Zu den vornehmsten Aufgaben des Kulturjournalisten gehört es, sich in abgedunkelten Räumen über alte Texte zu beugen. Da kann er dann feststellen: ja, es gab eine Zeit, da das Abschreiben noch geholfen hat.
In der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung listen sogenannte Kanontafeln am Beginn der Handschriften die Konkordanzen der vier Evangelien auf, und eines der Ziele früher karolingischer Herrschaft war es ja, Fehler aus den vielen Abschriften zu tilgen und möglichst gleichlautende Kopien zu ermöglichen: das heilige Wort sollte nicht nur den Glauben, sondern auch die Herrschaft befestigen.
Die Ausstellung setzt ein mit Karl dem Großen im 8.Jahrhundert und einer Abschrift der "Benediktsregel" vom Tegernsee, also einem mönchischen Verhaltens-Kodex; sie führt uns über die Höhepunkte der ottonischen Buchmalerei zu den Salierkaisern, zum Investiturstreit und in die Romanik. Und sie ist, jenseits der Schönheit dieser einzigartigen Kulturzeugnisse, auch ein Beleg für die ideologische Wirksamkeit von Religion, für den Vorrang des klerikalen Latein vor den niederen Volkssprachen – und für einen frühen Kulturaustausch, sagt die Kuratorin Claudia Fabian.
"Wir beginnen mit karolingischen Handschriften, und da kann man ganz gut erkennen, wie Einflüsse einerseits aus Rom, aus Italien, dann aber auch Traditionen aus der Spätantike, aus Byzanz, aus der insularen Buchmalerei – Irland, Schottland – zusammengefügt wurden in diesem Riesenreich Karls des Großen."
Und man kann sehen, wie die frühen Darstellungen der Evangelisten auf den Frontseiten dann bei den Ottonen abgelöst werden von Herrscherbildern auf Goldgrund: ein Evangeliar von Otto III., um 1000 gefertigt in der hochqualifizierten Buchwerkstatt der Reichenau, bringt allegorisch die huldigenden Reichsprovinzen ins Bild, die dem thronenden Kaiser ihre Gaben bringen.
Allerdings dienten diese Bilder nicht der Propaganda, sondern mehr der Selbstvergewisserung der politisch Mächtigen – diese Prachtcodices waren ja nur wenigen zugänglich, und diese wenigen glaubten ihr Tun von Gott legitimiert und wähnten sich in heilsgeschichtlicher Mission.
Bevor die Bildproduktion also didaktisch wurde und Kirchen ausschmückte, war sie in Büchern versteckt: die Buchmalerei war zunächst die wichtigste Kunstform des frühen Mittelalters. Und man muss sich vorstellen, dass ganze Tierherden ihr Leben lassen mussten für das Pergament aus Tierhäuten, das das Papyrus abgelöst hatte und aus dem diese Bände bestehen – gefertigt in den führenden Mal-Zentren und Scriptorien in Trier, in Regensburg, auf der Mönchsinsel Reichenau, und eingefasst in unsagbar wertvollen Einbänden aus Gold, Edelstein und geschnitztem Elfenbein.
75 dieser Bücher schweben nun in München in eigens gebauten Vitrinen, sie liegen halbschräg und aufgeklappt in durchsichtigen sogenannten Wiegen auf spiegelndem Grund, so dass man nicht nur die Textblätter, sondern auch die Einfassungen studieren kann. Neben den reich ausgestatteten Evangeliaren und Perikopenbüchern gibt es auch eher ärmliche Handschriften, Cantatorien, Regelbücher, gelehrte Abhandlungen, und es ist ermutigend zu sehen, dass die frühesten Zeugnisse althochdeutscher Dichtung eher Randnotizen auf ganz anderen, lateinischen Texten waren: die Weltuntergangs-Phantasie des Muspilli und das Wessobrunner Gebet schleichen sich eher so nebenbei in andere Bücher ein.
Der Schwerpunkt der gezeigten Buchproduktion liegt im süddeutschen Raum, und die Bayerische Staatsbibliothek, die das alles verwahrt, kann glücklich sein, diese wenigen "unikalen Primärzeugen", wie die Kuratorin Claudia Fabian es nennt, zu besitzen.
"Wenn wir sehen, dass wir hier 75 Handschriften ausgestellt haben für einen Zeitraum von 400 Jahren, dann ist die Verteilung auf die Jahrhunderte eine vergleichsweise schwache."
Von den spätantiken Formen bei den Karolingern geht es in der Buchmalerei zu den fast poppig farbenfrohen, mit ihren großen Händen immer gestisch wirkenden Figuren der Ottonen; von der "Bamberger Apokalypse" (1010) zum Gebetbuch der Hildegard von Bingen, dem "Windberger Psalter" und, in der Romanik, dann zu juristischen Schriften wie dem "Decretum Gratiani".
Wer sich in diese Bücher versenkt, der wird sich erstaunt die Augen reiben, wenn er wieder heraustritt aus diesem historischen Dunkel – in das Tageslicht und in das Geschwätz der digitalen Datenautobahnen.
Weitere Infos im Netz:
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung
In der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung listen sogenannte Kanontafeln am Beginn der Handschriften die Konkordanzen der vier Evangelien auf, und eines der Ziele früher karolingischer Herrschaft war es ja, Fehler aus den vielen Abschriften zu tilgen und möglichst gleichlautende Kopien zu ermöglichen: das heilige Wort sollte nicht nur den Glauben, sondern auch die Herrschaft befestigen.
Die Ausstellung setzt ein mit Karl dem Großen im 8.Jahrhundert und einer Abschrift der "Benediktsregel" vom Tegernsee, also einem mönchischen Verhaltens-Kodex; sie führt uns über die Höhepunkte der ottonischen Buchmalerei zu den Salierkaisern, zum Investiturstreit und in die Romanik. Und sie ist, jenseits der Schönheit dieser einzigartigen Kulturzeugnisse, auch ein Beleg für die ideologische Wirksamkeit von Religion, für den Vorrang des klerikalen Latein vor den niederen Volkssprachen – und für einen frühen Kulturaustausch, sagt die Kuratorin Claudia Fabian.
"Wir beginnen mit karolingischen Handschriften, und da kann man ganz gut erkennen, wie Einflüsse einerseits aus Rom, aus Italien, dann aber auch Traditionen aus der Spätantike, aus Byzanz, aus der insularen Buchmalerei – Irland, Schottland – zusammengefügt wurden in diesem Riesenreich Karls des Großen."
Und man kann sehen, wie die frühen Darstellungen der Evangelisten auf den Frontseiten dann bei den Ottonen abgelöst werden von Herrscherbildern auf Goldgrund: ein Evangeliar von Otto III., um 1000 gefertigt in der hochqualifizierten Buchwerkstatt der Reichenau, bringt allegorisch die huldigenden Reichsprovinzen ins Bild, die dem thronenden Kaiser ihre Gaben bringen.
Allerdings dienten diese Bilder nicht der Propaganda, sondern mehr der Selbstvergewisserung der politisch Mächtigen – diese Prachtcodices waren ja nur wenigen zugänglich, und diese wenigen glaubten ihr Tun von Gott legitimiert und wähnten sich in heilsgeschichtlicher Mission.
Bevor die Bildproduktion also didaktisch wurde und Kirchen ausschmückte, war sie in Büchern versteckt: die Buchmalerei war zunächst die wichtigste Kunstform des frühen Mittelalters. Und man muss sich vorstellen, dass ganze Tierherden ihr Leben lassen mussten für das Pergament aus Tierhäuten, das das Papyrus abgelöst hatte und aus dem diese Bände bestehen – gefertigt in den führenden Mal-Zentren und Scriptorien in Trier, in Regensburg, auf der Mönchsinsel Reichenau, und eingefasst in unsagbar wertvollen Einbänden aus Gold, Edelstein und geschnitztem Elfenbein.
75 dieser Bücher schweben nun in München in eigens gebauten Vitrinen, sie liegen halbschräg und aufgeklappt in durchsichtigen sogenannten Wiegen auf spiegelndem Grund, so dass man nicht nur die Textblätter, sondern auch die Einfassungen studieren kann. Neben den reich ausgestatteten Evangeliaren und Perikopenbüchern gibt es auch eher ärmliche Handschriften, Cantatorien, Regelbücher, gelehrte Abhandlungen, und es ist ermutigend zu sehen, dass die frühesten Zeugnisse althochdeutscher Dichtung eher Randnotizen auf ganz anderen, lateinischen Texten waren: die Weltuntergangs-Phantasie des Muspilli und das Wessobrunner Gebet schleichen sich eher so nebenbei in andere Bücher ein.
Der Schwerpunkt der gezeigten Buchproduktion liegt im süddeutschen Raum, und die Bayerische Staatsbibliothek, die das alles verwahrt, kann glücklich sein, diese wenigen "unikalen Primärzeugen", wie die Kuratorin Claudia Fabian es nennt, zu besitzen.
"Wenn wir sehen, dass wir hier 75 Handschriften ausgestellt haben für einen Zeitraum von 400 Jahren, dann ist die Verteilung auf die Jahrhunderte eine vergleichsweise schwache."
Von den spätantiken Formen bei den Karolingern geht es in der Buchmalerei zu den fast poppig farbenfrohen, mit ihren großen Händen immer gestisch wirkenden Figuren der Ottonen; von der "Bamberger Apokalypse" (1010) zum Gebetbuch der Hildegard von Bingen, dem "Windberger Psalter" und, in der Romanik, dann zu juristischen Schriften wie dem "Decretum Gratiani".
Wer sich in diese Bücher versenkt, der wird sich erstaunt die Augen reiben, wenn er wieder heraustritt aus diesem historischen Dunkel – in das Tageslicht und in das Geschwätz der digitalen Datenautobahnen.
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Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung