Sonntag, 28. April 2024

Archiv


Präparierte Körper vergangener Zeiten

Anatomie. - In unserer Reihe "Schatzkammern der Wissenschaft" möchten wir Ihnen besondere Sammlungen an Exponaten vorstellen, die im alltäglichen Museumsbetrieb oft eher wenig beachtet werden, die aber bei näherer Betrachtung besonders spannend sind.

Von Michael Stang | 18.12.2008
    Seit 1895 befindet sich in der Krankenhausstrasse in Erlangen das Anatomische Institut. Von der großzügigen Anlage und robusten Bausubstanz profitieren auch heute noch Professoren und Studenten. Ordinarius Winfried Neuhuber führt durch den historischen Teil der anatomischen Sammlungen.

    "Und verschiedene Beispiele von anatomischen Modellen aus früheren Jahrzehnten, wo man auch sehr deutlich sieht, dass es nicht so ganz einfach ist, die komplexe Anatomie des Körpers auch wirklich naturgetreu nachzubilden."


    Der Raum mit den alten Vitrinen werde regelmäßig für Physikumsprüfungen benutzt, vor allem dient er jedoch als Salon für die ganz alten Präparate. Winfried Neuhuber verweist auf zwei besondere wertvolle und einzigartige Objekte der Sammlung, die zu den ältesten Exemplaren der Erlanger Anatomie gehören.

    "Insbesondere sind hier diese zwei anatomischen Ganzkörperpräparate von zwei Männern zu sehen. Die sind sicher 150 oder fast 200 Jahre alt."

    Bemerkenswert sei nicht nur das Alter, sondern vor allem die Darstellung. Der rechte männliche Leichnam ist so fixiert, dass er mit seinem Finger in einer barocken Weise auf seinen Brustkorb zeigt. Man erkennt sein Herz und die Bauchorgane, jedoch sind alle seitenverkehrt angeordnet – eine seltene, aber nicht krankhafte Besonderheit, ein so genannter situs inversus. Der Anatomieprofessor weist auf eine Vitrine im hinteren Teil des Raumes. Dort werden Präparate aufbewahrt, die nicht unbedingt einen wissenschaftlichen, aber historischen Wert haben, da sie einen gewissen Zeitgeist verkörpern

    "Diese ganzen Sammlungen stammen ja aus der Zeit der Kuriositätenkabinette im Barock, wo alles mögliche gesammelt wurde und die Leute nach Art von Privatgelehrten zum Teil ganz divergente Exponate miteinander drapiert haben, zum Teil in bizarrer Weise. Und dann gibt es auch Kuriosa, wie zum Beispiel hier eine menschliche Lendenwirbelsäule, durch die eine Wurzel im Grab durchgewachsen ist."

    Obschon diese Präparate bei ihrer Anschaffung das Institut eine Vermögen gekostet haben müssen, existieren keine Protokolle mehr, woher sie stammen und wer sie präpariert hat. Neuhuber:

    "Aus dieser Zeit wissen wir das nimmer."

    Lückenlose Dokumentationen gib es erst seit wenigen Jahrzehnten und es alles ist protokolliert, von welchem Körperspender der betreffende Leichnam oder das betreffende Präparat stammt.

    Winfried Neuhuber führt zum zweiten Raum der Anatomischen Sammlung.

    "Der ist etwas größer und enthält überwiegend Präparate, die aus der neuesten Zeit sind."

    An den Wänden sieht man - nach Körperregionen geordnet - Schädel, Wirbelsäulen, Extremitäten, weiter hinten in Alkohol schwimmend menschliche Organen. Alle stammen aus dem 19. Jahrhundert. Dazwischen stehen in Vitrinen beleuchtet so genannte Feuchtpräparate, in Alkohol eingelegte Tierkörper, die den Studenten als Anschauungsobjekte für die vergleichende Anatomie dienen. Neuhuber:

    "Dann gibt es auch Beispiele von Präparaten, die mit speziellen Techniken hergestellt werden, so genannte Korrosionspräparate wie hier von einer Niere, wo die Hohlräume, also die Gefäßbäume und auch die Hohlräume der ableitenden Harnwege, mit farbigem Kunststoff ausgegossen werden, der dann polymerisiert und nachher wird das ganze Weichgewebe entfernt."

    Zurück bleibt die getreue Struktur der Hohlräume eines Organs. Vor der Fensterfront auf den gegenüberliegenden Seite stehen Tische mit Computern. Hier studieren Nachwuchsmediziner bei Seminaren röntgen- und computertomographische Aufnahmen. Der Raum ist nicht nur ein Ausstellungsort, er dient vor allem der Lehre. Zudem soll er das Bewusstsein für die ethischen Aspekte des Berufsbilds Mediziner schärfen. Die Sammlung zeichnet sich wie jedes anatomische Institut durch ihren Friedhofscharakter beziehungsweise den Charakter einer Aufbahrungshalle aus.

    "Und das ist auch etwas, was man den Studenten immer wieder klar machen muss. Das ist einfach der Ort, wo ein Verstorbener zwischen dem Zeitpunkt des Todes und der Beisetzung sich befindet."

    Ebenso liegt dem Anatom das Wissen und das Bewussten um die Geschichte der Medizin und Anatomie am Herzen. Das gilt nicht nur für die Präparate aus der Phrenologie, die zeigen sollten, dass die Schädelform eines Menschen auch auf seinen Charakter schließen lässt. Neuhuber:

    "Man muss also sehr behutsam damit umgehen, zumal ja in diesem Land unter Umständen Hinterlassenschaften aus dem Dritten Reich noch sind, und man hat in den späten 80er Jahren versucht, all jene Präparate, die möglicherweise aus diesem Unrechtskontext stammen, zu identifizieren. Meistens hat man die dann eingeäschert und beigesetzt, also auch histologische Präparate, so Paraffinblöcke für die histologischen Kurse, das war damals zumindest ein Weg mit diese unseligen Vergangenheit irgendwie umzugehen."

    Die Restaurierung der pathologisch-anatomischen Sammlung soll Ende 2009 abgeschlossen sein. Dabei werden alle Präparate auch auf ihre Herkunft – sofern möglich - überprüft. Danach wird die Sammlung in ihren wesentlichen Teilen auch wieder der Öffentlichkeit zugänglich sein, sagt Wilfried Neuhuber zum Schluss.

    "Ich mache dann mal das Licht aus."
    rdinarius Winfried Neuhuber in der Anatomischen Sammlung der Universität Erlangen.
    Ordinarius Winfried Neuhuber in der Anatomischen Sammlung der Universität Erlangen. (Michael Stang)
    Korrosionspräparat einer menschlichen Niere. Die roten Arterien und die blauen Venen wurden mit Kunststoff ausgegossen.
    Korrosionspräparat einer menschlichen Niere. Die roten Arterien und die blauen Venen wurden mit Kunststoff ausgegossen. (Michael Stang)