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„Potenziell inspirierendes Erbe“

Platt gemacht wurden nach dem Mauerfall nicht nur profane Plattenbauten. Auch prominente Beispiele sozialistischen Städtebaus fielen der Abrissbirne zum Opfer. Architekten, Kunsthistoriker und Denkmalpfleger streiten nun um den Umgang mit "unbequemen Baudenkmalen" in den postsozialistischen Ländern.

Von Isabel Fannrich | 22.03.2012
    "Als Anfang der 80er-Jahre in Berlin eine kleine, wirklich sehr kleine Gruppe für Schutz und Pflege der Großsiedlungen der 20er-Jahre - also die Meisterwerke von Bruno Taut und den Seinen – in die Schranken trat, wurden wir bestenfalls belächelt. Heute sind die Siedlungen Weltkulturerbe."

    Wie sehr die Wahrnehmung von Bauwerken dem Zeitgeist unterliegt, versucht Norbert Huse auf den Punkt zu bringen: Der Kunsthistoriker hat Ende der 90er-Jahre den Begriff "unbequemes Baudenkmal" geprägt – und damit insbesondere die Architektur der Nationalsozialisten gemeint. Doch auch viele Bauten des sozialistischen Städtebaus waren den Investoren, der Politik und Teilen der Bevölkerung nach der Wende ein Dorn im Auge – und sind bis heute lästig und unbequem geblieben:

    "Unbequem sind immer Verhältnisse, das sind keine dauernden Eigenschaften von Baudenkmalen, sondern es sind immer Baudenkmale in gesellschaftlichen und historischen Situationen, wie zum Beispiel der Palast der Republik nach der Wiedervereinigung, der vom Westen aus gesehen als etwas, was die Stelle des Schlosses usurpiert hatte, ein unbequemes Baudenkmal war, was sehr viel negative Reaktionen auf sich gezogen hat."

    Wie viele sozialistische Bauwerke seit dem politischen Umbruch 1989/90 in Deutschland und in anderen osteuropäischen Ländern bislang unter Denkmalschutz gestellt wurden – darüber konnte die Tagung "Unbequeme Baudenkmale des Sozialismus" am Deutschen Historischen Museum in Berlin keine Zahlen liefern.

    Deutlich wurde, dass bei diesem architektonischen Erbe wie bei älteren Bauwerken auch überlegt werden muss, was schützenswert ist, wie es erhalten werden kann und dies der Öffentlichkeit verständlich gemacht werden muss. Darüber hinaus aber stellt dieses immer noch ungewohnte Erbe die Denkmalpflege vor eine besondere Herausforderung, sagt Mark Escherich von der Bauhaus-Universität Weimar:

    "Es ist deswegen ungewohnt, weil es natürlich extrem jung ist, die Allgemeinheit auch ästhetisch diese Objekte nicht unbedingt mit etwas Altertümlichen, mit etwas verbindet, was dem Denkmalbegriff so in Allgemeinheit entspricht. Wenn wir jetzt hier von Ostdeutschland reden, ehemalige DDR und den Ostblockstaaten – es ist natürlich auch ein Erbe, was aus einer unliebsamen Zeit stammt."

    Bestes Beispiel für die Haltung "Weg damit" ist das größte Denkmal aus DDR-Zeiten: Die Mauer existiert nur noch rudimentär. Die Vorschläge, größere Teile davon stehen zu lassen und erst später über den Umgang damit zu entscheiden, oder die Mauer gar kontrolliert verfallen zu lassen, stießen auf empörte Ablehnung, erzählt Norbert Huse.

    "Entsorgen? Am besten gleich. Schützen? Nur in Notfällen. Pflegen? Das aber nun wirklich nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob die Antworten heute so grundsätzlich andere wären."

    Für politisch unbequem hält Arnold Bartetzky die sozialistischen Baudenkmale nicht mehr. Der Kunsthistoriker vom "Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas" in Leipzig rückt statt dessen die wirtschaftlichen Vorbehalte in den Mittelpunkt:

    "Diese Baudenkmale bedienen nach wie vor trotz zunehmender Wertschätzung nicht den Geschmack der Massen. Es gibt auch funktionale Probleme bei der Nutzung. Deswegen haben sie es schwer, einen Investor zu finden, der so ein Denkmal auch denkmalgerecht entwickelt. In diesem Sinne ökonomischer Verwertbarkeit haben wir es bei einem Großteil dieses Bauerbes tatsächlich mit unbequemen Baudenkmalen zu tun."

    Allerdings verändert sich mit dem zeitlichen Abstand die Wertschätzung sozialistischer Architektur. Einzelne Bauwerke oder – Ensembles der 50er-Jahre sind längst anerkannt: Das Berliner Staatsratsgebäude, Teile der Karl-Marx-Allee oder der Warschauer Kulturpalast entsprechen in ihrer Monumentalität und Pracht dem heute herrschenden konservativen Architekturgeschmack, betonten Experten auf der Tagung.

    Doch selbst einzelne Bauten der jüngst noch ungeliebten Ostmoderne aus den 60er- bis 80er-Jahren gelten mittlerweile unter jungen Leuten, Künstlern und Intellektuellen als hip. Beispielsweise die Leipziger "Blechbüchse", ein Kaufhaus der 60er. Seine fensterlose, wabenartig-metallische Fassade wurde dem Neubau wieder aufgetragen – ein von den Medien und der Öffentlichkeit gefeiertes Ereignis. Der Palast der Republik aber mit seiner braun bedampften Glasfassade galt nicht als kompatibel mit dem heutigen Geschmack.

    Am schwierigsten aber bleiben die weiten und zugigen Stadträume: der Alexanderplatz, die Prager Straße in Dresden – oder die vielen Plattenbausiedlungen. Wer – so lautete unterschwellig die Frage - schützt dieses Erbe besser? Oder anders: Wer reißt mehr ab: Ostdeutschland oder die osteuropäischen Nachbarn? Die Wahrnehmung darüber ging auf der Tagung weit auseinander. Der Bauingenieur und Architekt Mark Escherich:

    "Die Abrisse sind natürlich gewaltig gewesen, gerade in Ostdeutschland. Das ist ja der große Unterschied zum restlichen Osteuropa, wo der Wandel sich ja doch sehr gemächlich vollzieht."

    Seiner Ansicht nach krempelten die 90er-Jahre das Erscheinungsbild der neuen Bundesländer um: Zehn-, wenn nicht gar Hunderttausende von Wohnungen seien in den Innenstädten und Randbezirken abgerissen worden, nicht zu vergessen die Bauten des öffentlichen Lebens oder ihre Veränderung durch Farbkosmetik.

    Arnold Bartetzky hält dagegen, die Denkmalpflege habe in Deutschland den stärksten Stand. Die Planungskultur gehe hier weniger brachial vor:

    "In Ostdeutschland sind die Erhaltungsbemühungen also wesentlich weiter fortgeschritten als in den anderen Ländern. Und ich würde sagen, die Diskussionen sind auch zumindest schon älter. In Ostdeutschland hat man schon in den 90er-Jahren angefangen, über die Denkmalwürdigkeit, Erhaltungswürdigkeit dieses Erbes zu diskutieren. In den anderen postsozialistischen Ländern kommt das jetzt. Also in Polen kann man das seit fünf, sechs, sieben Jahren beobachten."

    Die Diskussion kommt, aber sie kommt spät. Piotr Marciniak von der Technischen Universität in Posen:
    "Es ist sehr unglücklich, dass einige extrem wertvolle Gebäude schon zerstört worden sind, zum Beispiel der Bahnhof in Kattowitz oder das Super-Sam-Warenhaus in Warschau."

    Nach mehr als zwei Jahrzehnten sei es an der Zeit zu bilanzieren, welche Architektur gut, welche schlecht sei. Zu diesem Zweck wurden in Polen bereits Kriterien entwickelt.


    "Ich bin zuversichtlich, dass es in Polen derzeit keine unbequemen sozialistischen Baudenkmale gibt, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Ihre große Mehrzahl ist der neuen kapitalistischen Realität angepasst worden. So beherbergt der frühere Sitz des Zentralkomitees der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei jetzt die Warschauer Börse."

    Eine Anregung auf der Tagung lautete, die sozialistische Baukultur nicht als Last, sondern als "potenziell inspirierendes Erbe" zu bewerten. Besteht doch ihr Wert darin, dass sie anderes repräsentiert und erfahrbar macht als die Gegenwart.

    Doch auch das Wissen über die vergangene Baukultur müsse vertieft werden, hieß es: Denn fundiertere Kenntnisse könnten zu mehr Akzeptanz führen. Ob diese Vorschläge die politische Bereitschaft erhöhen, ästhetisch unliebsame Bauwerke auszuhalten, bleibt fraglich.