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Präsentationskonzept mit viel Versachlichung

"Tödliche Medizin. Rassenwahn im Nationalsozialismus" - so lautet der Titel einer Ausstellung, die vom Holocaust Memorial Museum in Washington konzipiert worden ist. In den USA und Kanada haben sich über 700.000 Menschen diese Ausstellung angesehen. 2006 wurde sie dann vom Deutschen Hygiene-Museum in Dresden übernommen, viel diskutiert, aber auch viel kritisiert. Jetzt wurde das Konzept der Schau für das Jüdische Museum in Berlin noch mal überarbeitet.

Von Frank Hessenland |
    Das Design der Ausstellung "Tödliche Medizin" ist edel geworden. Schwarz-weiße Fotografien hängen auf hellem anthrazitfarbenem Hintergrund unterschiedlicher Textur in indirekter Beleuchtung. Erklärende Texte sind einfallsreich verteilt auf Wand, beleuchtetem Glas oder in kleinen Vitrinen. Bildschirme mit Filmschnipseln bieten ebenso wie Hörproben Unterbrechungen vom Fotoeinerlei. Alles ist gestalterisch in einen Zusammenhang gebracht und will den Horror unserer Geschichte gleichsam mit edel-zurückhaltender Sorgfalt präsentieren. Projektleiterin Margret Kampmeyer vom Jüdischen Museum ist sehr zufrieden:

    ""Ja, weggefallen ist natürlich die amerikanische Gestaltung. Das war uns zu - wir würden sagen - hollywoodmäßig. Also diese Einfühlung und Einstimmung über die Emotionen haben wir bei diesem Thema nicht für passend gehalten und haben deshalb eigene Architekten beauftragt, die so einen anderen Entwurf präsentieren, der ist sehr reduziert, sehr puristisch und kommt dem Thema mehr entgegen. Ich habe die Ausstellung in Dresden gesehen, das war ja die amerikanische Ausstellung. Man sah vor lauter Inszenierung die Objekte ja kaum, das ist jetzt aufgelöst und ist sehr viel klarer.”"

    Tatsächlich wird mit dem neuen Präsentationskonzept viel Versachlichung erreicht, auch wenn ausgerechnet die Räume weggefallen sind, die den Besuchern auch in Dresden, einer Befragung zufolge, am Besten "gefallen" haben: nachgestellte Vergasungskammern und finstere Krankenhaussituationen. Herausgekommen ist eine Ausstellungsinszenierung, die weniger "Baden-im-Schockgefühl" bietet, aber auch weniger von der kathartischen Erleichterung damals "Gott sei dank nicht dabei gewesen" oder "glücklicherweise Teil einer anderen, besseren Nation" zu sein. Diese identitätsstiftenden Psychowirkungen spart sich die Ausstellung und konzentriert sich in neun Räumen auf die Darstellung von geschichtlichen Hypothesen, mit denen man sich auseinanderzusetzen hat. Eine davon ist, dass ein direkter Zusammenhang besteht zwischen der Hygienebewegung der 10er und 20er-Jahre, in der der Bevölkerung ein guter Umgang mit dem eigenen Körper nahezubringen versucht wurde.

    ""Dass sie ihre Gesundheit bei vernünftiger Lebensführung erhalten können und müssen, denn kein Reichtum gleicht Dir, o Gesundheit.”''

    Und der Vernichtung von Kranken, Schwachen und Juden auf der anderen Seite.

    ""Ihr, ihr Jungen, ihr seid Blut von uns, Geist von uns ihr seid unseres Volkes Weiterleben, wer ein starkes Reich ersehnt, muss an einem starken Geschlechte hängen.”"

    Die zweite These ist, das anthropologische Untersuchungen von Menschenrassen in Europa quasi automatisch die wissenschaftliche Begründung für ihre spätere Vernichtung boten. Die dritte These ist, dass die Tötung von 300.000 Behinderten in Deutschland eine Art Vorlauf war, der in der industriellen Vernichtung von sechs Millionen europäischen Juden seinen eigentlichen Höhepunkt fand. Die Ausstellungsmacher haben dazu den Führerbefehl zur Euthanasie, Arztbeurteilungen, Fotos von Getöteten, O-Töne der LKWs zum Abtransport, verbrannte Überreste persönlicher Habseligkeiten zusammengetragen und Zeitzeugen gefunden, die ihre Geschichte erzählen. Wie Martin Bader, dessen Vater wegen Parkinson getötet wurde.

    ""Wie es zur Euthanasie kam? Meine Mutter bekam dieses Schreiben hier, dass ihr Mann in eine andere Anstalt verlegt wurde, wohin sei dem Herrn Direktor nicht bekannt, er wusste sehr wohl wohin es ging, nämlich nach Grafeneck. Und wieder nach einigen Tagen kam dieses Schreiben, der sogenannte Trostbrief, dass mein Vater unerwartet in Folge eines Hirnschlags verstorben sei. Das war ja das Schicksal meines Vaters.”"

    Die Ausstellung insgesamt ist mit dem neuen Konzept sachlicher und auch konsumierbarer geworden. Vorzuwerfen ist ihr zweierlei. Einmal überzeugt die Argumentationsführung nicht. Welchen Zusammenhang soll es geben zwischen der Notwendigkeit meinen Körper zu pflegen und Behinderte umzubringen? Wieso soll die Ermordung von Behinderten, die mit deren Arbeitsunfähigkeit begründet wird, die Vorstufe zur Ermordung einer der gebildetsten und leistungsfähigsten Bevölkerungsschichten des Landes, der deutschen Juden, gewesen sein. Hier fehlt deutlich eine Erklärung zur NS-Ideologie. Warum auch wurden in der Ausstellung die Millionen zivilen Polen und Russen vergessen zu erwähnen, welche dem Regime im Krieg auch aus rassischen Gründen zum Opfer fielen? Schließlich bleibt kritikwürdig an dem Konzept des Holocaust Memorial Museum, dass der beleuchtete Zeitraum mit dem Ende des NS-Regimes abbricht, ganz so als ob die Probleme sich damit erledigt hätten. Doch leben die Fragen der Eugenik weiter in der modernen Gentechnologie, die den Reichen dieser Welt genetisch optimierten Nachwuchs verspricht. Die Euthanasie taucht auf in der Diskussion um Selbsttötung und Patientenverfügung oder den Umgang mit lebensverlängernden Maßnahmen bei Alten und Kranken. Es wäre ein anderes Konzept geworden, diese brennenden gegenwärtigen und zukünftigen Probleme in die Ausstellung zu integrieren. In Berlin wurden diese Mängel nicht beseitigt aber dankenswerterweise deutlich gelindert durch ein umfangreiches Rahmenprogramm, sagt Klaus Mueller der Programmkoordinator des Holocaust Memorial Museum

    ""Die Ausstellung fokussiert sich auf die Zeit Anfang des 20 Jahrhunderts bis 45 - jede Ausstellung muss einen Zeitraum wählen. In den Begleitprogrammen haben wir aber genau diese Fragen auch angesprochen, weil klar ist, dass die Verführung der Medizin, und Biologie, die einfache Lösungen anbieten für komplexe Probleme mit dem Ende des Nationalsozialismus ja weiter bestehen bleibt.”