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"Präsident Rohani bemüht sich tatsächlich um eine gewisse Öffnung"

In Teilen der iranischen Bevölkerung und im politischen Iran hat Jochen Hippler vor Ort eine Aufbruchstimmung und Hoffnung erfahren. Aber für "einen neuen Iran" bedürfe es erst noch lange interne Kämpfe.

Jochen Hippler im Gespräch mit Dirk Müller | 09.11.2013
    Dirk Müller: Das alles geht schneller, als erwartet! Jahrelang haben sich die Unterhändler die Zähne ausgebissen an der unnachgiebigen Haltung Teherans. Nun gibt es offenbar berechtigte Hoffnung, dass der Konflikt um die iranischen Atomwaffenprogramme in einer Kompromisslösung münden könnte. Alle Außenminister der Verhandlungspartner sind extra nach Genf geeilt, um ihre Unterhändler zu unterstützen, um vielleicht etwas Historisches zu schaffen.

    Die Atomgespräche, die 5+1-Verhandlungen mit dem Iran wird auch weiterhin unser Thema sein mit dem Politikwissenschaftler und Nahostexperten Jochen Hippler. Guten Tag!

    Jochen Hippler: Guten Tag, Herr Müller!

    Müller: Herr Hippler, kann man Teheran trauen?

    Hippler: Im Moment ist auf beiden Seiten das Misstrauen sehr groß und da stehen natürlich die Erfahrungen der letzten Jahre dahinter. Das heißt, offensichtlich gab es eine ganze Reihe von Tricks auf iranischer Seite, die man nicht vergessen wird und nicht vergisst, und umgekehrt kann sich der Iran mit gewissem Recht darüber beschweren, dass man ihm so eine Art Sonderposition zugewiesen hat, dass man eben strengere Maßnahmen ihm gegenüber anlegt, als man das gegenüber allen anderen Staaten macht, und dass man in der Vergangenheit teilweise auch versucht, bestimmte Rechte vorzuenthalten, die aus dem Atomwaffensperrvertrag, dem Nichtweiterverbreitungsvertrag gegeben sind. Da hat man gegenseitig großes Misstrauen, deswegen wird es sicher noch ein bisschen dauern, bis man da auf vertrauensvoller Ebene angekommen ist.

    Müller: Bringen Sie uns da noch einmal auf den aktuellen Stand, Jochen Hippler, von welchen Rechten haben Sie gesprochen?

    Hippler: Na ja, der Nichtweiterverbreitungsvertrag, den man früher Atomwaffensperrvertrag nannte, der ist vom Iran unterschrieben und das ist sozusagen ein Abkommen gewesen, in dem die Nichtatommächte darauf verzichten, Atomwaffen zu erlangen oder an der Weiterverbreitung mitzuwirken, die Atommächte langfristig ein relativ vages Versprechen der atomaren Abrüstung abgegeben haben, und gleichzeitig alle Staaten, die das unterschrieben haben – dazu gehörte eben auch der Iran –, das Recht bekommen auf zivile Nutzung der Kernenergie, und dabei auch unterstützt zu werden. Und da hat sich der Iran öfter beschwert, dass dieses Recht auf zivile Nutzung eben über diesen Verhandlungsprozess und den Sanktionsprozess ausgehöhlt wurde und untergraben wurde.

    Müller: Weil es berechtigte Fakten, Erkenntnisse gegeben hat, dass dem eben nicht so ist, dass diese zivile Nutzung gleich zu übertragen ist auf eine potenzielle militärische?

    Hippler: Na ja, tatsächlich ist es natürlich so, dass im Bereich atomarer Technologie die Grenze zwischen Zivil und Militärisch nicht mit dem Lineal gezogen werden kann. Wir haben ja nun auch in der Vergangenheit durchaus in Deutschland bei den zivilen Atomkraftwerken auch einen ganz beträchtlichen Vorrat von Plutonium einlagern müssen. Und das wäre natürlich, wenn das im Iran passiert wäre, sehr anders gewertet worden, als das halt in anderen Ländern gewertet worden ist.

    Müller: Wir haben es in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder auch in den Zeitungen, in den Analysen und Kommentaren lesen können, das ist ein neuer Iran, es ist eine neue Führung in Teheran, die Verantwortung übernommen hat. Ist es wirklich eine neue Führung?

    Hippler: Also, neuer Iran ist noch ein bisschen voreilig. Wir haben jetzt – ich bin vor zwei Wochen zurückgekommen aus Teheran –, wir haben jetzt tatsächlich in Teilen der Bevölkerung und insbesondere im politischen Iran eine Aufbruchstimmung, eine Hoffnung gehabt, einen neuen Iran, das wird eben noch lange, jahrelange interne Kämpfe nach sich ziehen müssen. Die gegenwärtige Regierung, Präsident Rohani bemüht sich tatsächlich um eine gewisse Öffnung im wirtschaftspolitischen Bereich, im politischen Bereich sind bereits symbolische Maßnahmen, noch nicht wirklich viel Substanzielles erlassen worden. Aber es ist letztlich eine informelle Koalitionsregierung, wo die Leute um Rohani gemeinsam mit den Netzwerken vom früheren Präsidenten Chatami, auch ein Liberaler, gemeinsam mit den Netzwerken von dem früheren Präsidenten Rafsandschani, das ist eher so ein wirtschaftlich orientierter Technokrat, aber auch mit reaktionären und konservativen Kräften, die halt über diesen religiösen Führer Herrn Chamenei so eine Koalitionsregierung … Da geht es tatsächlich jetzt um internes Tauziehen. Es geht auch um die Frage, ob langfristig diese reformorientierten Kräfte Spielraum bekommen werden vom Führer, oder ob sie irgendwann vor eine Wand laufen, die eben die doktrinären und reaktionären Kräfte versuchen werden zu errichten. Das ist alles noch relativ offen. Im Moment hat sich ein völlig anderes Klima im Iran gebildet, nach der Wahl von Rohani, aber die großen Auseinandersetzungen würde ich erst in zwei, drei Jahren erwarten.

    Müller: Sie waren ja vor gut 14 Tagen für längere Zeit dort in Teheran, haben Sie gerade gesagt. Aber wenn Sie das jetzt beantworten müssten oder sich jetzt festlegen müssten, Herr Hippler, würden Sie immer noch sagen, die Mullahs haben letztendlich immer noch ganz klar das entscheidende Wort?

    Hippler: Ich würde das weder sagen, noch bestreiten. Mein Eindruck ist, dass auch das reaktionäre, das konservative Lager völlig fragmentiert und gespalten ist, dass es nicht allein ein Kampf von Liberalen gegen Konservative oder gegen Reaktionäre ist, sondern dass das konservative Lager wirklich in vier, fünf Lager zerfallen ist, dass nicht ganz klar ist, ob bestimmte Teile der Sicherheitskräfte nicht inzwischen auf eigene Rechnung mehr wirtschaftlich operieren als unbedingt immer im gemeinsamen Staatsinteresse. Und man muss natürlich zur Kenntnis nehmen, dass die liberalen Kräfte sowohl innerhalb der Regierung als auch außerhalb eigentlich kaum organisiert sind und dadurch eben relativ schwach sind. Deswegen, so eine einfache Formulierung, wer da im Moment die Kontrolle hat, würde ich nicht wagen. Ich habe auch relativ wenig Leute in Teheran getroffen, die das mal so eben auf den Punkt bringen können.

    Müller: Wenn wir über Ägypten reden, wenn wir über Syrien reden, oder auch über Libyen haben wir lange Zeit geredet, im Moment nicht mehr ganz so viel, dann hat immer die Rolle der Militärs eine ganz, ganz wichtige Rolle gespielt in der Betrachtung, in der Analyse, auch in der Erklärung der Verhältnisse. Warum reden wir nie über die Militärs im Iran?

    Hippler: Ja, das ist wirklich eine wichtige und gute Frage. Ich glaube, weil wir zurzeit von diesem ganzen reaktionären, religiösen Diskurs so gefangengenommen werden, dass wir bestimmte Dinge, die wir normalerweise fragen würden, nämlich, wer hat eigentlich die Waffen, wer hat eigentlich die militärische Gewalt, dass das eben tatsächlich im Iran uns oft ein bisschen durch die Lappen geht. Und dann muss man eben sagen, dass dieses Religiöse versus Säkulare oder so, das trägt einfach nicht die Größten, die meisten. Die Mehrzahl der Großayatollahs zum Beispiel sind eher auf so einer liberaleren Ebene als der Führer Chamenei. Und die Sorge ist tatsächlich, was würde bei einer großen Eskalation passieren zwischen liberalen Kräften, die ja 2009 eigentlich schon mal fast auf der Tagesordnung gestanden hätte und wo auch dann die Opposition zurückgezuckt ist, aufgrund der Gefahr der Repression, aufgrund der Gefahr auch, dass es da zu einem großen Massaker hätte kommen können. Und das hat nun auch was mit der Loyalität oder Nicht-Loyalität der verschiedenen Teile der Streitkräfte oder der Sicherheitsapparate zu tun.

    Müller: Es gibt seit Jahren das Sanktionsregime gegenüber Teheran, gegenüber dem Iran. Hat das richtig wehgetan?

    Hippler: Ja, es hat richtig wehgetan, aber es hat vor allen Dingen tatsächlich großen Teilen der Gesellschaft geschmerzt. Wenn ich an Preissteigerungen denke oder an auch so symbolische Sachen, wenn sie halt bei, sagen wir mal, bei einer Hochzeit nicht mal mehr in der Lage sind, Blumen, die Sie wollen, zu kaufen, sondern irgendwelche anderen … Das ist eben ein Zeichen, dass es bis unten tatsächlich durchgesickert ist, während die politischen und die wirtschaftlichen Eliten, wie das ja häufig bei solchen Sanktionen ist, relativ glimpflich davongekommen sind und sich zum Teil auch noch bereichern konnten. Also, da muss man schon sagen, dass das so ein bisschen paradox ist, weil der größte Teil der iranischen Gesellschaft ja ohnehin die Nase voll hat von diesen Ahmadinedschad-Jahren und bestimmten Dingen, die man da erfahren hat, sie auch diese religiöse Dominanz eigentlich satthaben. Und gerade die Leute dafür noch zu bestrafen, die eigentlich potenziell schon auf einer eher liberaleren, eher säkularen Diskussionsebene sich eingefunden haben, das wird teilweise im Iran nicht wirklich verstanden.

    Müller: Sind dennoch die Sanktionen, das ganze Sanktionsregime einer der Hauptgründe, damit Teheran sich jetzt bewegt oder warum Teheran sich jetzt bewegt?

    Hippler: Ich glaube, dass es schon eine gewisse Rolle dabei spielte … Wenn Sie an die Rede von Präsident Rohani in New York bei der UNO-Generalversammlung oder jetzt auch an die Initiativen in Genf, an die Verhandlung denken, das ist eindeutig eine Sache, die von den liberalen Kräften gewollt wird und schon länger gewollt wurde. Aber ich glaube, die Zustimmung des Führers Chamenei zu kriegen, der eben das auch abnicken musste, um das überhaupt möglich zu machen, das hat natürlich von Chameneis Seite nichts damit zu tun, dass er so besondere Offenheit signalisieren möchte, sondern das ist eben zur Hälfte mit dem Schock dieses Wahlergebnisses, mit dem noch zwei, drei Tage vor der Wahl keiner gerechnet hätte, und andererseits eben tatsächlich die Notwendigkeit, die tiefgreifende Wirtschaftskrise im Iran, die auch durch diese Sanktionen mit vertieft worden ist … Da waren auch katastrophale wirtschaftspolitische Fehler von Herrn Ahmadinedschad und seiner Truppe mit verantwortlich, aber letztlich, die Hardliner tolerieren im Moment diese neue Politik vor allen Dingen, weil sie einfach wirtschaftspolitisch sonst keinen Ausweg mehr sehen.

    Müller: Bei uns heute Mittag im Deutschlandfunk der Politikwissenschaftler und Nahostexperte Jochen Hippler. Danke für das Gespräch und Ihnen noch einen schönen Tag!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.