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Posttraumatisches Stresssyndrom

Psychologie. – Weltkriegsveteranen, KZ-Überlebende, Soldaten, die im Vietnamkrieg verletzt wurden, unter ihnen finden sich viele, die an einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Auslöser ist immer ein traumatisches Erlebnis, aber welche Prozesse im Körper letztlich zur Entstehung der Störung führen, war bislang weitgehend unbekannt. Ein amerikanischer Hirnforscher brachte jetzt Licht ins Dunkel und hat seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift "Nature Neuroscience" veröffentlicht.

Von Kristin Raabe |
    Der Film, der vor den inneren Auge der Betroffenen abläuft, lässt sich nicht abstellen. Immer und immer wieder durchleben Menschen mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung die traumatische Situation. Sie leiden außerdem unter Alpträumen und Konzentrationsstörungen. Häufig sind sie deswegen arbeitsunfähig. Was hinter diesen Symptomen steckt, wollte der amerikanische Hirnforscher Jordan Grafman vom Nationalen Gesundheitsinstitut in Maryland herausfinden.

    "”In unserer Studie haben wir Vietnamveteranen untersucht, von denen einige während des Krieges eine Hirnverletzung erlitten hatten. Die meisten dieser Verletzungen stammten von Splittern, die durch den Schädel in das Gehirn eingedrungen waren, als der Soldat sich in der Nähe einer Explosion aufhielt. Einige dieser Soldaten erlitten dann später eine Posttraumatische Belastungsstörung, andere nicht.""

    Eine Verletzung im Gehirn bleibt selten ohne Folgen. Meistens fallen die Fähigkeiten aus, für die das betroffene Hirnareal zuständig ist. Jordan Grafman interessierte sich bei seinen Untersuchungen allerdings vor allem dafür, welche Hirnverletzungen einen Einfluss auf die Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung hatten. Deswegen untersuchte er das Gehirn von 200 Vietnamveteranen mit einem Computertomographen. Grafman:

    "”Wir stellten fest, dass es zwei Hirnregionen gab, bei denen eine Verletzung, die Entstehung eines Posttraumatischen Stresssyndroms verhindern konnte. Eine dieser Hirnstrukturen war der sogenannte Mandelkern. Wenn nur auf einer Gehirnhälfte der Mandelkern verletzt war, dann entwickelte der Betroffene Soldat niemals ein Posttraumatisches Belastungsstörung.""

    Es erscheint paradox: Eine Verletzung im Gehirn schützt vor einem schweren Leiden. Aber das gilt nicht nur für eine Verletzung im Mandelkern. Auch ein Schaden in einem Bereich im unteren mittleren Bereich des Vorderhirns, dem sogenannten ventromedialen präfrontalen Cortex, minderte das Risiko der Soldaten eine posttraumatischen Belastungsstörung zu erleiden. In diesem Hirnteil findet die verstandesmäßige Einordnung und Bewertung von Erlebnissen statt, auch von traumatischen Situationen. Der Mandelkern hingegen ist ein Teil des limbischen Systems, was im Gehirn auch als Gefühlszentrum gilt. Grafman:

    "”Der Mandelkern ist an Gefühlen beteiligt - an Angst, an Affekten. Dieses Hirngebiet ist sehr wichtig für die Emotionale Etikettierung von Erinnerungen. Wenn Soldaten also ihre Erinnerungen nicht emotional einordnen können, weil ihnen ein Mandelkern fehlt – dann haben sie auch nicht die Symptome eines Posttraumatischen Stresssyndroms.""

    Wenn durch eine Hirnverletzung traumatische Erlebnisse vom Gehirn nicht mehr nach ihrem emotionalen Gehalt oder ihrer verstandesmäßigen Bedeutung eingeordnet werden können, dann bleibt eine posttraumatische Belastungsstörung offenbar aus oder ist zumindest relativ unwahrscheinlich - egal wie schwerwiegend ein Erlebnis auch gewesen sein mag. Die Funktion dieser Hirnareale ist auch bei Patienten mit einer posttraumatischen Belastungsstörung verändert. Allerdings war bislang umstritten, ob das veränderte Aktivierungsmuster eher eine Folge der Erkrankung ist oder letztlich deren Ursache. Denn schließlich ist schon länger bekannt, dass dauerhafter Stress wie ihn Patienten mit einer Belastungsstörung ständig durchleben, Nervenzellen schädigt. Das kann sogar dazu führen, dass das Gedächtniszentrum des Gehirns, der sogenannte Hippocampus, schrumpft. Grafman:

    "”Unsere Forschung mit Hirnverletzten beweist endgültig, dass der Mandelkern und der ventromediale präfrontale Teil der Großhirnrinde für die Entstehung eines Posttraumatischen Stresssyndroms bedeutsam sind. Das gilt aber nicht für den Hippocampus. Für uns sieht es so aus, also ob der Hippocampus erst durch das Posttraumatische Stresssyndrom geschädigt wird. Dieser Hirnteil ist aber an der Entstehung dieser Erkrankung nicht beteiligt.""

    Trotz dieser Erkenntnisse, ist die Hirnverletzung für die Vietnamveteranen kein positives Ereignis: Denn der Ausfall eines Hirnareals hat natürlich auch andere negative Konsequenzen. Die Betroffenen fallen beispielsweise durch aggressives unkontrolliertes Verhalten auf und können Gefühle nicht mehr verarbeiten. Mit ihrer Teilnahme an der Studie haben die Veteranen allerdings viel zum Verständnis der posttraumatischen Belastungsstörung beigetragen. Denn jetzt können Mediziner und Wissenschaftler gezielt nach Therapien suchen, die im Mandelkern und im unteren mittleren Bereich des Vorderhirns wirken.