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''Powder her face''

"Powder her face" – das ist eine Geschichte für die und von der Seite Vermischtes der semi-seriösen Tageszeitungen: das Ende einer glitzernden und obszön aromatisierten Gesellschafts-Karriere. Mit Rückblick auf die Highlights und die Bruchstelle des Lebenswegs. Das leibhaftige Vorbild der einsamen Protagonistin ist die englische Herzogin Margaret von Argyll, die mit einem Sex-Skandal und einem über vier Jahre durch die Boulevard-Presse gezogenen Scheidungsprozess in den Sechziger Jahren für Schlagzeilen sorgte. Eine Geschichte, in der durchaus "Musik" ist – und am Ende, dank des unaufhaltsamen Niedergangs, eine durchaus dekadent-melancholisch getönte: Töne der Klage transformieren die, welche Thomas Adès zu den Berichten von der unbotmäßigen Lust gesellte. Es gehört sich nun einfach nicht, das Hotel-Personal anzumachen und für gewisse sexuelle Dienstleistungen zu bezahlen

    Das Libretto von Philip Hensher eröffnet einen Blick aus der Schlüsselloch-Perspektive auf die Lebensformen der Dame (und damit auf die der besseren britischen Gesellschaft): Zwei Bedienstete einer Nobel-Herberge unterhalten sich über die Herzogin und parodieren sie. In der neuen flämischen Inszenierung von Carlos Wagner tun sie das auf einer großen, nach oben hin sich verjüngenden Treppe, aus deren sechsten Stufe zu travestierten Piazolla-Klängen Pelz-Stola und Stöckelschuhe gezogen werden. Da kündigt sich, getragen von britischem Herren-Humor, eine parfümierte und gepuderte Groteske an: eine heiter-böse Tertiär-Nutzung des Adels auf der Insel. Doch angesichts der medialen Real-Präsenz der Royals und des noblen Unterbaus der Oberschicht wirken die Rückblicke auf ein bisschen Oral-Sex in den Sechziger Jahren nur mäßig unterhaltsam. Da hilft auch die leckere musikalische Gebäckmischung nicht über die Teatime: Da wurde ein wenig bei den Neo-Expressionisten des späten 20. Jahrhundert genascht und zu verschiedenen Formen der gehobenen Unterhaltungsmusik gegriffen; vor allem aber in die Keksdose von Benjamin Britten.

    Sichtbar – und vor allem auch hörbar – wollte der auf Erfolgswege eingeschwenkte junge Adès niemand weh tun. Und wie sein gepflegt-eklektizistischer Tonsatz in erster Linie die Leere der Zeit bei denen "da oben" umkreist, betönt und wattiert, so hält es auch die Inszenierung. Die lässt die Herzogin aus einer überdimensionalen Puderdose auftauchen. So, als wäre die die Muschel der Venus: innen wie ein weiches Lotterbett gepolstert, außen Plastik-Hartschale. Powder her face.

    Überhaupt wird alles, worum es hier oberhalb und unterhalb der Gürtellinie geht, in dieser zeitgenössischen Kammeroper und ihrer durchaus angemessenen Realisierung mit didaktischer Deutlichkeit demonstriert: Reichlich wird auf der Treppe, die zunehmend zur Hintertreppe wird, mit Fotoapparaten, Mikrophonen, Kameras und Scheinwerfern hantiert. Wenn der Richter, der zuvor und anschließend auch den Herzog, den Mann von der Reinigung und den Hotel-Manager gibt, sich aus Anlass des Scheidungs-Prozesses mit dem Intimleben der "Angeklagten" befasst, zieht er sich die Hose herunter. Nun gut, nun weiß auch die Letzte im Saal Bescheid.

    Das herrische Leben der Herzogin, man hatte es geahnt, nimmt kein gutes Ende. Irgend wann bekommt sie eine gepfefferte Hotelrechnung präsentiert, die sie nicht mehr begleichen kann. Ihre Ressourcen sind erschöpft. Auch die der frühvollendeten Musik, die hier nun aber eine dramaturgisch sinnfällige Funktion erfüllt: Sie stattet Langeweile, Hysterien und eine finale Lebensenttäuschung aus.

    Das opus 17 von Thomas Adès erweist sich als versiert geschriebene Arbeit: kühle Eleganz, die in langes Lamento ausgleitet. Es ist Musik in beziehungsreicher Beziehungslosigkeit zu einem gesellschaftlichen Zustand, auch in anschmiegsamer Anhänglichkeit und stets gut goutierbar. In all dem ist sie signifikant für das, was heute promoviert wird. Powder her face.

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