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"Potenzial des Comics ist noch nicht annähernd ausgeschöpft"

Seine graphic novel "Habibi" sei eine Reaktion gegen die Islamophobie in den USA, sagt der Autor Craig Thompson. Mit seinem Buch wolle er die Mauern zwischen Christentum, Judentum und Islam einreißen.

Craig Thompson im Gespräch mit Pascal Fischer | 14.10.2011
    Pascal Fischer: Ihre neue graphic novel hat viel mit der arabischen Kultur zu tun, kam auch heraus ganz kurz nach dem zehnten Jahrestag des 11. Septembers. Ist das ein Statement, ein Akt der Versöhnung?!

    Craig Thompson: Ich mag diese Formulierung: Statement der Versöhnung. Das hatte ich nicht von Anfang an vor, aber das Buch wurde doch zumindest von einem gewissen amerikanischen Schuldgefühl angetrieben. Es war eine Reaktion gegen die Islamophobie in den USA: Ich wollte mich auf die Schönheiten der islamischen Kultur und Kunst konzentrieren. In diesem Sinne ist es schon eine Versöhnung. Auch deshalb, weil das Buch die Mauern zwischen den drei abrahamitischen Religionen – Christentum, Judentum und Islam – einreißen will. Für mich sind diese drei Religionen wesensgleich, sie kommen aus der gleichen Quelle.

    Fischer:Es gibt viele Anspielungen auf religiöse Texte, auf die Bibel und den Koran zum Beispiel, wenn es zum Beispiel darum geht, wie Abraham seinen Sohn Gott opfern soll. Wieviel Bildung ist denn erlaubt in einer graphic novel?

    Thompson: Ich weiß nicht, ob ich das Wort Bildung hier verwenden würde. Habibi ist kein akademisches Werk. Außerdem ist es doch auch bei Romanen das Spannendste, wenn die Erzählungen andere Gedankenwelten berühren, und so etwas passiert oft in Habibi. Ich denke nicht, dass Habibi schwierig zu lesen ist. Trotzdem: Comics sind ein viel anspruchsvolleres, aber auch leiseres Medium, als viele Leute denken. Denn was man auf dem Papier sieht, kommt direkt aus der Hand des Autors – die Worte und die Bilder. Das Potenzial des Comics ist noch nicht annähernd ausgeschöpft worden. Es ist ein leises, interaktives Medium, viel leiser, als die meisten Menschen ahnen.

    Fischer:In vielen Kapiteln des Buches trinken die Figuren Buchstaben, sie bestehen aus arabischen Schriftzeichen, Dinge werden zu arabischen Schriftzeichen. Was war so faszinierend an der arabischen Schrift?

    Thompson:Ich begreife die arabische Kalligrafie als Comic. In ihren Zeichen sind Worte und Bilder perfekt verschmolzen. Das sind dann Worte, die man ansehen kann, die man in ihrer puren Ästhetik genießen kann, ja: in ihrem musikalischen Fließen. Das lateinische Alphabet ist plump, die Bedeutung des Wortes verdrängt jegliche Schönheit, die in den Lettern verborgen sein mag. Aber in der arabischen Kalligrafie sind die Buchstaben schön. Dabei hilft vielleicht auch, dass ich das Arabische gar nicht lesen kann. Wenn ich also ein Wort anschaue, kommt mir seine Bedeutung nicht in die Quere, und ich erlebe die reine Schönheit der Schrift.

    Fischer: Ihre graphic novel ist graphic im englischen Sinne, also sehr gewalttätig mitunter. Säuglinge werden in zwei Hälften zerschnitten und Köpfe rollen. Auf der anderen Seite gibt es Stellen, in denen eher Anspielungen gemacht werden, zum Beispiel auf die Entjungferung, als die junge Dodola zur Heirat an einen Mann verkauft wird. Wo werden Sie denn explizit, und wo ist das eher implizit mit der Gewalt?

    Thompson:Interessant, dass Sie die Gewalt ansprechen! Denn wenn man ein typisches Comic liest, gibt es da exzessive Gewalt. In einem 24-seitigen Superheldencomic wahrscheinlich mehr als auf meinen fast 700 Seiten. Insofern habe ich nie ernsthaft gedacht, dass das bei mir eine gewisse Grenze überschreitet. Mit der Sexualität im Buch war das schon anders. Da habe ich dann die alte Hitchcock-Regel beherzigt: Weniger ist mehr. Das beste Beispiel hierfür ist die Vergewaltigung von Dodola. In meinen ersten Entwürfen war alles viel monströser. Aber das fand ich zu manipulativ. Die Geschichte war monströs genug, dass ich das nicht auch noch explizit zeichnen musste. Wenn der Leser seine eigenen Gefühle und Vorstellungen in die Bilder legen konnte, reichte das völlig.

    Fischer:Sie haben anderswo gesagt, das Buch sei auch angetrieben worden von einem männlichen Schuldgefühl. Was meinen Sie damit?

    Thompson:Männer sind für all diese schrecklichen Dinge in der Welt verantwortlich, vor allem, was die Unterdrückung von Frauen und Kindern angeht. Und dann haben viele Menschen traumatische Erfahrungen mit der männlichen Sexualität gemacht. Ich habe schon in "Blankets" von meiner eigenen Erfahrung erzählt, sexuell belästigt worden zu sein. Außerdem wurde eine gute Freundin von mir vergewaltigt, als wir beide noch Kinder waren. Das alles hat mich verfolgt und meine Sicht auf die männliche Sexualität geprägt. In Habibi suche ich deshalb nach einer Balance zwischen zwei Extremen: Einerseits eine männliche Sexualität zu beanspruchen, das aber andererseits zu tun ohne all diese negativen Konsequenzen, die wir aus Kultur und Geschichte hinlänglich kennen.

    Fischer:Wie sieht eigentlich Ihr Arbeitszimmer aus? Gibt es da überall Skizzen an den Wänden, in Stapeln auf dem Schreibtisch, und Bücher zum Lesen in den Regalen?

    Thompson:Es gibt überhaupt nicht viele Bilder an der Wand. Nur über meinem Schreibtisch hängt ein kleines Ölbild, das ein Freund gemalt hat: ein Porträt von Gott, der auf mich herniederschaut. Der kleine Text darunter lautet: Don’t fuck this up. Das ist das einzige Bild im Raum. Ansonsten habe ich viele Bücher auf den Regalen an der Seite, und ich veranstalte ein großes Chaos mit all meinen Entwürfen. Wenn meine Freundin von der Arbeit nach Hause kommt, versuche ich immer, alles aufzuräumen... ich zerstöre das Haus ja quasi jeden Tag aufs Neue.

    Fischer:Mich würde interessieren, wie Sie das letztendlich geschrieben und gezeichnet haben. Angeblich haben Sie erst vor ein, zwei Jahren 500 Seiten noch einmal komplett überarbeitet. Schreiben Sie etwas und mixen es dann neu? Schließlich wird Habibi ja nicht geradlinig erzählt.

    Thompson:Ich ändere viel. Ich verwerfe Hunderte von Seiten, bevor ich mich an die endgültige Fassung mache. Ich habe zwei Jahre gebraucht, bevor ich überhaupt richtig anfing mit Habibi. Der erste Entwurf war sehr linear erzählt, wie ein Bewusstseinsstrom. Ich schmiss ihn weg, gerade weil er so geradlinig erzählt war. Der zweite Entwurf hatte nur eine Mitte und ein Ende, aber irgendwas Essenzielles fehlte! Also habe ich das noch einmal ein Jahr lang überarbeitet. Irgendwann bin ich beim Ende stecken geblieben. Ich wusste nicht, wie das Buch enden sollte! Ich überarbeitete alles noch einmal drei Jahre, wusste immer noch nicht weiter...also nahm ich mir fünf Monate frei, schrieb zehn verschiedene Enden und schmiss alles weg, bis ich dieses Ende fand, das irgendwie echt schien. Das ist die große Ironie der Fiktion: Du erschaffst einen Stapel von Lügen, und inmitten dieser Lügen musst Du einen Kern Wahrhaftigkeit finden. Schwer zu sagen, wann das der Fall ist. Das ist Intuition, man weiß es erst, wenn man’s geschafft hat.

    Fischer:Blankets, Ihre große graphic novel vor acht Jahren wurde hochgelobt, gewann fast alle wichtigen Comicpreise, jetzt erlebt der Nachfolger Habibi auch schon einen Rummel...Wie ist das Leben als graphic-novel-Berühmtheit? Wie das Leben eines Popstars, oder eher wie ein Alltagsleben?

    Thompson:Ach nein, das ist ein anonymes Leben. Der Comiczeichner Dan Clowes meinte mal: Ein berühmter Comiczeichner zu sein, das ist, als sei man ein berühmter Batman-Darsteller. Man ist sowieso nur bei einem kleinen Ausschnitt der Gesellschaft berühmt. Man kann immer noch unbehelligt über die Straße schlendern. Meinen Lebensstil hat das alles nicht verändert. Ich konnte froh sein, dass sich das Leben zwischen Blankets und Habibi so geändert hat, dass ich von meinen Comics leben kann. Vorher musste ich irgendwie anders Geld verdienen, um Comics zu zeichnen. Nun konnte ich zum ersten Mal im Leben Rechnungen von meinen Honoraren bezahlen... Das Leben eines Comiczeichners ist letzten Endes doch eher einsam...