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Prämien gegen Schulschwänzen

Not macht erfinderisch: Gratis-Tickets für Erstligaspiele am Berufscollege in Marseille, Geld für Gemeinschaftsprojekte in Créteil: Hauptsache, die Schüler schwänzen den Unterricht nicht. "Innovativ" finden die einen Franzosen den Modellversuch, "Erpressung" rufen die anderen.

Von Burkhard Birke |
    Man sei in der Casino-Gesellschaft angekommen, klagt der sozialistische Fraktionschef Jean Marc Ayrault. Der stockkonservative Politiker Nicolas Dupont Aignan spricht gar von der Verkehrung der Werte.

    "Wir laufen auf dem Kopf. Das brauchen unsere Jugendlichen nicht, sie brauchen einen Sinn im Leben, eine funktionierende Wirtschaft, sie brauchen Orientierung und Sanktionen."

    Die Peitsche wird gegen Schulschwänzer gefordert, während Martin Hirsch, der für Solidarität und Armutsbekämpfung zuständige Hohe Kommissar, das Zuckerbrot reichen will. Bis zu 10.000 Euro, gestaffelt, kann eine Klasse der Berufsschule in Créteil im Jahr als Zuschuss erhalten: für Gemeinschaftsprojekte wie Klassenfahrten, aber auch als Zuschuss zum Führerschein.

    "Das ist eine gute Idee. Hier wohnen keine reichen Leute. Es freut mich, dass man sich für uns interessiert."

    "Der Führerschein ist teuer – wenn wir ihn so bekommen, prima! Oder Klassenfahrten – das ist nur eine Belohnung."

    "Ab nächster Woche nehme ich an allen Stunden teil."

    Als Erpressung empfindet diese Schülerin im Gegensatz zu ihren Kameraden den Versuch, den Schulbesuch zu belohnen.
    "Dadurch wird alles, was man in der Schule lernt, ad absurdum geführt! Weil die Botschaft lautet: Geld ist Macht!","

    … kritisiert auch der Präsident des mächtigsten Elternverbandes, FCPE, Jean Jacques Hazan. Selbst der Erfinder des Zuckerbrotansatzes, Martin Hirsch, räumt ein, der Schulbesuch sei Pflicht, verteidigt seine Idee jedoch auch mit dem Argument der Verzweiflung:

    ""Es handelt sich ja nicht um ein individuelles Zuckerbrot. An einigen Schulen gibt es zwischen fünf und 80 Prozent Schwänzer! Wir haben schon viel versucht, und jetzt versuchen wir etwas Neues, und dieses Projekt haben wir gemeinsam mit den Lehrern entwickelt."

    Die bleiben verzweifelt: Appelle, Gespräche, SMS an die Eltern und sogar die Drohung, den Eltern das Kindergeld zu streichen: Alle bisherigen Maßnahmen scheinen wirkungslos. Betroffen sind vor allem die Berufsschulen. Da fehlt im Schnitt ein Fünftel der Schüler, häufig auch, weil sie nicht die gewünschte Ausbildungsrichtung einschlagen dürfen, statt Mechaniker womöglich Friseur lernen müssen.

    "Die Gruppe soll motiviert werden", meint der Direktor von Créteil, "das ist keine Erpressung. Die Schüler müssen lernen, sich zu überwinden, und die Zukunft wird zeigen, ob wir richtig liegen."

    Zunächst bleibt es beim Pilotversuch mit sechs Schulklassen. Nächstes Jahr sollen 70 Klassen - 2000 Schüler -, mitmachen. Wissenschaftler der Wirtschaftsuni in Paris werden dann analysieren, ob sich die insgesamt auf 772.000 Euro veranschlagte Investition lohnt.