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Potsdam-Brandenburg
Ödnis auf dem Land, neue Kulturorte in der Stadt?

Von Axel Flemming | 25.12.2014
    Hier steht das Fluxus-Museum, in Sichtweite der moderne geschwungene Neubau des Hans-Otto-Theaters, nebenan die Bundesstiftung Baukultur.
    Sabine Kunst, Kulturministerin des Landes Brandenburg, seit drei Jahren im Amt, sieht in Potsdam auch ein Modell für andere Regionen, um neue Kräfte zu entfalten:
    "Beispielsweise könnte es ja vorstellbar sein für die Darstellende Kunst, sich miteinander zu verstärken, wenn man jetzt an das gut aufgestellte Haus des Museums Junge Kunst und auch das Dieselkraftwerk in Cottbus denkt. Also das wäre beispielhaft etwas, wo zu beleuchten ist, ob man miteinander mehr könnte."

    Aber auch in Potsdam ist das erst gewachsen: Im 3. Jahrzehnt mittlerweile finden sich auf den zwölf Hektar am Ufer des Tiefen Sees Auftrittsorte, Proberäume, Platz für freie Gruppen. Wo einst Dampfschiffe gebaut wurden und Ersatzkaffee produziert, bündelt sich seit 1991 Kreativität: Eine lebendige Kunst- und Kulturszene trifft auf High-Tech-Unternehmen, spannende Geschichte trifft auf richtungsweisende Zukunft. 2006 kam der Neubau des Hans-Otto-Theaters dazu.
    Intendant Uwe Eric Laufenberg sagte damals:
    "Der Nukleus meiner Arbeit ist, dass wir die Freiheit haben müssen und die brennende Begierde, erst mal den Ist-Zustand zu beschreiben. Das, was der Mensch, was uns, was die Gesellschaft ausmacht, was ist. Und dann darüberhinaus immer im Blick zu haben, wie wir gerne sein würden. Warum wir uns nicht wagen, in unserer Freiheit so aufzuhalten, dass es zu einem menschlichen Miteinander kommt. Wenn das Theater das permanent untersucht, dann ist das Theater auch brennend wichtig für die Menschen. Und dann kommen sie und dann wollen sie das sehen."
    Es funktioniert, sagt sogar Matthias Krauß, der für das "Neue Deutschland" schreibt, ein langjähriger Beobachter und Kritiker des kapitalistischen Systems:
    "Ein Aufblühen von freien Truppen, freien Gruppen, die sicherlich verglichen mit ihren Kollegen damals prekär leben, aber möglicherweise nicht minder lustig."
    Kulturelles Angebot nimmt ab
    Allerdings besteht Brandenburg nicht nur aus der Landeshauptstadt und dem Speckgürtel rund um Berlin, sondern auch aus der Peripherie, in der nicht nur die Besiedlungsdichte abnimmt, sondern auch die Zahl der kulturellen Angebote.
    Dort von einer Kulturwüste zusprechen, wäre allerdings übertrieben: "Also wenn man in unsere Gärten guckt, dann blüht's da schon sehr schön: Jedes Jahr mindestens zweimal mit wechselnden Blütenfloren. Man muss sagen, dass wir vielleicht noch ein wenig vom Jahrhundertschritt entfernt sind, aber ein Vierteljahrhundertschritt ist schon gegangen," sagt Hartmut Dorgerloh, Generaldirektor der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, damit Hausherr von 18 Schlossbereichen.
    Denn was an Kultur auf jeden Fall bleibt und auch erhalten wird, ist das architektonische Erbe aus alter Feudalzeit, der preußischen Residenzen.
    "Und man muss sagen, dass dieses reiche preußische Erbe, was hier nicht nur im Kernbereich - in Potsdam mit dem Welterbetitel ausgezeichnet - existiert, sondern auch in der brandenburgischen Landschaft, wenn ich an Caputh denke oder an Paretz oder an Rheinsberg, da ist schon unglaublich viel passiert."
    In Rheinsberg soll in der Saison 2015 "Adriana" das Licht der Öffentlichkeit erblicken, eine Oper des Komponisten Marc Aurel Floros, zu dem Elke Heidenreich das Libretto geschrieben hat. Die Kammeroper Rheinsberg veranstaltet seit 1991 das Internationale Festival junger Opernsänger mit jährlich über 450 Teilnehmenden. Neuer künstlerischer Direktor der Kammeroper ist Frank Matthus, Regisseur und Sohn des Komponisten Siegfried Matthus.

    Laufpublikum gibt es in dem Ort nur begrenzt. "Das ist eine Schwierigkeit, aber ich begreife es tatsächlich als Herausforderung. Ich denke, dass Rheinsberg ein Bild ist: Man kennt diesen Ort, man weiß jetzt, dass es da draußen schön ist. Und ich glaube, man weiß auch, dass man da draußen hochwertiges Theater und Musik erleben kann. Aber ich nehme mir für das nächste halbe Jahr zur Aufgabe, die Leute zu verführen da rauszukommen."
    Matthus hat Erfahrung mit Auftritten in der Provinz. In seinem Wohnort, einem kleinen Dorf auf dem Weg von Berlin nach Hamburg, rief er den "Theatersommer Netzeband" ins Leben:

    "Das ist so zauberhaft, da auf meinem Dorf in Netzeband. Die Berliner wissen gar nicht, was sie verpassen, wenn sie alle nach Berlin strömen. Da hab ich überhaupt kein Problem, diese Region als minderwertig oder provinziell gegenüber Berlin zu empfinden. Provinz findet in den Köpfen statt und das kann man verhindern."
    Die unterschiedlichen Situationen in Peripherie und Speckgürtel sind natürlich auch Thema für die Landeskulturpolitik, die nicht nur auf die Zentren ausgerichtet ist.
    So wurde die Landesausstellung, die erste in Brandenburg überhaupt, ganz im Süden, in Doberlug-Kirchhain durchgeführt; zu der insgesamt fast eine Viertelmillion Besucher kamen.
    Was die Ausstattung des Landes mit kulturellen Auftrittsmöglichkeiten angeht, da trauert Matthias Krauß, Autor des Buchs "Die Partei hatte manchmal recht", den alten DDR-Zuständen doch ein bisschen hinterher.

    "Die Kulturlandschaft der DDR, die übrigens nach heutigen Maßstäben sehr konservativ aufgebaut war, also das durchaus bürgerliche Stadttheater, wurde letztlich bis zum Schluss hochgehalten. Eine öffentliche Hand, die sich ein System von Theatern, von Konzerthallen, Bibliotheken leistet - das ist nicht verschwunden, aber natürlich stark dezimiert."
    Beispiel Cottbus, zu DDR-Zeiten ein Drei-Sparten-Theater, jetzt davon übrig: ein Sprechtheater*.

    Blühende Landschaften in der Kultur Brandenburgs?
    Kunst: "Gut aufgestellte Landschaften, die vielfältig und gut entwickelt sind. Ja, also insofern schon blühende Vielfalt!"
    Krauß: "Blühende Landschaften in Brandenburg: Ja und Nein! Ich würde eher von stark veränderten Verhältnissen auf diesem Gebiet sprechen."
    Matthus: "Es ist schon erstaunlich, was dort im Norden am Entstehen ist."
    *Anmerkung der Redaktion: Tatsächlich handelt es sich beim Staatstheater Cottbus auch weiterhin um ein Mehrsparten-Theater.