Mittwoch, 08. Mai 2024

Archiv


Präsident des Bundesarchivs: Absolute Sicherheit für Archive gibt es nicht

Der ideale und sicherste Standort für ein Archiv mit wertvollen Dokumenten liegt nach Meinung von Hartmut Weber außerhalb von Städten auf einer Anhöhe. Der Präsident des Bundesarchivs sagte vor dem Hintergrund der Zerstörung des Stadtarchivs in Köln, es komme nicht darauf an, "wie ich ein Archiv baue, sondern wo ich ein Archiv baue".

Hartmut Weber im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 04.03.2009
    Stefan Koldehoff: Wahrscheinlich war es ein unterirdischer Erdrutsch im Zusammenhang mit U-Bahn-Arbeiten, der das Kölner Archiv wie ein Kartenhaus hat zusammenstürzen lassen. Mitarbeiter des Hauses haben allerdings schon seit einem Jahr auf Risse im Keller, auf geplatzte Leitungen und auf Wandverschiebungen als Folge von Bauarbeiten hingewiesen. Die Stadt Köln und die Kölner Verkehrs-Betriebe – so der heutige Stand der Erkenntnisse – überprüften zwar regelmäßig, fanden aber Sicherungsmaßnahmen oder gar eine Evakuierung der Bestände und der Mitarbeiter nicht nötig. Inzwischen ermittelt die Kriminalpolizei gegen unbekannt. Abgesehen von den konkreten Ursachen stellt sich auch die Frage, wie sicher jene Archive überhaupt sein können, in denen nationales und internationales Kulturgut von höchster Bedeutung lagert. Diese Frage stelle ich dem Präsidenten des Bundesarchivs in Koblenz, Professor Hartmut Weber: Kannten Sie das Kölner Gebäude?

    Hartmut Weber: Das Stadtarchiv Köln kennt jeder Archivar und jede Archivarin in Deutschland, weil es ein Vorzeigebau war. Es war das sogenannte Kölner Modell, das dort eingestürzt ist. Das war ein Vorzeigebau von 1971, bei dem erstmals ein Niedrigenergie-Klimakonzept mit natürlicher Bauweise realisiert worden ist. Mit diesem Ziegelmauerwerk, mit den vorgehängten Platten und so weiter, es war was vollkommen Neues. Nicht nur damals, sondern es hat auch Auswirkungen gehabt auf den ganzen Archivbau seither.

    Koldehoff: Man konnte an der Stelle nicht tief in den Boden bauen, weil dort nur Kiesgrund ist, früher war dort mal Rheinufer.

    Weber: Ja.

    Koldehoff: Man wollte es aber auch gar nicht, um natürlich belüften zu können.

    Weber: So ist es, ja.

    Koldehoff: Wie sinnvoll ist es denn, Archive überirdisch anzulegen?

    Weber: Das ist sehr sinnvoll, weil nur überirdisch diese modernen Klimakonzepte funktionieren. Also man kann mit möglichst wenig Energiezufuhr nur arbeiten, wenn die Mauern aus der Erde schauen. Der Neubau des Bundesarchivs in Berlin ist auch konsequent über der Erde, keine Geschosse, die unter der Erde sind.

    Koldehoff: Gibt es denn – ich mache jetzt ganz bewusst den Advocatus Diaboli – gibt es denn bei einer Bauaufgabe wie einem Archiv nicht wichtigere Kriterien als die des Klimaschutzes?

    Weber: Es gibt Grundsätze, auch in der internationalen und nationalen Normung, niedergelegte Grundsätze, dass man eben bei einem Archivbau auch sehr entschieden auf den Standort achtet, wo man ein Archiv baut. Also dass man ein Archiv eben nicht im Grundwasser baut, dass man ein Archiv nicht in der Nähe von gefährlichen Anlagen baut, nicht in der Nähe von Kasernen und so weiter. Also möglichst das ideale Archiv ist irgendwie oben auf der Höhe. Nicht so nah am Rhein, aber das sind natürlich Kompromisse, die man eingehen muss, weil das ideale Archiv, das steht dann sozusagen außerhalb einer Stadt. Aber eine Stadt möchte das Archiv in der Stadt haben, weil ja die Bürgerinnen und Bürger der Stadt in dieses Archiv sollen.

    Koldehoff: Handschriften von Jacques Offenbach sind möglicherweise zerstört, der größte Teil des Nachlasses von Heinrich Böll einschließlich unveröffentlichter Manuskripte, die Gründungsurkunde der Kölner Universität. Gehören solche Schätze nicht eigentlich in einen Tresor?

    Weber: Also ich bin jetzt nicht informiert, ob diese Dinge in einem Tresor waren oder nicht in einem Tresor waren. Ich weiß nur aus den Erfahrungen auch des Zweiten Weltkriegs, dass im Zweiten Weltkrieg gerade diese Dinge total zerstört worden sind, die in Tresoren waren.

    Koldehoff: Woran lag das?

    Weber: Das lag daran, als Brandbomben dann auf das Gebäude gefallen sind, dass dann die Tresore gewirkt haben wie ein Backofen. Und ein Archiv hat auch so wertvolle Bestände, und gerade das Stadtarchiv hat so wertvolle Bestände, dass der ganze Magazinbereich ausgestaltet werden soll von der Sicherheit her, von Erhaltungsaspekten her wie ein Tresor. Auch unter Erhaltungsgesichtspunkten ist ein Tresor nicht günstig, weil dort keine Luftzirkulation stattfinden kann. Es verbietet sich aufgrund der Feuersicherheit von selbst.

    Koldehoff: Was kann man denn tun, um ein Archiv möglichst sicher zu machen? Ich nehme an, gegen ein Ereignis wie das jetzt in Köln ist man ohnehin machtlos?

    Weber: Das ist der Fall. Also ein Archiv kann man eben sicher machen, dann kommt es auf die Baumaterialien an. Und letzten Endes kommt es auch darauf an, das Archivgut auch verpackt ist.

    Koldehoff: Es gibt hier in Köln zumindest Hinweise darauf, dass die Stadt seit über einem Jahr davon weiß, dass sich durch einen U-Bahn-Bau im Keller des Archivgebäudes Setzrisse gebildet hatten, in der vergangenen Woche wohl sogar eine Neigung des Gebäudes messbar war um zehn Zentimeter entgegen der Lotlinie. Haben Sie, wenn man jetzt mal unterstellt, dass diese Hinweise in Köln nicht ernst genug genommen worden sein könnten, haben Sie den Eindruck, dass der Wert von Archiven in Deutschland der Politik und denen, die für die Mittelvergabe zuständig sind, bewusst genug ist?

    Weber: Also ich bin schon der Meinung. Natürlich mag das in Bund, Ländern, Gemeinden oder bei nicht staatlichen Archiven unterschiedlich sein. Und ich weiß auch, dass gerade im kommunalen Bereich oder im Bereich der Länder in den letzten Jahren eben an Personal sehr viel gespart worden ist. Ich habe aber nicht den Eindruck gewonnen, dass beim Archivbau bei der Sicherheit, bei der Einrichtung von Archiven gespart worden ist, weil ja der erste große Schock für die Archivwelt waren die Hochwasserkatastrophen von 2002. Und daraus hat man dann Konsequenzen gezogen, auch für Archive, die in Hochwassergebieten oder in der Nähe von Flüssen waren, dass man die eben dann auch weggebracht hat von dort.

    Koldehoff: Hartmut Weber, der Präsident des Bundesarchivs in Koblenz war das. Vielen Dank!