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Potenziale und Probleme

Im Jahr 2002 machte das Labor von Catherine Verfaillie Schlagzeilen. Die Forscherin hatte aus dem Knochenmark Stammzellen isoliert, die fast so leistungsstark wie embryonale Stammzellen schienen. Doch die Aussicht auf eine Alternative zu den embryonalen Stammzellen schwand schnell.

Von Volkart Wildermuth | 06.05.2007
    Es war zu schön, um war zu sein. Den unerschöpflichen Quell von Ersatzgewebe aller Art aus dem Knochenmark - es gibt ihn wohl nicht. Prof. Gulio Cossu aus Mailand, der selbst an Therapien mit adulten Stammzellen arbeitet, war von Anfang an eher skeptisch.
    "Diese Zellen standen vielleicht zu sehr im Rampenlicht. Sie kamen von Erwachsenen und wandelten sich in jedes Gewebe um, kein Wunder, dass da übertriebene Hoffnungen entstanden. Ich glaube, wir müssen noch viel arbeiten, um das Potential dieser Zellen auszuloten. "

    Niemand zweifelt daran, dass die Zellen, die Catherine Verfaillie an der Universität in Minneapolis aus dem Knochenmark isolierte, sich in verwandte Gewebe wie Fett oder Knorpel umwandeln können. Nerven oder Leberzellen weisen dagegen kaum Ähnlichkeiten zum Knochenmark auf. Trotzdem gelang es der Amerikanerin, ihre Zellen mit Hilfe von Wachstumsfaktoren in diese Richtung zu drängen. Oberflächlich ähnelten sie dann auch Nerven oder Lebergewebe. Doch das reicht Prof. Anthony Ho nicht aus, der an der Universität Heidelberg ebenfalls an den Stammzellen des Knochenmarks forscht.

    "Diese ganz sensationellen Meldungen, wie dass man eine Zelle so aus dem Blutbildenden System irgendwie Merkmale von Neuronen darauf kriegt, das ist keine Kunst. Die Kunst ist, ob diese Zellen tatsächlich auch die Funktion eines Neuron und die Funktion einer Leberzelle tatsächlich auch übernimmt. Und da fehlen wirklich enorm viel Forschungsarbeiten. "

    Derzeit sieht es also nicht so aus, als ob es die eine Wunder-Stammzelle des Erwachsenen geben würde, die man in alle Arten von Ersatzgewebe umwandeln könnte. Das heißt aber nicht, dass die adulten Stammzellen keinen Platz in der Therapie haben. In Deutschland versuchen mehrere Kliniken die Folgen eines Herzinfarktes mit Stammzellen aus dem Knochenmark abzumildern. Die Ergebnisse sind unterschiedlich. Am erfolgreichsten ist bislang eine Studie der Universitätsklinik Frankfurt. Nach einem Jahr ging es den mit Stammzellen behandelten Patienten messbar besser, als der Kontrollgruppe. Es kam auch zu weniger Todesfällen. Ein Befund der noch an größeren Gruppen bestätigt werden muss. Warum die Therapie funktioniert liegt allerdings im Dunkeln, meint Anthony Ho.

    "Niemand von uns weiß, was hier passiert, welche Zellen kommen überhaupt hier zur Geltung und ich glaube keiner von uns glaubt daran, dass es eine Umwandlung von Blutstammzellen in Herzmuskelzellen passiert war. "

    Wahrscheinlich bilden die Stammzellen aus dem Knochenmark Botenstoffe, die neue Blutgefäße wachsen lassen. Sie verwandeln sich also nicht selbst in Herzgewebe. Auch bei anderen erfolgreichen Therapien mit adulten Stammzellen werden deren natürlichen Eigenschaften nicht verändert, sondern genutzt. So lassen sich Hautzellen im Labor vermehren, um Brandopfern zu helfen. Auch Knorpel kann schon in begrenztem Maße gezüchtet werden. An einer echten Veränderung adulter Stammzellen arbeitet derzeit Gulio Cossu in Mailand. Er entnimmt eine kleine Muskelprobe und kann daraus Zellen der Wand der Blutgefäße erst vermehren und dann in Muskel umwandeln. Diese Muskelzellen spritzt er anschließend in die Blutbahn von Hunden, die an Muskelschwund leiden.

    "Wenn wir die Behandlung beginnen, bevor die Lähmung einsetzt, dann können die transplantierten Hunde weiter laufen. Und bei zwei Hunden, die schon vor der Behandlung hinkten, verschlechterten sich die Symptome nicht weiter, in einem Fall besserten sie sich sogar. Für uns ist das eine entscheidende Besserung der Krankheit, aber es ist keine Heilung. "

    Vielleicht noch in diesem Jahr möchte Gulio Cossu das Verfahren an Kindern mit erblichem Muskelschwund erproben. Die Beispiele zeigen, auch wenn adulte Stammzellen keine Alleskönner sind, so haben sie doch Potential für bestimmte Therapie.