Tout devient possible: Alles wird möglich. Denn: 30 bis 40 Prozent der 44,5 Millionen wahlberechtigten Franzosen bleiben unentschlossen.
An Auswahl besteht dabei kein Mangel: Der Reigen der Kandidaten ist bunt gemischt. Eine Grüne, eine Kommunistin, eine Trotzkistin, ein trotzkistischer Briefträger mit Unidiplom, ein Maurermeister als Trotzkist, der eigentlich keiner sein will, und ein Globalisierungsgegner positionieren sich am linken Spektrum. Sie drohen der wichtigsten Kandidatin der Linken, der Sozialistin Ségolène Royal wichtige Stimmen wegzunehmen.
Die erste Frau mit Chancen auf das höchste Amt im Staat führte einen Mehrfronten Wahlkampf. Gejagt vom Gespenst der Sozialisten, deren Kandidat Lionel Jospin vor fünf Jahren den Einzug in die Stichwahl verpasst hatte, versuchte sie, die Kandidaten der Splitterparteien links klein zu halten, den immer ernster werdenden Angriff vom Zentrumspolitiker Francois Bayrou abzuwehren und dem Kandidaten der Regierungspartei UMP Nicolas Sarkozy die Stirn zu bieten!
Der agile Ex-Innenminister liegt in allen Meinungsumfragen seit Monaten weit vorn. Nicolas Sarkozy wähnt sich siegessicher, wollte aber nichts dem Zufall überlassen. Sein Augenmerk richtete sich vor allem auf die Protestwähler vom rechten Rand: Schließlich glaubt der Senior unter den Kandidaten, der 78ig jährige Jean Marie Le Pen von der rechtsextremen Nationalen Front, auch dieses Mal wieder in die Stichwahl einziehen und den anderen Kandidaten mit nationalistischen Touch, Philippe de Villiers, in Schach halten zu können.
Glaubt man dem Trend der Umfragen, so haben von den zwölf offiziellen Kandidaten, unter ihnen übrigens auch noch ein Vertreter der Partei der Jäger und Fischer, vier eine Chance, in die Stichwahl am 6. Mai einzuziehen: Die Sozialistin Ségolène Royal, der Zentrumspolitiker Francois Bayrou, der rechtsextreme Jean Marie Le Pen und der Kandidat der Regierungspartei UMP Nicolas Sarkozy.
Von AIRBUS Entlassungen, den 8,4 Mio Euro goldenen Fallschirm für den geschassten Airbus Chef Forgeard über Einwanderung, nationale Identität, Kaufkraft, Arbeit, Armut bis hin zur Sicherheit: Es gab kein beherrschendes Thema in einem Wahlkampf, bei dem die Außenpolitik so gut wie keine Rolle und bei dem interessanterweise nach dem Nein der Franzosen zur EU-Verfassung auch die Europapolitik nur eine Nebenrolle spielte.
Dabei stellen sich der neuen Generation Politiker, die nach dem Verzicht des amtierenden Präsidenten Jacques Chirac, des letzten Vertreters der alten Garde, nach der Macht greifen, fundamentale Fragen.
Wie kann Frankreich reformiert und modernisiert werden, wie kann die Grande Nation wieder ins Herz Europas zurück und seinen schwindenden Einfluss auf weltpolitischer Bühne verteidigen?
Nicolas Sarkozy, Kandidat der Regierungspartei UMP und bis vor kurzem Innenminister, glaubt eine klare Vision zu haben und vor allem über ausreichende Erfahrung zu verfügen.
" Ich habe viel gearbeitet, habe mich gründlich auf diese Wahl vorbereitet, weil ich versucht habe, die Probleme in Frankreich zu identifizieren.
Wir haben ein Problem mit der Arbeit, die nicht respektiert und nicht richtig betrachtet wird. Ein Problem mit der Kaufkraft, mit der Sicherheit, mit unseren Werten und ich bemühe mich um Lösungen, auf meine Art."
Und für die gibt es entweder Beifall:
Mann:" Er ist einfach der Beste in Frankreich, da kann man nichts Anderes sagen.
Es gibt keine Wahl. Es gibt nur einen Mann, der die französischen Werte verkörpert, der Ideen für die Zukunft Frankreichs hat, der ein Ziel hat, wohin er Frankreich führen will."
Frau: " Er ist charismatisch, hat gute Ideen, um Frankreich nach vorne zu bringen."
Junger Mann: " Wir wollen keinen Faschisten an der Regierung."
Junger Mann: " Persönlich mag ich ihn nicht besonders. Ich weiß nicht, wen ich wählen werde.
Ich habe mich noch nicht festgelegt. Aber ich glaube nicht, dass ich Sarkozy wählen werde. Er verkörpert die Rechte und das alles, das Neoliberale. Das ist nicht toll! Eigentlich bin ich nur gekommen, um zu sehen, wie groß er wirklich ist!"
meint ein junger Mann am Rande eines Wahlkampfauftritts von Sarkozy in der Bretagne. Die Antwort auf die Frage lautet: Angeblich nur 1 Meter 65!
Und der Mann will an das Erbe des in jeder Beziehung großen General de Gaulle anknüpfen!? Fehlende Körpergröße macht der Sohn eines ungarischen Immigranten und einer griechisch-stämmigen Jüdin durch Entschlossenheit, Agilität und Patriotismus wett.
" Wenn ich mit einem Satz sagen sollte, weshalb ich Kandidat bin. Dann würde ich gern sagen, dass ich jedem Franzosen, unabhängig seiner Herkunft und seines Wohnortes, gleich wo er sich in der Welt aufhält, wieder den Stolz zurückgeben möchte, Franzose zu sein. Wenn wir nicht auf unser Land stolz sind, wer dann? Wenn wir unser Vaterland nicht lieben, wer dann?"
Liebt Frankreich oder verlasst es, das sagt der Vorsitzende der Regierungspartei in letzter Zeit nicht mehr so häufig. Der 52-Jährige übt sich im Spagat: einerseits die Franzosen hinter sich zu einen, andererseits die Protestwähler der rechtsradikalen Nationalen Front, Front National für sich zu gewinnen.
Einerseits für Erneuerung zu stehen, andererseits die Erfolge der Regierung, der er selbst angehörte, für sich zu verbuchen. Sarkozy beabsichtigt ein eigenes Ministerium für nationale Identität und Immigration zu schaffen und die Einwandererzahlen, auch im Rahmen des Familiennachzugs zu regulieren.
" Der Familiennachzug ist ein Recht. Aber seine Familie nachziehen zu lassen, wenn man keine Wohnung hat, das sollte nicht möglich sein! Seine Familie nachzuholen, wenn man kein Arbeitseinkommen und nur Sozialhilfe bezieht, das sollte nicht möglich sein. Und ich wünsche auch, dass wenn man seine Familie nachholt, diese Französisch, die Sprache der Republik, lernt, bevor sie Fuß auf französischen Boden setzt. Ich will, dass man über Immigration sprechen kann, ohne als Rassist bezeichnet zu werden, und über die französische Nation reden kann, ohne als Nationalist zu gelten."
Arbeit muss sich wieder lohnen, Steuern runter, bzw. begrenzen auf maximal 50 Prozent Abgabenlast und den auf 30 bis 40 Milliarden bezifferten Betrug bekämpfen: Das sind die Ziele, die er vorgibt. Vollbeschäftigung ist der Slogan, den er wie hier auf einer Wahlveranstaltung verkündet:
In einem Interview erläutert er später was er darunter versteht:
Er verpflichte sich, die Arbeitslosenquote in fünf Jahren auf fünf Prozent zu reduzieren. Sarkozy will die 35 Stunden durch abgabenfreie Überstunden und generell die rigiden Arbeitszeitbedingungen auflockern. Das Streikrecht beabsichtigt er durch einen vorgeschriebenen 'Minimalbetrieb' im öffentlichen Sektor zumindest einzugrenzen. Er will die üppigen Pensionen in Staatsbetrieben dem öffentlichen Sektor anpassen, verspricht günstige Kredite für Häuslebauer, allen Obdachlosen binnen zwei Jahren ein Dach überm Kopf und warnt vor der sozialen Hängematte.
Wer Leistung will, muss auch Leistung bringen: Sarkozy erwartet eine Gegenleistung von Sozialhilfeempfängern. Der konservative Kandidat will gleichgeschlechtliche Gemeinschaften erlauben, aber nicht auf einer Ebene mit der Familie stellen.
Darin und vor allem in seiner Politik der harten Hand gegenüber Kriminellen so fordert er härteste Strafen selbst für jugendliche Wiederholungstäter - unterscheidet er sich von seiner Hauptkonkurrentin, der Sozialistin Ségolène Royal.
Zwar hat sich die Sozialisten - zum Ärger vieler in ihrer Partei - für eine Art Militärlager für jugendliche Kriminelle ausgesprochen. Um die Nationalismusoffensive ihres Gegners aufzufangen, lässt sie nun am Ende jedes Meetings, wie die Wahlveranstaltungen völlig unnationalistisch auf Französisch genannt werden, die Marseillaise singen und hat gefordert: Jeder Franzose möge am Nationalfeiertag die Tricolore raushängen! Dennoch grenzt sich die 53ig jährige Präsidentin der Region Poitou Charente klar von Sarkozy ab.
" Die Nation verlangt von niemandem zu vergessen, woher er kommt. Sie verlangt nicht, die Wurzeln, die Ursprünge, seine Bindungen, seine Kultur und seinen Glauben aufzugeben. Jeder kann seine heimatliche Bretagne oder sein Geburtsland Algerien lieben und dennoch vollwertiger französischer Bürger sein."
Während der einstige Oberpolizist Sarkozy davon spricht, Ordnung zu schaffen, legt sie ihre Vision einer gerechten Ordnung dar. Denn obwohl das Gros der Franzosen glaubt, auch unter dem Innenminister Sarkozy habe sich die Sicherheitslage verschlechtert, so trauen sie doch ihm, und keineswegs der stets eleganten und attraktiven Royal am ehesten zu, künftig für Ordnung zu sorgen. Ségolène Royal setzte deshalb zuletzt vor allem auf klassische linke Themen, auf das Soziale und spielt ihre Waffe der Frau aus.
La France présidente - Frankreich Präsidentin lautet der Slogan, unter dem sie ihren 100 Punkte Präsidentschaftspakt anpreist, mit dem sie vor allem eines erreichen will: Ein verständigeres, sozialeres, menschlicheres Frankreich.
" La France Présidente: Das ist das Frankreich, das gegen die Arbeitsarmut kämpft, das Schmelzen der Kaufkraft der Löhne und Renten nicht hinnimmt, für das Recht auf Wohnung und gegen sozialen Notstand kämpft, mein Frankreich bedeutet Bildung für alle und das Ende der Diskriminierung, die eine Schande für die Republik ist."
Mindestlohn in der Legislaturperiode auf 1500 Euro, kleine Renten 5 Prozent rauf, 120 000 Sozialwohnungen sofort und
"Mein Frankreich rehabilitiert die Arbeit, weil es allen Arbeit und jedem einen Beruf geben will. Dieses Frankreich wird jedem jungen Menschen eine Beschäftigung garantieren, mit dem 'Vertrag Erste Chance' und mit den Trampolinjobs, die ich gemeinsam mit den Regionen schaffen will."
690 000 vor allem junge Menschen will sie so mit Hilfe von Staatsgeldern in Beschäftigung bringen. Royal schlägt vor, homosexuelle Beziehungen voll auf eine Ebene mit heterosexuellen zu stellen, inklusive Adoptionsrecht. In der Energiepolitik will sie das Nukleare zugunsten erneuerbarer Energien reduzieren. Sie verspricht jungen Frauen unter 25 die Gratispille und Ausländern das kommunale Wahlrecht! Die Strategie ist klar: Die Präsidentin der Region Poitou Charente setzt auf die Alternative links - rechts!
Angeboten einer Allianz mit dem Zentrumspolitiker Bayrou noch vor dem ersten Wahlgang, die Parteifreunde wie der frühere Premier Rocard angeregt haben, erteilte sie eine klare Absage! Keine Frage: Sie will es wissen. Niemand mochte zunächst an Royal glauben. Die Lebensgefährtin von Sozialistenchef Francois Hollande und Mutter seiner vier Kinder verbindet jedoch eines mit ihrem Hauptgegner, mit Nicolas Sarkozy: Zielstrebigkeit und Entschlossenheit!
Wie ein frischer Wind fegte sie durchs Land, zeigte sich bei unzähligen, kleinen Veranstaltungen als exzellente Zuhörerin und übte sich in dem, was sie predigt: partizipative Demokratie: Die Demokratie der Teilhabe! Die parteiinterne Nominierung gewann sie spielend gegen die als Elefanten verschrienen Strauss Kahn und Fabius, immerhin Ex Finanz- und Ex Premierminister des Landes.
Francois Bayrou, der 55ig jährige Vorsitzende der Zentrumspartei UDF, ist die Überraschung dieser Wahl. Sein Rezept ist einfach und simpel: Es gibt mehr als nur Sarkozy und Royal, das vermeintliche Traumduell der Medien. Schluss mit der Konfrontation links - rechts, reißt diese Berliner Mauer in den Köpfen ein!
" Viele Wähler lassen sich nicht an der Nase herumführen zu der Wahl, auf die man sie begrenzen will. Die Franzosen haben es bei dieser Wahl in der Hand. Was sie wollen ist, dass es nach 2007 anders als vorher wird. Und der einzige Weg dorthin ist, dass sich die Kräfte Frankreichs vereinen und miteinander arbeiten."
Natürlich unter seiner Führung! Traktorfahrer, Vater von sechs Kindern, mehrfacher Großvater, übernahm er einst trotz abgeschlossenen Universitätsstudiums den Hof vom verstorbenen Vater. Bayrou gilt als bieder und bodenständig, vor allem als ehrliche Haut. Er ist überzeugter Europäer, will einen neuen Mini EU Verfassungsvertrag anders als Sarkozy, aber wie Royal per Referendum entscheiden lassen. Im Gegensatz zu den milliardenschweren Programmen der anderen Kandidaten hält er sich mit Versprechen bewusst zurück.
" Ich will Schluss machen mit der Logik des Defizits und der Schulden, indem ich nichts verspreche, was ich nicht bezahlen kann. Ich bin nicht einverstanden, wenn ich sehe, wie meine beiden Hauptkonkurrenten Versprechen von - zig Milliarden machen, wenn wir nicht den ersten Pfennig haben! Weshalb also etwas versprechen, was man nicht hält!"
Was er verspricht glaubt er halten zu können! Die ersten beiden Neueinstellungen in Kleinbetrieben sollen abgabenfrei bleiben, die Forschungsausgaben sollen angehoben werden, und der Mann, der unter der konservativen Regierung Balladur Bildungsminister war, will vor allem auf Bildung setzen.
Er sei bereit, einen Sozialisten zum Premierminister zu machen, betont Bayrou, der von der Linken stets als Rechter und von der Rechten als Phantast abgestempelt wird. Immerhin hat er im Parlament der Regierung de Villepin das Vertrauen verweigert! Sein Problem wäre angesichts des Mehrheitswahlrechtes eine Parlamentsmehrheit bei den nachfolgenden Wahlen zur Nationalversammlung zu bekommen. Deshalb tritt er auch für eine Änderung des Wahlrechtes ein. Diese käme auch auch Le Pen zu Pass.
Der Vorsitzende der Nationalen Front malt wie übrigens Bayrou stets ein düsteres Bild der Misswirtschaft, eines völlig überschuldeten Frankreichs. Keine Frage für den Nationalisten: Der Retter heißt Jean Marie Le Pen. Der 78-Jährige hat leichtes Spiel: trieb doch der frühere Innenminister Sarkozy die Wahlschlacht auf sein Terrain: Einwanderung, Nationalismus, wirtschaftlicher Notstand. Er sei das Original, Sarkozy, den er aufgrund seiner ungarischen Abstammung attackierte, eine schlechte Kopie, so Le Pen, der gern deftige Worte in den Mund nimmt.
" Sie haben nur eine Nationalität, Herr Sarkozy: die sarkozistische. Sie haben noch nicht gemerkt, wie viel Wut die ausgeraubten, ruinierten, verzweifelten Franzosen gegen das politische Gesindel hegen, von dem Sie einer der Führer und eines der Aushängeschilder sind."
Diese Attacke Le Pens, der die Todesstrafe wiedereinführen, die Steuern drastisch senken, teilweise ganz abschaffen und den Mindestlohnempfängern die Abgaben erlassen will, kam kurz nach einem Abstecher nach Argenteuil, in die Banlieue
" Ich bin nicht hierhergekommen, um eine Polit- und Medien Safari zu veranstalten. Ich danke ihnen allen, dass Sie mir erlaubt haben, mich auszudrücken: Dort, wo sich nicht einmal unser früherer Innenminister hintraut!"
Der Coup mit der Mediensafari, nichts Anderes war der Abstecher in die Banlieue, war gelungen - freilich nur für die nationalistische Klientel. Der Nationalist und Anti Europäer Le Pen, der die Einwanderung stoppen, aber neuerdings alle Einwanderer mit französischem Pass akzeptieren will, hat Wählerpotential - wohl aber nicht bei den Franzosen aus der Immigration, die er neuerdings umwirbt - etwa mit einer jungen hübschen Französin nordafrikanischer Abstammung auf Wahlplakaten. Die jungen Immigranten mit französischem Pass haben sich in der Banlieue massiv in die Wählerlisten eintragen lassen. Was zählt ist nicht die Überzeugung, sondern was nutzt.
Stimmt strategisch ab, damit es keinen neuen 21. April 2002 gibt - mahnt Samir Mihi von ACLEFEU, einem Hilfskollektiv, das die Banlieues überall in Frankreich mobilisiert hat!
Am 21. April 2002 standen der rechtsextreme Le Pen und der konservativ bürgerliche Chirac in der Stichwahl, die Linke war auf der Strecke geblieben. 3,3 Millionen Franzosen neue Wähler stehen auf den Listen, 8 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Sie werden selten in Umfragen erfasst, gelten als unentschlossen und könnten womöglich den Ausschlag geben.
Tout devient possible: Alles wird möglich!
An Auswahl besteht dabei kein Mangel: Der Reigen der Kandidaten ist bunt gemischt. Eine Grüne, eine Kommunistin, eine Trotzkistin, ein trotzkistischer Briefträger mit Unidiplom, ein Maurermeister als Trotzkist, der eigentlich keiner sein will, und ein Globalisierungsgegner positionieren sich am linken Spektrum. Sie drohen der wichtigsten Kandidatin der Linken, der Sozialistin Ségolène Royal wichtige Stimmen wegzunehmen.
Die erste Frau mit Chancen auf das höchste Amt im Staat führte einen Mehrfronten Wahlkampf. Gejagt vom Gespenst der Sozialisten, deren Kandidat Lionel Jospin vor fünf Jahren den Einzug in die Stichwahl verpasst hatte, versuchte sie, die Kandidaten der Splitterparteien links klein zu halten, den immer ernster werdenden Angriff vom Zentrumspolitiker Francois Bayrou abzuwehren und dem Kandidaten der Regierungspartei UMP Nicolas Sarkozy die Stirn zu bieten!
Der agile Ex-Innenminister liegt in allen Meinungsumfragen seit Monaten weit vorn. Nicolas Sarkozy wähnt sich siegessicher, wollte aber nichts dem Zufall überlassen. Sein Augenmerk richtete sich vor allem auf die Protestwähler vom rechten Rand: Schließlich glaubt der Senior unter den Kandidaten, der 78ig jährige Jean Marie Le Pen von der rechtsextremen Nationalen Front, auch dieses Mal wieder in die Stichwahl einziehen und den anderen Kandidaten mit nationalistischen Touch, Philippe de Villiers, in Schach halten zu können.
Glaubt man dem Trend der Umfragen, so haben von den zwölf offiziellen Kandidaten, unter ihnen übrigens auch noch ein Vertreter der Partei der Jäger und Fischer, vier eine Chance, in die Stichwahl am 6. Mai einzuziehen: Die Sozialistin Ségolène Royal, der Zentrumspolitiker Francois Bayrou, der rechtsextreme Jean Marie Le Pen und der Kandidat der Regierungspartei UMP Nicolas Sarkozy.
Von AIRBUS Entlassungen, den 8,4 Mio Euro goldenen Fallschirm für den geschassten Airbus Chef Forgeard über Einwanderung, nationale Identität, Kaufkraft, Arbeit, Armut bis hin zur Sicherheit: Es gab kein beherrschendes Thema in einem Wahlkampf, bei dem die Außenpolitik so gut wie keine Rolle und bei dem interessanterweise nach dem Nein der Franzosen zur EU-Verfassung auch die Europapolitik nur eine Nebenrolle spielte.
Dabei stellen sich der neuen Generation Politiker, die nach dem Verzicht des amtierenden Präsidenten Jacques Chirac, des letzten Vertreters der alten Garde, nach der Macht greifen, fundamentale Fragen.
Wie kann Frankreich reformiert und modernisiert werden, wie kann die Grande Nation wieder ins Herz Europas zurück und seinen schwindenden Einfluss auf weltpolitischer Bühne verteidigen?
Nicolas Sarkozy, Kandidat der Regierungspartei UMP und bis vor kurzem Innenminister, glaubt eine klare Vision zu haben und vor allem über ausreichende Erfahrung zu verfügen.
" Ich habe viel gearbeitet, habe mich gründlich auf diese Wahl vorbereitet, weil ich versucht habe, die Probleme in Frankreich zu identifizieren.
Wir haben ein Problem mit der Arbeit, die nicht respektiert und nicht richtig betrachtet wird. Ein Problem mit der Kaufkraft, mit der Sicherheit, mit unseren Werten und ich bemühe mich um Lösungen, auf meine Art."
Und für die gibt es entweder Beifall:
Mann:" Er ist einfach der Beste in Frankreich, da kann man nichts Anderes sagen.
Es gibt keine Wahl. Es gibt nur einen Mann, der die französischen Werte verkörpert, der Ideen für die Zukunft Frankreichs hat, der ein Ziel hat, wohin er Frankreich führen will."
Frau: " Er ist charismatisch, hat gute Ideen, um Frankreich nach vorne zu bringen."
Junger Mann: " Wir wollen keinen Faschisten an der Regierung."
Junger Mann: " Persönlich mag ich ihn nicht besonders. Ich weiß nicht, wen ich wählen werde.
Ich habe mich noch nicht festgelegt. Aber ich glaube nicht, dass ich Sarkozy wählen werde. Er verkörpert die Rechte und das alles, das Neoliberale. Das ist nicht toll! Eigentlich bin ich nur gekommen, um zu sehen, wie groß er wirklich ist!"
meint ein junger Mann am Rande eines Wahlkampfauftritts von Sarkozy in der Bretagne. Die Antwort auf die Frage lautet: Angeblich nur 1 Meter 65!
Und der Mann will an das Erbe des in jeder Beziehung großen General de Gaulle anknüpfen!? Fehlende Körpergröße macht der Sohn eines ungarischen Immigranten und einer griechisch-stämmigen Jüdin durch Entschlossenheit, Agilität und Patriotismus wett.
" Wenn ich mit einem Satz sagen sollte, weshalb ich Kandidat bin. Dann würde ich gern sagen, dass ich jedem Franzosen, unabhängig seiner Herkunft und seines Wohnortes, gleich wo er sich in der Welt aufhält, wieder den Stolz zurückgeben möchte, Franzose zu sein. Wenn wir nicht auf unser Land stolz sind, wer dann? Wenn wir unser Vaterland nicht lieben, wer dann?"
Liebt Frankreich oder verlasst es, das sagt der Vorsitzende der Regierungspartei in letzter Zeit nicht mehr so häufig. Der 52-Jährige übt sich im Spagat: einerseits die Franzosen hinter sich zu einen, andererseits die Protestwähler der rechtsradikalen Nationalen Front, Front National für sich zu gewinnen.
Einerseits für Erneuerung zu stehen, andererseits die Erfolge der Regierung, der er selbst angehörte, für sich zu verbuchen. Sarkozy beabsichtigt ein eigenes Ministerium für nationale Identität und Immigration zu schaffen und die Einwandererzahlen, auch im Rahmen des Familiennachzugs zu regulieren.
" Der Familiennachzug ist ein Recht. Aber seine Familie nachziehen zu lassen, wenn man keine Wohnung hat, das sollte nicht möglich sein! Seine Familie nachzuholen, wenn man kein Arbeitseinkommen und nur Sozialhilfe bezieht, das sollte nicht möglich sein. Und ich wünsche auch, dass wenn man seine Familie nachholt, diese Französisch, die Sprache der Republik, lernt, bevor sie Fuß auf französischen Boden setzt. Ich will, dass man über Immigration sprechen kann, ohne als Rassist bezeichnet zu werden, und über die französische Nation reden kann, ohne als Nationalist zu gelten."
Arbeit muss sich wieder lohnen, Steuern runter, bzw. begrenzen auf maximal 50 Prozent Abgabenlast und den auf 30 bis 40 Milliarden bezifferten Betrug bekämpfen: Das sind die Ziele, die er vorgibt. Vollbeschäftigung ist der Slogan, den er wie hier auf einer Wahlveranstaltung verkündet:
In einem Interview erläutert er später was er darunter versteht:
Er verpflichte sich, die Arbeitslosenquote in fünf Jahren auf fünf Prozent zu reduzieren. Sarkozy will die 35 Stunden durch abgabenfreie Überstunden und generell die rigiden Arbeitszeitbedingungen auflockern. Das Streikrecht beabsichtigt er durch einen vorgeschriebenen 'Minimalbetrieb' im öffentlichen Sektor zumindest einzugrenzen. Er will die üppigen Pensionen in Staatsbetrieben dem öffentlichen Sektor anpassen, verspricht günstige Kredite für Häuslebauer, allen Obdachlosen binnen zwei Jahren ein Dach überm Kopf und warnt vor der sozialen Hängematte.
Wer Leistung will, muss auch Leistung bringen: Sarkozy erwartet eine Gegenleistung von Sozialhilfeempfängern. Der konservative Kandidat will gleichgeschlechtliche Gemeinschaften erlauben, aber nicht auf einer Ebene mit der Familie stellen.
Darin und vor allem in seiner Politik der harten Hand gegenüber Kriminellen so fordert er härteste Strafen selbst für jugendliche Wiederholungstäter - unterscheidet er sich von seiner Hauptkonkurrentin, der Sozialistin Ségolène Royal.
Zwar hat sich die Sozialisten - zum Ärger vieler in ihrer Partei - für eine Art Militärlager für jugendliche Kriminelle ausgesprochen. Um die Nationalismusoffensive ihres Gegners aufzufangen, lässt sie nun am Ende jedes Meetings, wie die Wahlveranstaltungen völlig unnationalistisch auf Französisch genannt werden, die Marseillaise singen und hat gefordert: Jeder Franzose möge am Nationalfeiertag die Tricolore raushängen! Dennoch grenzt sich die 53ig jährige Präsidentin der Region Poitou Charente klar von Sarkozy ab.
" Die Nation verlangt von niemandem zu vergessen, woher er kommt. Sie verlangt nicht, die Wurzeln, die Ursprünge, seine Bindungen, seine Kultur und seinen Glauben aufzugeben. Jeder kann seine heimatliche Bretagne oder sein Geburtsland Algerien lieben und dennoch vollwertiger französischer Bürger sein."
Während der einstige Oberpolizist Sarkozy davon spricht, Ordnung zu schaffen, legt sie ihre Vision einer gerechten Ordnung dar. Denn obwohl das Gros der Franzosen glaubt, auch unter dem Innenminister Sarkozy habe sich die Sicherheitslage verschlechtert, so trauen sie doch ihm, und keineswegs der stets eleganten und attraktiven Royal am ehesten zu, künftig für Ordnung zu sorgen. Ségolène Royal setzte deshalb zuletzt vor allem auf klassische linke Themen, auf das Soziale und spielt ihre Waffe der Frau aus.
La France présidente - Frankreich Präsidentin lautet der Slogan, unter dem sie ihren 100 Punkte Präsidentschaftspakt anpreist, mit dem sie vor allem eines erreichen will: Ein verständigeres, sozialeres, menschlicheres Frankreich.
" La France Présidente: Das ist das Frankreich, das gegen die Arbeitsarmut kämpft, das Schmelzen der Kaufkraft der Löhne und Renten nicht hinnimmt, für das Recht auf Wohnung und gegen sozialen Notstand kämpft, mein Frankreich bedeutet Bildung für alle und das Ende der Diskriminierung, die eine Schande für die Republik ist."
Mindestlohn in der Legislaturperiode auf 1500 Euro, kleine Renten 5 Prozent rauf, 120 000 Sozialwohnungen sofort und
"Mein Frankreich rehabilitiert die Arbeit, weil es allen Arbeit und jedem einen Beruf geben will. Dieses Frankreich wird jedem jungen Menschen eine Beschäftigung garantieren, mit dem 'Vertrag Erste Chance' und mit den Trampolinjobs, die ich gemeinsam mit den Regionen schaffen will."
690 000 vor allem junge Menschen will sie so mit Hilfe von Staatsgeldern in Beschäftigung bringen. Royal schlägt vor, homosexuelle Beziehungen voll auf eine Ebene mit heterosexuellen zu stellen, inklusive Adoptionsrecht. In der Energiepolitik will sie das Nukleare zugunsten erneuerbarer Energien reduzieren. Sie verspricht jungen Frauen unter 25 die Gratispille und Ausländern das kommunale Wahlrecht! Die Strategie ist klar: Die Präsidentin der Region Poitou Charente setzt auf die Alternative links - rechts!
Angeboten einer Allianz mit dem Zentrumspolitiker Bayrou noch vor dem ersten Wahlgang, die Parteifreunde wie der frühere Premier Rocard angeregt haben, erteilte sie eine klare Absage! Keine Frage: Sie will es wissen. Niemand mochte zunächst an Royal glauben. Die Lebensgefährtin von Sozialistenchef Francois Hollande und Mutter seiner vier Kinder verbindet jedoch eines mit ihrem Hauptgegner, mit Nicolas Sarkozy: Zielstrebigkeit und Entschlossenheit!
Wie ein frischer Wind fegte sie durchs Land, zeigte sich bei unzähligen, kleinen Veranstaltungen als exzellente Zuhörerin und übte sich in dem, was sie predigt: partizipative Demokratie: Die Demokratie der Teilhabe! Die parteiinterne Nominierung gewann sie spielend gegen die als Elefanten verschrienen Strauss Kahn und Fabius, immerhin Ex Finanz- und Ex Premierminister des Landes.
Francois Bayrou, der 55ig jährige Vorsitzende der Zentrumspartei UDF, ist die Überraschung dieser Wahl. Sein Rezept ist einfach und simpel: Es gibt mehr als nur Sarkozy und Royal, das vermeintliche Traumduell der Medien. Schluss mit der Konfrontation links - rechts, reißt diese Berliner Mauer in den Köpfen ein!
" Viele Wähler lassen sich nicht an der Nase herumführen zu der Wahl, auf die man sie begrenzen will. Die Franzosen haben es bei dieser Wahl in der Hand. Was sie wollen ist, dass es nach 2007 anders als vorher wird. Und der einzige Weg dorthin ist, dass sich die Kräfte Frankreichs vereinen und miteinander arbeiten."
Natürlich unter seiner Führung! Traktorfahrer, Vater von sechs Kindern, mehrfacher Großvater, übernahm er einst trotz abgeschlossenen Universitätsstudiums den Hof vom verstorbenen Vater. Bayrou gilt als bieder und bodenständig, vor allem als ehrliche Haut. Er ist überzeugter Europäer, will einen neuen Mini EU Verfassungsvertrag anders als Sarkozy, aber wie Royal per Referendum entscheiden lassen. Im Gegensatz zu den milliardenschweren Programmen der anderen Kandidaten hält er sich mit Versprechen bewusst zurück.
" Ich will Schluss machen mit der Logik des Defizits und der Schulden, indem ich nichts verspreche, was ich nicht bezahlen kann. Ich bin nicht einverstanden, wenn ich sehe, wie meine beiden Hauptkonkurrenten Versprechen von - zig Milliarden machen, wenn wir nicht den ersten Pfennig haben! Weshalb also etwas versprechen, was man nicht hält!"
Was er verspricht glaubt er halten zu können! Die ersten beiden Neueinstellungen in Kleinbetrieben sollen abgabenfrei bleiben, die Forschungsausgaben sollen angehoben werden, und der Mann, der unter der konservativen Regierung Balladur Bildungsminister war, will vor allem auf Bildung setzen.
Er sei bereit, einen Sozialisten zum Premierminister zu machen, betont Bayrou, der von der Linken stets als Rechter und von der Rechten als Phantast abgestempelt wird. Immerhin hat er im Parlament der Regierung de Villepin das Vertrauen verweigert! Sein Problem wäre angesichts des Mehrheitswahlrechtes eine Parlamentsmehrheit bei den nachfolgenden Wahlen zur Nationalversammlung zu bekommen. Deshalb tritt er auch für eine Änderung des Wahlrechtes ein. Diese käme auch auch Le Pen zu Pass.
Der Vorsitzende der Nationalen Front malt wie übrigens Bayrou stets ein düsteres Bild der Misswirtschaft, eines völlig überschuldeten Frankreichs. Keine Frage für den Nationalisten: Der Retter heißt Jean Marie Le Pen. Der 78-Jährige hat leichtes Spiel: trieb doch der frühere Innenminister Sarkozy die Wahlschlacht auf sein Terrain: Einwanderung, Nationalismus, wirtschaftlicher Notstand. Er sei das Original, Sarkozy, den er aufgrund seiner ungarischen Abstammung attackierte, eine schlechte Kopie, so Le Pen, der gern deftige Worte in den Mund nimmt.
" Sie haben nur eine Nationalität, Herr Sarkozy: die sarkozistische. Sie haben noch nicht gemerkt, wie viel Wut die ausgeraubten, ruinierten, verzweifelten Franzosen gegen das politische Gesindel hegen, von dem Sie einer der Führer und eines der Aushängeschilder sind."
Diese Attacke Le Pens, der die Todesstrafe wiedereinführen, die Steuern drastisch senken, teilweise ganz abschaffen und den Mindestlohnempfängern die Abgaben erlassen will, kam kurz nach einem Abstecher nach Argenteuil, in die Banlieue
" Ich bin nicht hierhergekommen, um eine Polit- und Medien Safari zu veranstalten. Ich danke ihnen allen, dass Sie mir erlaubt haben, mich auszudrücken: Dort, wo sich nicht einmal unser früherer Innenminister hintraut!"
Der Coup mit der Mediensafari, nichts Anderes war der Abstecher in die Banlieue, war gelungen - freilich nur für die nationalistische Klientel. Der Nationalist und Anti Europäer Le Pen, der die Einwanderung stoppen, aber neuerdings alle Einwanderer mit französischem Pass akzeptieren will, hat Wählerpotential - wohl aber nicht bei den Franzosen aus der Immigration, die er neuerdings umwirbt - etwa mit einer jungen hübschen Französin nordafrikanischer Abstammung auf Wahlplakaten. Die jungen Immigranten mit französischem Pass haben sich in der Banlieue massiv in die Wählerlisten eintragen lassen. Was zählt ist nicht die Überzeugung, sondern was nutzt.
Stimmt strategisch ab, damit es keinen neuen 21. April 2002 gibt - mahnt Samir Mihi von ACLEFEU, einem Hilfskollektiv, das die Banlieues überall in Frankreich mobilisiert hat!
Am 21. April 2002 standen der rechtsextreme Le Pen und der konservativ bürgerliche Chirac in der Stichwahl, die Linke war auf der Strecke geblieben. 3,3 Millionen Franzosen neue Wähler stehen auf den Listen, 8 Prozent mehr als vor fünf Jahren. Sie werden selten in Umfragen erfasst, gelten als unentschlossen und könnten womöglich den Ausschlag geben.
Tout devient possible: Alles wird möglich!