
Amtsinhaber Saied war ohne ernsthafte Konkurrenz an. Die von ihm zusammengestellte Wahlkommission hatte zahlreiche Bewerber abgelehnt. Neben dem 66-jährigen Saied standen zwei weitere Kandidaten auf dem Wahlzettel: der links-nationalistische Zouhair Maghzaoui, Vorsitzender der Partei Echaab und ein Vertrauter Saieds. Außerdem Ayachi Zammel, ein liberaler Politiker, der der relativ unbekannten Bewegung Azimoun angehört und im Gefängnis sitzt. Mitte September wurde Zammel zu 20 Monaten Haft wegen Unterschriftenfälschung verurteilt. Er bestreitet den Vorwurf.
Seit 2019 hat Saied Macht schrittweise ausgebaut
Bei der Wahl um das Präsidentenamt 2019, die Saied gewann, waren noch 25 Kandidaten zugelassen. Saied erweiterte seine Befugnisse schrittweise und rief 2021 in einer rechtlich umstrittenen Entscheidung den Notstand aus. Seitdem hat er nach und nach immer mehr Macht auf sich vereint. 2022 ließ er über eine neue Verfassung abstimmen, die dem Präsidenten wesentlich mehr Befugnisse zugesteht. Unabhängige staatliche Institutionen wurden unter direkte Kontrolle der Regierung gestellt, zahlreiche Oppositionelle wegen mutmaßlicher Umsturzpläne festgenommen.
Nichtregierungsorganisation registriert zahlreiche Verstöße gegen Grundsätze fairer und freier Wahlen
Das "Middle East Democracy Center" (MEDC) zählte schon vor Öffnung der Wahllokale 60 Verstöße gegen die Grundsätze fairer und freier Wahlen. Wie die Nicht-Regierungsorganisation mit Sitz in den USA erklärte, ging die Regierung mit gerichtlichen Schikanen und der Disqualifizierung von Kandidaten gegen die Opposition vor. Bei der Pressefreiheit und dem Recht auf freie Meinungsäußerungen habe es bis zuletzt außerdem 47 Verstöße gegeben, darunter Fälle von Unterdrückung politischer Ansichten und der Arbeit von Journalisten.
Anders als in früheren Abstimmungen werden auch keine bedeutenden ausländischen Beobachtermissionen die Wahlen in Tunesien überwachen. Die Akkreditierungen mehrerer tunesischer Beobachter-Vereine wurden abgelehnt.
Saieds erste Amtsjahre: "Totengeläut" für Demokratieprozess
Dabei begann in Tunesien nach den Massenprotesten von 2011 eigentlich bereits ein schrittweiser Übergang zur Demokratie. Doch Saieds erste fünf Amtsjahre seien das "Totengeläut" für diesen Prozess gewesen, schreibt die Denkfabrik "Crisis Group". Die neue Kampagne der Unterdrückung richte sich inzwischen nicht nur gegen Kritiker Saieds, sondern auch gegen Migranten, Organisationen zum Schutz von Migranten, Journalisten und Anwälte.
Am Freitag demonstrierten in der Hauptstadt Tunis trotz drohender Repressionen hunderte Menschen gegen eine weitere Regierungszeit von Saied.
Diese Nachricht wurde am 06.10.2024 im Programm Deutschlandfunk gesendet.