterstück Flucht hat mich seinerzeit sehr berührt, weil es... fast das einzige Werk der chinesischen Literatur über Das Tiananmen-Massaker war".

    Unvermindert obliegt es der Literatur, die Authentizität zu bewahren und zu erneuern. Hier zumindest gehen beide mit den Erfahrungen Bei Daos konform. Dieser jedoch lehnt, wie auch andere chinesischen Autoren, eine "Verwestlichung" der Dichtersprache bis zu einem gewissen Grade ab. Yang Lians Antwort wäre, dass das Exil für jeden Einzelnen zu einer Haltung, die man wähle, wird. Das habe mit dem Verlassen eines Landes nichts zu tun. Seien nicht ohnehin viele bedeutende Werke der Weltliteratur erst aus den Erfahrungen einer wie auch immer erzwungenen Fremde heraus entstanden, haben sie nicht erst hieraus ihren besonderen Humus gezogen? Die Erfahrungen des Exils nahem sich zudem paradoxerweise jenen kosmopolitischen Erfahrungen an, die von modernen Lebensformen ohnehin zunehmend provoziert werden. Letzten Endes zeigen diese verschiedenen Exilhaltungen aber nur, dass es keine eindeutigen Vorschriften dafür gibt, wie man sich als Schriftsteller dem eigenen Werkentwurf und einer humanen Verantwortung gewachsen zeigen muss.