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Posthum zum Ruhm

"Grace" ist das einzige reguläre Studioalbum des viel zu früh verstorbenen Jeff Buckley. Zu hören sind zehn Lieder, 50 Minuten musikalische Schönheit für die Ewigkeit. Das Meisterwerk aus dem Jahre 1994 ist für unzählige Musiker Inspiration für ihre eigenen Texte.

Von Andi Hörmann |
    Die Finger tänzeln über die Saiten einer Telecaster-Gitarre. Die Stimmbänder dehnen sich wie Segel im Wind. Der Gesang: flüsternd, verhaucht.

    "I'm lying in my bed / The blanket is warm / This body will never be / Safe from harm / Still feel your hair / Black ribbons of coal / Touch my skin / To keep me whole..."

    Die Bettdecke bis über die Nasenspitze gezogen, die Füße fröstelnd. Die ersten Takten auf dem Album "Grace" von Jeff Buckley, sind ein leiser Aufschrei, ein nagender Selbstzweifel.

    "Don't wanna weep for you / Don't wanna know..."

    1994 veröffentlicht Columbia Records das tatsächlich einzige reguläre Studioalbum von Jeff Buckley: "Grace". Anmut, Grazie, Liebreiz - Gefühle zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Zehn Lieder, 50 Minuten musikalische Schönheit für die Ewigkeit.

    "Love, let me sleep tonight / On your couch..."

    "So Real", das fünfte Stück auf "Grace", beginnt mit müden Jazzgitarren, die sich zu einem noisigen Wall-of-Sound auftürmen, abrupt abbrechen und eine beklemmende Stille hinterlassen.

    "I love you / And I'm afraid to love you..."

    Die Themen: Entfremdung, Liebe, Angst vor Zweisamkeit. Die Musik: Rock, Folk, Jazz. Die harmonischen Phrasierungen, die fast vier Oktaven umfassende Tenorkopfstimme, die intimen Songtexte: Unzählige Musiker - von Chris Cornell über Rufus Wainwright bis hin zu Thom Yorke - haben sich in Interviews immer wieder auf Jeff Buckley als Inspiration für ihre eigenen herzzerreißenden Balladen bezogen.

    This is our last goodbye / I hate to feel the love between us die..."

    Den Sound der Stunde lässt Jeff Buckley stilsicher hinter sich. Schreddernder Grunge schwappt Anfang der 90er-Jahre von der amerikanischen Westküste über das Land; in Großbritannien wetteifern die Brit-Pop-Könige um das Beatleserbe. Und Jeff Buckley - aus Orange County, Kalifornien - singt sich engelsgleich, mit aus der Zeit gefallener Musik, in ein betörendes Wolkenkuckucksheim:

    "Lully lullay, lully lullay / The falcon hath borne my mate away..."

    "Corpus Christi Carol" - eine von drei Coverversionen auf "Grace" - ist ein Stück aus dem Jahr 1933. Im Original aus der Feder des englischen Komponisten Benjamin Britten. Oder "Lilac Wine": Ein Schmachter aus dem Jahr 1950 - komponiert von James Shelton. Doch Buckley bezieht sich in seiner Version lieber auf die spätere Interpretation von Nina Simone.

    "Listen to me, why is everything so hazy? / Isn`t that she, or am I just going crazy, dear?"

    Und natürlich: "Hallelujah". Die dritte und bekannteste Coverversion auf "Grace" - im Original von Leonard Cohen. Weiträumig: die hallende Gitarre. Tiefgründig: der andächtige Gesang. Musik, irgendwo zwischen kaleidoskopartigen Kirchenglasfenstern und benebelnden Weihrauchschwaden. "Hallelujah" klingt nach einer lichtdurchfluteten Kathedrale. Kein Kitsch, sondern Pathos - ein profanes, offenherziges Beichtgeheimnis in Liedform.

    "And remember when I moved in you / And the holy dove was moving too / And every breath we drew was Hallelujah..."

    Der Gitarrengospel eines musikalischen Feingeistes. Vielleicht liegt es an den Genen oder an der Tragik des Lebens. Sein Vater Tim Buckley, die Singer- und Songwriter-Legende, stirbt 1975 - Drogentod, im Alter von 28 Jahren.

    Jeff Buckley hat sich mit seinem einzigen Studioalbum "Grace" in die Unsterblichkeit komponiert. Und er selbst ist wie sein Vater auch viel zu früh aus dem Leben getreten:

    Kurz vor dem Beginn der Aufnahmen zu seinem zweiten Studioalbum ertrinkt Jeff Buckley am 27. Mai 1997 unter nicht ganz geklärten Umständen im Mississippi - er wird von der Bugwelle eines vorbeifahrenden Schiffes in die Tiefen gezogen. Die letzte Songzeile auf "Grace" bekommt vor diesem Hintergrund fast etwas von einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Da heißt es: Eingeschlafen im Sand spült das Meer über ihn hinweg.

    "Asleep in the sand with the ocean washing over...