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Prähistorische Parallelgesellschaften

Paläogenetik. - Der Beginn der Jungsteinzeit in Europa gilt vielen Prähistorikern als einer der Wendepunkte in der menschlichen Kultur, gar von einer neolithischen Revolution ist mitunter die Rede. Sesshafte Bauern und Viehzüchter lösten nomadisierende Jäger und Sammler ab. Wie genau das ablief, ist unklar. Im Fachmagazin "Science" erscheinen heute aus dieser Fachdisziplin nun parallel zwei Studien, die ein wenig Licht ins Dunkel des prähistorischen Europas bringen.

Von Michael Stang |
    Die Jungsteinzeit in Mitteleuropa war für Genetiker bislang ein großes Rätsel. Denn weder die einstigen Jäger und Sammler allein noch die ersten Bauern kommen als direkte Vorfahren heutiger Europäer infrage. Um die Entstehung dieser genetischen Vielfalt zu rekonstruieren, startete Guido Brandt von der Universität Mainz zusammen mit Kollegen aus Halle, Australien und den USA ein Projekt, bei dem sie die genetische Chronologie der Jungsteinzeit erstellen wollten.

    "Insgesamt haben wir 364 Individuen genetisch typisiert. Das sind alles Bestattungen aus dem Mittelelbe-Saale-Gebiet im Süden von Sachsen-Anhalt. Diese Bestattungen verteilen sich auf insgesamt neun Kulturen und decken ungefähr einen Zeitraum von 4000 Jahren ab."

    Die ältesten Proben stammen aus der Zeit der ersten Bauern vor 7500 Jahren, die jüngsten Daten wurden von frühbronzezeitlichen Gesellschaften gewonnen. Nach sechs Jahren intensiver Forschungsarbeit ergab sich ein Bild. Brandt:

    "Diese Daten erlauben uns eine genetische Chronologie zu erstellen. Und diese Chronologie ermöglicht es uns, Besiedlungsereignisse oder Bevölkerungsverschiebungen direkt nachzuvollziehen und im Wesentlichen waren wir in der Lage, vier solcher Events herauszuarbeiten."

    Diese vier Ereignisse beschreiben große kulturelle Veränderungen in Europa, angefangen von der Etablierung der ersten Bauern aus dem Nahen Osten, über spätere Einflüsse aus Skandinavien, sowie den Einzug der so genannten Glockenbecherkultur vor 4500 Jahren, die ihren Ursprung auf iberischen Halbinsel hat. All diese Ereignisse im Neolithikum haben demnach die genetische Vielfalt heutiger Europäer nachhaltig geprägt.

    "Wir haben jetzt zum ersten Mal Hinweise darauf, dass die genetische Diversität der heutigen Europäer ihre Basis schon im späten Neolithikum hat.","

    sagt auch Ruth Bollongino. Dass die Frühzeit der Bauern zunächst kein Siegeszug war, hat die Paläogenetikerin der Universität Mainz bei der Untersuchung an Skeletten aus der Blätterhöhle in Hagen-Holthausen nachweisen können. Mithilfe von Radiokarbondatierungen konnte sie die Skelette in zwei Gruppen einteilen. Zunächst wurden viele Menschen während der Mittelsteinzeit vor rund 11.000 Jahren dort begraben, und nach einer zeitlichen Fundlücke folgten Bestattungen in der Jungsteinzeit. Bollongino:

    ""Als wir begonnen habe,n die Proben aus der neolithischen Fundschicht zu analysieren, kam dann auch ein entsprechendes Bild: wir hatten sowohl genetische Linien, die typisch sind für Jäger/Sammler als auch solche, die typisch sind für die eingewanderten Bauern und sind halt davon ausgegangen, dass wir hier jetzt endlich mal einen positiven Nachweis haben von einer gemischten Population."

    Doch dieser Schluss, dass einstige Jäger sich in die Bauernkultur integriert hatten, sollte sich als verführt und falsch herausstellen. Denn von den 25 untersuchten Individuen wurden nicht nur genetische Analysen gemacht, sondern auch Isotopenuntersuchungen. Damit können Forscher den Lebenswandel eines Menschen nachweisen, etwa die Ernährung. Bollongino:

    "Wir haben nämlich gesehen, dass die Population, die wir eigentlich als eine zusammengehörige, vermischte angesehen haben, sich in zwei Gruppen aufspaltet, nämlich einmal eine Gruppe von Individuen, die sich typisch der bäuerlichen Lebensweise ernähren, also von Feldfrüchten und domestizierten Tieren und es gab aber auch eine zweite Gruppe, die Frischwasser-, also Süßwasserfisch in erster Linie gegessen hat."

    Vermutlich gab es vereinzelt Kontakte zwischen diesen beiden verschiedenen Kulturen, jedoch kam es anfangs weder zu Heiraten noch zu einen Austausch von Lebensmitteln. Demnach haben die Jäger und Sammler 2.000 Jahre lang parallel mit den Bauern gelebt. Ein Grund für diese lange Koexistenz könnte der Misserfolg der ersten Bauern sein. Das deutet eine Studie an, die britische Forscher vergangene Woche im Fachmagazin "Nature Communications" präsentierten. Demnach gab es zu Beginn der Jungsteinzeit mehrere Einbrüche in den Populationen, bei denen die Bevölkerung teils auf bis zu ein Drittel schrumpfte. Vermutlich basierte die Ernährung der ersten Bauern noch auf wenigen Feldfrüchten, Ernteeinbrüche hatten somit dramatische Folgen. Deshalb konnte sich die Jäger-Sammlerkultur vielleicht so lange halten. Irgendwann kam es doch Vermischungen. Bei drei Skeletten aus der Blätterhöhle zeigte sich, dass es zu Einheiratungen gekommen war, aber nur von einer Kultur in die andere, sagt der Leiter der Mainzer Arbeitsgruppe Paläogenetik, Joachim Burger.

    "Das kennen wir aus ethnographischen Studien, dass Jäger/Sammlerfrauen durchaus in Farmer- oder Bauerngemeinschaften einheiraten, während der umgekehrte Weg, dass Bauernfrauen in Wildbeutergesellschaften einheiraten, sehr selten ist."

    Vor 5000 Jahren verschwanden dann die Jäger und Sammler in Mitteleuropa endgültig. Ihre Gene lassen sich jedoch in einigen vor- und frühgeschichtlichen Bauern noch nachweisen. Und ebenso tragen viele Mitteleuropäer dieses genetische Erbe noch heute in sich.