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"Postmoderne ist Bullshit"

Jetzt ist es definitiv. Endlich sagt es mal einer kurz und knapp auf zirka 60 lockeren Seiten - mehr ist die Sache auch nicht wert: Die Debatte der letzten Jahrzehnte, die darin verkündete Postmoderne ist Bullshit. Man stelle sich vor, Harry Frankfurt sagt das 1979 zu Jean-Francois Lyotard, woraufhin dieser sein damaliges Werk Das postmoderne Wissen, mit dem er diese Debatte lostrat, kleinlaut wie ein ertappter Lügner dem Kaminfeuer übergibt. Doch womöglich hätte Jean-Francois das nicht getan, weil er unter Bullshit was anderes als Harry versteht. Sollten aber beide damit dasselbe meinen, dann könnten sie dergleichen trotzdem unterschiedlich bewerten.

Von Hanns-Martin Schönherr-Mann | 01.05.2006
    Aber ist das bei Bullshit überhaupt möglich? Ist Bullshit nicht immer Bullshit? Vorschnell möchte man das meinen. Doch wir leben ja nach dem Zerfall fester ethischer Werte und empirischer Gewissheiten, so dass dergleichen nicht mehr so klar erscheint. Irgendwie muss das auch Harry Frankfurt erkannt haben. Denn er stellt einleitend die Frage: Was heißt Bullshit? Und plötzlich merkt man, dass das längst nicht so klar ist.

    Übersetzen darf man Bullshit auch nicht mit Bullen . . . und dann das Wort, das Deutsche ständig im Munde führen, das nur nicht aufgezeichnet werden darf. Bevor ich mich jedoch in Betrachtungen verliere, was dieses deutsche Wort so alles bedeutet, skizziere ich lieber die Spuren, die Harry Frankfurt verfolgt. Bullshit hat beispielsweise mit dem Pfusch zu tun, wenn ein Handwerker eine Arbeit soweit korrekt ausführt, soweit es äußerlich ins Auge fällt, bei dem, was man nicht sieht, aber schlampert. Doch jene die heute in der Politik ähnlichen Bullshit produzieren, arbeiten daran sehr sorgfältig und überlassen möglichst nichts dem Zufall.

    Um eines bemühen sie sich jedoch nicht, um die Wahrheit. Sie kümmern sich nicht darum, wie die Dinge wirklich sind: Just darin sieht Harry Frankfurt das Wesen des Bullshit. Er diagnostiziert eine Nähe zwischen Bullshit und dem deutschen Humbug, obwohl dieses etwas höflicher klingt. Humbug nennt man, was sich hochtrabend präsentiert, dabei irreführend und verfälschend wirkt und an die Lüge grenzt, aber sich zwischen Wahrheit und Lüge lieber nicht genau festlegt.

    Insofern mangelt es ihm an Sinn, geht es weniger darum, dass konkret gelogen wird, als dass vielmehr ohne Rücksicht auf die Wahrheit Unsinn geäußert wird. Bullshit, das hat auch was mit 'heißer Luft’ zu tun, ein sinnentleertes Reden, in dem gerade jener Wortteil aufblitzt, der sich auf Exkremente bezieht, die eben keinen Nährwert mehr besitzen.

    Harry Frankfurt zitiert einen väterlichen Ratschlag: "Never tell a lie when you can bullshit your way through." Das heißt es ist geschickter, nicht unbedingt zu lügen, wenn es heiße Luft auch tut, wiewohl beides moralisch gleich verwerflich ist. Gegenüber Bullshit zeigen sich Menschen doch zumeist weniger verärgert, als wenn sie hart belogen werden. Denn der Lügner weiß sehr wohl, dass er mit seiner Aussage absichtlich die Unwahrheit spricht, dass es durchaus eine Wahrheit gibt, während sich Bullshit jenseits der Unterscheidung von wahr und falsch bewegt.

    Die Lüge setzt voraus, dass man die Welt richtig beschreiben kann. Wer Bullshit äußert, muss sich darum nicht mehr kümmern, nicht um die Tatsachen, nicht um die richtige Wahrnehmung der Wirklichkeit. Bullshit erweist sich für Harry Frankfurt daher als der größere Feind der Wahrheit, da sich darin ein Desinteresse an der Wahrheit äußert. So redet man über die Welt der Tatsachen, ohne noch ein Kriterium der Beurteilung der eigenen Sätze zuzulassen, was zu nichts anderem führt als zu Bullshit.

    Warum gibt es heute soviel Bullshit? Nun, seine Leitfrage beantwortet Harry Frankfurt einerseits mit dem Hinweis darauf, dass heute in der Medienwelt viele gezwungen werden über Dinge zu reden, von denen sie nichts verstehen. Andererseits aber sieht er die Haupttäter in den Reihen jener, die bezweifeln, dass man die Wirklichkeit definitiv richtig erfassen kann. Damit untergraben diese Skeptiker vor allem auch das Vertrauen der Menschen in Wissenschaft und Technik, somit in die Fundament der abendländischen Kultur heute.

    Wer hat das vor allem getan? Die Postmodernen, die im Anschluss an Nietzsche behaupten, die wahre Welt sei doch nur eine Fabel und alles sei Interpretation. Sollte das aber der Wahrheit näher kommen als vermeintlich gewisse Tatsachen, die am Ende doch ständig neu gedeutet werden müssen, dann fiele das Verdikt Bullshit auf Harry Frankfurt zurück. Oder man nimmt es einfach nicht so tragisch und Jean-Francois hätte Harry freundlich zugestimmt, ohne damals sein Buch zu verbrennen.