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Postkommunistische Regime unter Druck

So beginnt ein Propagandafilm der Terrorgruppe Islamische Bewegung Usbekistans (IMU) auf einer DVD, die in Osch, der größten Stadt im Süden Kirgistans, kursiert. Aufgenommen wurde der Film vermutlich im Frühjahr 2006, da IMU-Führer Tahir Juldashew einen hohen Feiertag in diesem Zeitraum erwähnt.

Von Peter Böhm |
    Die DVDs werden in Osch nicht frei verkauft, aber unter der Hand sind sie ziemlich leicht zu bekommen. Nach Einschätzung eines Lokaljournalisten sind sie in der Region relativ weit verbreitet. Viele religiöse Familien hätten die Filme gesehen.

    Die DVDs der IMU und einige weitere Audio-Botschaften von Juldashew sind das deutlichste Zeichen dafür, dass der Terrorgruppe 2006 offenbar ein Comeback gelungen ist.
    Etwa ein Dutzend Anschläge im Süden Kirgistans und im angrenzenden Norden Tadschikistans werden der IMU oder ihren Anhängern zugeschrieben.

    Osch ist eine lebendige Großstadt mit rund 500.000 Einwohnern. Wie im umliegenden Bezirk sind fast die Hälfte der Bewohner Usbeken mit kirgisischem Pass.
    Das ist ein Relikt aus der Zeit der Sowjetunion, als die Grenzen zwischen den Teilrepubliken der UdSSR willkürlich gezogen wurden.

    Die multikulturelle Prägung der Bevölkerung und die im Vergleich zu Usbekistan größere politische Freiheit in Kirgistan sind es, die die Region von Osch zu einem Zentrum des islamischen Extremismus werden ließ.

    Die Region ist Teil des als islamisch-konservativ geltenden Ferghana-Tals, einer von hohen Bergketten eingerahmten, fruchtbaren Region mit fast 15 Millionen Einwohnern. Das Tal ist heute aufgeteilt zwischen Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan.

    Seit einem Massaker der usbekischen Sicherheitskräfte an bis zu 1.000 unbewaffneten Demonstranten in Andischan im Mai 2005 ist der usbekische Teil des Ferghana-Tals für westliche Journalisten nicht zugänglich.

    Bei einer Fahrt zu den Orten der Anschläge, im kirgisischen und tadschikischen Teil des Tales, sind überall die Anzeichen unübersehbar, dass dort nach 70 Jahren Unterdrückung des Islam in der Sowjetunion und 15 Jahren Herrschaft säkularer Regime der radikale Islam auf dem Vormarsch ist.

    Bevor Tahir Juldashew seine Rede hält, sieht man in dem Film der IMU gut fünfzig Soldaten in Uniform bei der Ausbildung; im Hintergrund schneebedeckte Bergketten und Männer mit Pakuls, den für die paschtunischen Regionen Afghanistans und Pakistans charakteristischen Mützen.
    Das deutet darauf hin, dass der Streifen auch dort aufgenommen wurde.

    Tahir Juldashew ist ca. 35 Jahre alt. Hinter ihm, an die Wand gelehnt: eine Kalaschnikow. In seiner Rede bestätigt er Gerüchte, die Anfang 2006 in einigen Medien verbreitet wurden, dass russische und US-Geheimdienst-Mitarbeiter Kontakt mit ihm aufgenommen hätten.

    Die Behauptungen, die ihm eine Zusammenarbeit mit dem Westen unterstellt haben, weist er jedoch scharf zurück. Ganz im Gegenteil, sagt er, sein Verhältnis zu Osama Bin Laden sei nach wie vor eng.

    Eine Passage in einer Audio-Botschaft von ihm anlässlich des 11. September, hat die Machthaber der Region aufhorchen lassen. Darin bedroht Juldaschew die drei Präsidenten Usbekistans, Tadschikistans und Kirgistans:

    "Wir warnen die Regime in Taschkent, Bischkek und Duschanbe, dass sie die Repression, die Verfolgung und den Terror gegen einfache Muslime, ihre Anführer und Geistliche beenden sollen. Wenn sie nicht mit der Repression aufhören, können sie sicher sein, dass - so Gott will - Mudschahedin, die Schläge nach Washington, New York, Madrid und London getragen haben, auch Schläge gegen diese Regime führen werden. Wir verheißen Bakiew, Karimow und Rachmanow, dass sie für die Verfolgung der Muslime bestraft werden - in diesem Leben als auch vor dem himmlischen Gericht."

    Ob die Islamische Bewegung Usbekistans zu Anschlägen von diesem Ausmaß in der Lage wäre, ist fraglich, aber allein die Drohung erscheint bemerkenswert, wurde doch die IMU nach Meinung von Experten im Krieg der USA gegen die Taliban in Afghanistan zerschlagen.

    Die Anfänge der Bewegung gehen auf Ereignisse im Jahre 1992 in Namangan, im usbekischen Teil des Ferghana-Tales, zurück. Dort hatten Juma Namangani, der spätere militärische Anführer der IMU, und eben jener Tahir Juldashew, einen islamisch-inspirierten Aufstand organisiert.

    Als der fehlschlug, fanden sie im tadschikischen Garm Unterschlupf, einem abgelegenen Bergtal, östlich der Hauptstadt Duschanbe, damals die Hochburg der islamistischen Opposition im tadschikischen Bürgerkrieg.

    Als die Bürgerkriegsparteien 1997 Frieden schlossen, musste die IMU nach Afghanistan umziehen.
    In den Sommern 1999, 2000 und 2001 unternahm sie von dort aus Guerilla-Operationen nach Usbekistan und Kirgistan hinein.

    Beim Angriff der US-Armee im Herbst 2001 auf Taloquan, im Norden Afghanistans, wurde Namangani getötet und die Infrastruktur der IMU zerschlagen.
    Michael Hall, Zentralasien-Experte der Denkfabrik "International Crisis Group" in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, warnt deshalb davor die heutige IMU als Organisation mit kohärenter Struktur und uniformer islamistischer Ideologie zu betrachten:

    "Es ist sehr schwer zu sagen, in wieweit diese Personen und Gruppen Teil einer einheitlichen Organisation sind oder ein isoliertes lokales Phänomen darstellen. Vielleicht haben sie eine gewisse Verbindung untereinander, aber ich denke, dass bei vielen von ihnen der Übergang zum organisierten Verbrechen fließend ist. Sie gehen den verschiedensten Beschäftigungen nach, Schmuggel, Schutzgelderpressung, und das alles unter dem Mantel des militanten Islam."

    Dennoch hätten Juldaschews Botschaften gezeigt, betont Hall, dass seine Verbindungen ins Ferghana-Tal intakt seien, und dass er gut darüber informiert sei, was dort geschieht.

    Die IMU war auch nie völlig in der Versenkung verschwunden. In Kirgistan registrierte man vereinzelte Bombenanschläge.
    Und im Sommer 2004 gab es eine Reihe von Selbstmordattentaten auf Polizisten im usbekischen Taschkent und Buchara, bei denen 34 Menschen getötet wurden.

    Trotz oft erhobener Foltervorwürfe gegen die usbekischen Sicherheitskräfte, dürfte die Aussage der gefassten Attentäter ernst zu nehmen sein, die sie in ihrem Gerichtsverfahren einige Monate später machten:

    Dass sie in einem von Juldaschews Lagern in der pakistanischen Region Nord-Waziristan, an der Grenze zu Afghanistan, ausgebildet worden seien.

    Im Sommer 2004 gab die pakistanische Armee bekannt, dass sie Juldashew dort eingekesselt habe, einige Tage später, dass er schwer verletzt fliehen konnte.

    In den vergangenen Monaten sind die kirgisischen und tadschikischen Sicherheitskräfte mit äußerster Härte gegen mutmaßliche IMU-Kämpfer vorgegangen.

    Festgenommen werden konnte keiner, aber fast ein Dutzend wurden bei Polizeiaktionen getötet, und besonders der Fall des bekannten Imams Rafik Kamalow im kirgisischen Kara Suu, der im September 2006 von den Sicherheitskräften erschossen wurde, löste große Wut in der Region aus.

    Der Ruf zum Freitagsgebet in Kara Suus größter Moschee, einem Grenzstädtchen mit 50 000 Einwohnern, dies- und jenseits der kirgisisch-usbekischen Grenze, 20 km westlich von Osch.
    Mehr als siebentausend Gläubige sind gekommen. Vor der Erschießung seines Vaters, erklärt der neue Imam Rasul Kamalow, seien es jedoch über zehntausend gewesen.

    Der Fall Kamalow ist ziemlich undurchsichtig. Nach der offiziellen Version ist der usbekische Geheimdienst an der Polizeiaktion beteiligt gewesen.
    Der Imam sei in seinem Auto erschossen worden, als zwei seiner Begleiter, zwei mutmaßliche IMU-Mitglieder, das Feuer auf die Sicherheitskräfte eröffneten.

    Sein Sohn weist diese Vorwürfe jedoch kategorisch zurück. Die Leichen der angeblichen Begleiter seines Vaters, die er gesehen habe, seien alt gewesen.
    Unmöglich könnten die in der Leichenhalle aufgebahrten Männer zur selben Zeit getötet worden sein wie sein Vater.
    Und die Wunden am Körper seines Vaters ließen ihn darauf schließen, dass er hingerichtet und seine Leiche geschändet worden sei:

    "Die Leiche war völlig verstümmelt. Überall hatte sie Schnitte auf der Haut, der Bauch war aufgeschlitzt, die Pulsadern durchschnitten, wie um sicherzustellen, dass er wirklich tot ist. Im Hinterkopf hatte er eine große Schusswunde. Das sah aus wie eine Hinrichtung."

    Mit der Begründung, dass eine Untersuchung des Falles Kamalow eingeleitet worden sei, wollten die kirgisischen Behörden sich dazu nicht äußern.

    Doch die Version des jungen Imams gewinnt dadurch eine gewisse Glaubwürdigkeit, dass die kirgisischen Sicherheitskräfte in den jüngsten Monaten auf Druck Usbekistans ihr Vorgehen gegen mutmaßliche Islamisten verschärft zu haben scheinen.

    Usbekistan hat 26 Millionen Einwohner, Kirgistan gerade mal fünf Millionen, und der kleine Nachbar ist auf die Gaslieferungen des großen angewiesen.

    Der Anwalt Sadik Mahmudow aus Osch betont, der Wandel habe sich erstmals angedeutet, als die Vorbereitungen für das Treffen zwischen dem kirgisischen und usbekischen Präsidenten am 6. Oktober 2006 abgeschlossen waren.

    Mahmudow ist eines von elf Mitgliedern der Menschenrechts-Kommission des kirgisischen Präsidenten.

    "Im Grunde hat alles angefangen, als die Absprachen für das Treffen der beiden Präsidenten getroffen waren. Von diesem Moment an hat sich unser Geheimdienst quasi selbst Arbeit gesucht und begonnen die Verdächtigen des Terrorismus zu beschuldigen, obwohl es keinerlei Beweise gab, dass diese Leute Mitglieder einer bewaffneten Gruppe waren oder über finanzielle Mittel für etwaige Anschläge verfügten."

    Als im Mai 2005 eine nicht mit der IMU verbundene islamistische Gruppe das Gefängnis in Andischan überfiel und das Rathaus der Stadt besetzte -

    die Aufnahme vom Sturm der usbekischen Sicherheitskräfte stammt vom Mobiltelefon einer usbekischen Journalistin, haben auch die Bewohner des usbekischen Bezirks von Kara Suu, 40 km östlich von Andischan, für ein paar Tage die örtliche Verwaltung vertrieben.

    Bevor die usbekische Armee wieder die Kontrolle übernahm, hat der selbsterklärte Anführer der Rebellion, Bachtiar Rahimow, bekannt gegeben, er werde die Stadt nach islamischem Recht führen.

    Er sitzt heute im Gefängnis in Usbekistan.

    Auch der kirgisische Teil Kara Suus gilt als Zentrum des islamischen Extremismus.
    Nach einem Bericht in der Lokalpresse gibt es in der östlichen Stadthälfte drei bis viertausend Anhänger von Hisb-ut Tahrir, einer Organisation, die auf lange Sicht vermutlich eine viel größere Bedrohung für die säkularen Regime Zentralasiens darstellt als die IMU.

    Die im Jahr 2005 durch einen Beschluss des Obersten Kirgischen Gerichtshofes verbotene Hisb-ut Tahrir operiert in Kara Suu mehr oder weniger offen.

    Ayuba Maschirapow, einer ihrer mutmaßlichen Anführer in dem Städtchen, macht aus seiner anti-demokratischen Gesinnung keinen Hehl:

    "Einen islamischen Staat zu gründen. Das ist die Zielsetzung von Hisb-ut Tahrir. Wir sind gegen das Prinzip der Demokratie. Das Khalifat zerstört die Demokratie. Das Gesetz Gottes und die Demokratie widersprechen sich, das ist wie schwarz und weiß, weil die Demokratie vom Menschen erfunden wurde. Der Mensch kann sich nicht einfach seine eigene Ideologie schaffen."

    Die Hisb-ut Tahrir, Arabisch für "Partei der Befreiung", wurde 1953 von dem palästinensischen Richter Takijudin Al Nabhani gegründet.

    Im Mittleren Osten spielt die Organisation jedoch keine Rolle. Anhänger hat sie fast ausschließlich in Europa und den einstigen Sowjetrepubliken in Zentralasien.
    Ursprünglich sei Hisb-ut Tahrir zentral aus Europa gesteuert worden, erklärt der Mittelasienexperte Michael Hall. Das sei heute jedoch nicht mehr der Fall:

    "Die Aktivisten von Hisb-ut Tahrir haben gezeigt, dass sie unabhängig agieren und reagieren, über lokale Ereignisse schreiben und sie bewerten können. Das ist, denke ich, eine wichtige Änderung der Taktik. Noch vor wenigen Jahren kümmerten sie sich vor allem um Usbekistan, oder um Länder wie Palästina und Malaysia, die mit dem Leben der Menschen in Zentralasien nichts zu tun haben."

    In den ersten Jahren der Unabhängigkeit von der Sowjetunion hat Hisb-ut Tahrir vor allem in Usbekistan Anhänger geworben, dem Land mit der längsten islamischen Tradition in Zentralasien, bzw. in den usbekischen Gemeinden in den Nachbarländern.

    Aber auch das habe sich geändert, unterstreicht Michael Hall. Inzwischen seien Hisb-ut Tahrir-Flugblätter in so weit auseinander liegenden Gebieten wie dem Süden Tadschikistans, vielerorts in Kasachstan und sogar im russischen Astrachan, am Ufer des Kaspischen Meeres, aufgetaucht.

    Unterwegs nach Batken, im kirgisischen Teil des Ferghana-Tales, rund 200 km westlich von Osch.
    In dieser bergigen, abgelegenen Region und dem angrenzenden tadschikischen Isfara-Bezirk gab es fast ein Dutzend Anschläge im vorigen Jahr.

    Sultan Aitschigitow, der Gouverneur von Batken, meint, der Grund, dass die Angriffe der IMU hier stattgefunden hätten, sei dass die Region so schwer durch die Sicherheitskräfte zu kontrollieren sei.

    Der schlimmste Anschlag, bei dem zwei Polizisten und zwei Zivilisten getötet wurden, erfolgte im Mai 2006.

    "Zuerst haben sie den tadschikischen Grenzposten überfallen und dort Waffen erbeutet. Dann wollten sie nach Kirgistan in die Berge fliehen, doch obwohl sie in einer sehr abgelegenen Gegend untergetaucht waren, haben unsere Sicherheitskräfte innerhalb von zwei Stunden reagiert und sie sehr schnell ausgeschaltet."

    Der Ort Isfara liegt auf der tadschikischen Seite der Grenze. Wie fast alle Städte des Ferghana-Tales blicken Isfara und Chudschand, im Norden Tadschikistans, auf eine rund 2000jährige Geschichte zurück.

    In der Region von Isfara haben sich die meisten der IMU zugeschriebenen Anschläge ereignet.
    Nematullo Mirsaidow, Herausgeber der Zeitung "Varurod" in Chudschand, einer der wenigen unabhängigen Medien Tadschikistans, ist der Ansicht, es sei kein Zufall, dass die Überfälle in der Gegend von Isfara stattgefunden hätten:

    "In Tadschikistan gibt es einige Regionen, die sich in der Frage der Religion von anderen sehr unterscheiden. Isfara ist außerordentlich stark orthodox geprägt. Wenn dort über die Rolle der Religion gesprochen wird, gibt es andauernd Diskussionen und Streit und viele sagen ganz offen, dass es gut wäre einen islamischen Staat zu schaffen."

    Koranschulen wie hier in Isfara gehören in Zentralasien längst zur Normalität. Doch die säkularen, post-kommunistischen Regime in Zentralasien tun sich nach wie vor schwer mit der Religion.
    Auch moderate Strömungen des Islam nehmen sie als Bedrohung wahr, und vor allem Tadschikistan und Usbekistan haben die Religionsfreiheit der Muslime erheblich eingeschränkt.

    Der Rat der islamischen Geistlichen, das höchste Gremium der Muslime in Tadschikistan, hat erst kürzlich eine Fatwa erlassen, dass Frauen nicht öffentlich beten sollen.
    Diese Verfügung hat zwar keine Gesetzeskraft, dennoch hat die Polizei in einigen Städten Frauen am Betreten von Moscheen gehindert.

    Leonid Bondaretz, Politologe an der Akademie des kirgisischen Präsidenten, vertritt den Standpunkt, dass der Bedrohung durch den extremen Islam erst dann wirksam zu begegnen sei, wenn die Regierungen der Region mehr Erfolge bei der Entwicklung ihrer Länder vorweisen könnten:

    "Ein Grund für das Aufbegehren der Islamisten ist die Unzufriedenheit mit den Leistungen der Regierung. Seit der Unabhängigkeit sind 15 Jahre vergangen. In dieser Zeit ist die Bevölkerung sehr verarmt, und wenn sie nach vorne schauen, gibt es keine realistischen Perspektiven. Regierungsvorhaben werden zwar geplant - gerade wurde wieder eine Strategie zur Entwicklung Kirgistans im Jahr 2010 konzipiert -, aber das ist nur Theorie, und in der Praxis sieht alles ganz an