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Präsidentin mit Mut

Am 16. Januar 2006 wurde Ellen Johnson-Sirleaf als erste demokratisch gewählte Staatspräsidentin Liberias vereidigt. Sie ist damit die erste und bis heute einzige Frau an der Spitze eines afrikanischen Staates - und sie hat schwierige Aufgaben zu bewältigen.

Von Rebecca Hillauer | 04.01.2010
    Wenige Tage nach ihrer Geburt, erzählt Ellen Johnson Sirleaf am Anfang ihres Buchs, habe ein alter Mann ihre Eltern aufgesucht, um das Neugeborene anzusehen und Glück zu wünschen.

    "Oh Martha", sagte er, "dieses Kind wird groß und stark werden. Dieses Kind wird nach ganz oben kommen.” Wenn meine Mutter diese Geschichte zum Besten gab, mussten sie, meine Schwester und ich immer lachen, denn in vielen Momenten, in denen sie sich der Worte des weisen Alten erinnerte, entsprach mein Leben so gar nicht dieser Prophezeiung.
    Zunächst sieht es tatsächlich nicht danach aus, als würde Ellen Johnson Sirleaf einmal in die Fußstapfen großer Präsidenten treten. Die Enkelin eines deutschen Kaufmanns und Tochter eines eingeborenen Armenanwalts in Monrovia wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Kurz nach ihrem High-School-Abschluss 1956 heiratet sie, gerade 18 Jahre alt. Sie bekommt vier Kinder, lauter Jungen. Doch als ihr Mann im Agrarministerium eine Stelle antritt, hat Ellen das deutliche Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Als schließlich ihr Mann ein Stipendium für die USA erhält, besorgt sich Ellen Johnson Sirleaf ebenfalls eines - und geht mit ihm. Die Kinder lassen sie bei ihren Eltern zurück

    Liberia muss noch viel von den westlichen Industrieländern lernen. Doch eines kann der Westen von Afrika und den Entwicklungsländern lernen, einen Aspekt der traditionellen afrikanischen Kultur, den meine Landsleute hoffentlich nie aufgeben werden, und das ist die beeindruckende Unterstützung durch den Familienverband.
    Ellen Johnson Sirleaf beschreibt ausführlich den familiären Hintergrund jener Menschen, die in ihrem Leben wichtig sind. Indem sie diese Schicksale zudem in die größeren historischen Zusammenhänge einbettet, stehen die Menschen in ihrem Buch immer auch für einen Teil der Geschichte Liberias. Über sich selber schreibt die heutige Präsidentin:

    Ich stehe mit beiden Beinen in zwei Welten – in der Welt der armen Landfrauen, die nichts als Entbehrung kennen, und in der Welt der arrivierten, gut ausgebildeten liberianischen Oberschicht, deren zweite, geliebte Heimat die Vereinigten Staaten sind. Ich ziehe Stärke aus beidem.
    Anfang der 60er-Jahre herrscht im Süden der USA noch Rassentrennung. Davon bekommt die junge Ellen im nördlichen Bundesstaat Wisconsin zum Glück nichts mit. Sie studiert zunächst Betriebswirtschaft – ein zur damaligen Zeit höchst ungewöhnliches Fach für eine Frau. Je erfolgreicher und selbstbewusster sie wird, desto eifersüchtiger und unzufriedener wird ihr Mann. Er schlägt sie und beginnt zu trinken. Nach ihrer Rückkehr nach Monrovia hält er ihr zweimal eine Pistole an den Kopf. Die Ehe zerbricht. Eine Erfahrung, die später auch ihre Politik als Präsidentin entscheidend mitprägen wird.

    Häusliche Gewalt kennt keine geografischen Grenzen. Sie kommt in jedem Land, jeder Gesellschaft, jeder Weltregion vor. Vom ersten Augenblick meiner Regierungszeit an, sogar in meiner Antrittsrede, gelobte ich, mit aller Härte des Gesetzes gegen diejenigen vorzugehen, die sich weiterhin dieser schrecklichen Misshandlung schuldig machen.
    An solchen Beispielen wird deutlich: Mögen die Lebenserinnerungen von Ellen Johnson Sirleaf sich in weiten Teilen wie die eines beruflich erfolgreichen Mannes lesen: Die Handschrift ist eindeutig die einer Frau. Und wie der alte Mann kurz nach ihrer Geburt, erkennt immer wieder jemand Ellens starke Persönlichkeit und fördert sie auf ihrem Weg. In den 60er-Jahren studiert sie an der amerikanischen Elite-Universität Harvard noch Volkswirtschaften. Bereits Ende der siebziger Jahre ist sie in Liberia Finanzministerin. Unter Militärdiktator Samuel Doe wird sie zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt, weil sie den Präsidenten öffentlich kritisiert hat. Später kandidiert sie selbst erfolglos für die Präsidentschaft und muss schließlich ihre Heimat verlassen. In den USA ist sie unter anderem für die Weltbank und die Vereinten Nationen tätig. Als 2003 in Liberia der letzte Bürgerkrieg endet und Kriegsherr Charles Taylor ins Exil geht, sieht Ellen Johnson Sirleaf ihre große Chance gekommen und kehrt in ihre Heimat zurück. Sie schafft es und wird tatsächlich zur Präsidentin gewählt. Ellen Johnson Sirleaf muss nun das Land wieder aufbauen, die Korruption bekämpfen und neue Jobs für ehemalige Kindersoldaten finden. Es gelingt ihr, mit dem Internationalen Währungsfond und der Weltbank einen Schuldenerlass auszuhandeln. Durch die Einführung von obligatorischem Grundschulunterricht verdoppelt sich fast die Anzahl der Schulkinder, was vor allem Mädchen zugutekommt. In ihrem Kabinett sitzt ein Team von weiblichen Ministern in Schlüsselpositionen. Doch trotz aller Fortschritte hat das Land sich nach 14 Jahren Bürgerkrieg noch längst nicht erholt. Dies gibt die Präsidentin in ihrem Buch unumwunden zu.

    Ich habe nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich damals Charles Taylor unterstützt habe, um einen brutalen Diktator wie Samuel Doe zu stürzen. Als sich dann aber Taylors wahres Gesicht zeigte, wurde ich zu seiner leidenschaftlichsten und schärfsten Kritikerin.
    Auch außenpolitisch beweist die Präsidentin Mut und Integrität. So ist sie eine der wenigen, die offen Simbabwes Diktator Robert Mugabe kritisiert. Ihre Landsleute nennen sie deswegen nicht nur liebevoll "Ma Ellen", sondern auch die "Eiserne Lady". Ihre Autobiografie nennt sie "eine erste Bilanz". Lesenswert für all diejenigen, die ernsthaft an der Zukunft des afrikanischen Kontinents interessiert sind, 400 Seiten stark und gewürzt mit subtiler Ironie, trockenem Humor und Anekdoten. Etwa als die Autorin - noch im Finanzministerium - "Bullshit", also "völliger Quatsch", auf ein offizielles Dokument stempelt. Ellen Johnson Sirleaf ist zweifellos auf sehr beeindruckende Art ihren eigenen Weg gegangen.

    Manchmal fragen mich Menschen – in der Regel Frauen – ob ich als Frau und Afrikanerin bei meinem langen beruflichen Aufstieg jemals gegen die berühmte Glasdecke stieß. Ich antworte dann, dass es meines Erachtens ganz bestimmt Leute gab, die in mir nur die Alibischwarze sahen. Doch ich hatte gewöhnlich zu viel zu tun, um mir darüber Gedanken zu machen.

    Rebecca Hillauer über Ellen Johnson Sirleaf: "Mein Leben für Liberia. Die erste Präsidentin Afrikas erzählt". Veröffentlicht im Krüger Verlag, 432 Seiten zum Preis von 19 Euro und 95 Cent (ISBN-10 3810519405).