Karin Fischer: Die Schriftstellerin Elisabeth Borchers wurde 1960 schlagartig bekannt, als sich nach einem Vorabdruck ihres Gedichts "eia wasser regnet schlaf" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" eine heftige Debatte über zeitgenössische Lyrik entspann. Hören Sie selbst:
Elisabeth Borchers: "eia wasser regnet schlaf, eia abend schwimmt ins gras, wer zum wasser geht wird schlaf, wer zum abend kommt wird gras, weißes wasser grüner schlaf, großer abend kleines gras, es kommt es kommt ein fremder."
Fischer: Damals wurde derart populistisch geschimpft, etwa über das "schizophrene Gestammel" einer "volltrunkenen Dichterin", dass Borchers sich später nie mehr lautstark zu Wort meldete, nicht bei gesellschaftlichen Debatten, aber auch nicht in ihrer Lyrik. Sie schrieb eher stille, meditative Verse. Heinrich Heine betrachtete sie als ein Vorbild:
Elisabeth Borchers: "Da entdeckte ich einen Band mit Heine-Gedichten, und die habe ich gelesen mit Überschwang, hellster Freude, und ich fand sie unglaublich schön und unverzichtbar, und diese Gedichte von Heine haben mir eigentlich gezeigt, dass es zweierlei Sprachen gibt: die eine Sprache, die wir im Alltag verwenden, und dann die Sprache der Literatur."
Fischer: Jetzt ist Elisabeth Borchers im Alter von 87 Jahren in Frankfurt gestorben, Frage an den Literaturkritiker und Lyrikexperten Michael Braun: Herr Braun, wie würden Sie ihr Werk charakterisieren?
Michael Braun: Sie haben ja eben das berühmteste Gedicht von Elisabeth Borchers eingespielt, "eia wasser regnet schlaf", allerdings nicht jene anstößigen Verse, die zu dem mittleren Volksaufstand damals führten mit diesem Gedicht. Vielleicht kann ich ganz kurz die nächsten Zeilen noch zitieren?
Fischer: Gerne!
Braun: Da heißt es nämlich: "was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun? wir ziehen ihm die stiefel aus, wir ziehen ihm die weste aus, und legen ihn ins gras." Das hat dann natürlich diese Wirkung gehabt, die Sie beschrieben haben, "schizophrene Gestammel". "Leichenfledderei" war der Vorwurf. Und dieses Gedicht "eia wasser regnet schlaf" ist ja alles andere als ein lautstarkes Gedicht. Es ist eher so ein zart surrealistisches Wiegenlied eigentlich. Aber viele Leser der Frankfurter Allgemeinen, die das im Juli 1960 damals veröffentlicht hatte, schrien auf: So darf moderne Dichtung nicht aussehen. Aber genau so sieht eben moderne Dichtung aus, sie ist nicht gefällig. Elisabeth Borchers allerdings hat nach diesem Gedicht eine ganz andere Richtung eingeschlagen, in Richtung einer eher Poesie der Meditation, einer Dichterin der Stille, ihre Gedichte hatten eigentlich fast schon die Innigkeit von Gebeten.
Fischer: Sie haben das Stichwort erwähnt. Das Wiegenlied, auch der kindliche Abzählreim wurden ja zu ihren lyrischen Formen gezählt. Was hatte sie noch für stilistische Mittel?
Braun: Was sie versucht hat, sind ganz elementare Verse, die wirklich sehr mit den ganz einfachen Strukturen – Heinrich Heine wurde ja eben erwähnt -, mit den einfachen Strukturen auch der Volksliedstrophe, die mit einfachsten Reimformen arbeiten. Aber sie hat auch mit den Mitteln des Kinderlieds oder des Kindergedichts gearbeitet in ihrer Dichtung für Erwachsene, hat auch diese Kinderlied-Methodik aufgenommen. Und die Gedichte wurden im Laufe der Jahre – sie hat ja quasi 50 Jahre lang Gedichte geschrieben – sehr sparsam, sehr streng, sehr asketisch, die wurden immer kürzer, immer schmaler, immer verknappter und die Präzision hat aber auch zugenommen.
Fischer: Sie ist am Niederrhein geboren und im Elsass aufgewachsen, hat aus dem Französischen übersetzt, später als Lektorin bei Luchterhand gearbeitet und dann seit Anfang der 70er-Jahre bei Suhrkamp, auch als Lektorin. Sie hat neben Lyrik auch Prosa und neben Prosa auch Kinderbücher geschrieben. Wie kam es denn, dass sie so breit verfasst war als Schriftstellerin?
Braun: Da kann ich vielleicht auf ihren Schriftstellerkollegen und guten Freund Arnold Stadler verweisen. Der hat ja mal gesagt, unter allen Dichterinnen ist Elisabeth Borchers die spektakulär unspektakulärste. Sie hat etwas vollbracht, was kaum jemand bisher geschafft hat: Sie war an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig, und zwar völlig präsent, nämlich diese Doppelexistenz. Als Lektorin hat sie ja die wichtigsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser und andere über viele Jahre begleitet. Sie hat ja 40 Jahre lang auch als Lektorin für Luchterhand und dann für Suhrkamp gearbeitet.
Und zugleich hat sie dann angefangen, Gedichte zu schreiben. Übrigens, was nicht so bekannt ist: nach dem Krieg kam sie aus dem Elsass nach Oberschwaben, hat dort im Ravensburger Kreis, wie er damals hieß, mitgewirkt, und Peter Hamm, den viele ja noch als Literaturkritiker kennen, der noch sehr präsent ist als Kritiker, hat ja auch damals als Dichter angefangen und hat damals als junger Lyriker Elisabeth Borchers zum Dichten angestiftet. Das war eigentlich der Ursprung, der dichterische Ursprung der Elisabeth Borchers gewesen.
Fischer: Herzlichen Dank an Michael Braun für diese Würdigung der Dichterin Elisabeth Borchers, die im Alter von 87 Jahren in Frankfurt gestorben ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Elisabeth Borchers: "eia wasser regnet schlaf, eia abend schwimmt ins gras, wer zum wasser geht wird schlaf, wer zum abend kommt wird gras, weißes wasser grüner schlaf, großer abend kleines gras, es kommt es kommt ein fremder."
Fischer: Damals wurde derart populistisch geschimpft, etwa über das "schizophrene Gestammel" einer "volltrunkenen Dichterin", dass Borchers sich später nie mehr lautstark zu Wort meldete, nicht bei gesellschaftlichen Debatten, aber auch nicht in ihrer Lyrik. Sie schrieb eher stille, meditative Verse. Heinrich Heine betrachtete sie als ein Vorbild:
Elisabeth Borchers: "Da entdeckte ich einen Band mit Heine-Gedichten, und die habe ich gelesen mit Überschwang, hellster Freude, und ich fand sie unglaublich schön und unverzichtbar, und diese Gedichte von Heine haben mir eigentlich gezeigt, dass es zweierlei Sprachen gibt: die eine Sprache, die wir im Alltag verwenden, und dann die Sprache der Literatur."
Fischer: Jetzt ist Elisabeth Borchers im Alter von 87 Jahren in Frankfurt gestorben, Frage an den Literaturkritiker und Lyrikexperten Michael Braun: Herr Braun, wie würden Sie ihr Werk charakterisieren?
Michael Braun: Sie haben ja eben das berühmteste Gedicht von Elisabeth Borchers eingespielt, "eia wasser regnet schlaf", allerdings nicht jene anstößigen Verse, die zu dem mittleren Volksaufstand damals führten mit diesem Gedicht. Vielleicht kann ich ganz kurz die nächsten Zeilen noch zitieren?
Fischer: Gerne!
Braun: Da heißt es nämlich: "was sollen wir mit dem ertrunkenen matrosen tun? wir ziehen ihm die stiefel aus, wir ziehen ihm die weste aus, und legen ihn ins gras." Das hat dann natürlich diese Wirkung gehabt, die Sie beschrieben haben, "schizophrene Gestammel". "Leichenfledderei" war der Vorwurf. Und dieses Gedicht "eia wasser regnet schlaf" ist ja alles andere als ein lautstarkes Gedicht. Es ist eher so ein zart surrealistisches Wiegenlied eigentlich. Aber viele Leser der Frankfurter Allgemeinen, die das im Juli 1960 damals veröffentlicht hatte, schrien auf: So darf moderne Dichtung nicht aussehen. Aber genau so sieht eben moderne Dichtung aus, sie ist nicht gefällig. Elisabeth Borchers allerdings hat nach diesem Gedicht eine ganz andere Richtung eingeschlagen, in Richtung einer eher Poesie der Meditation, einer Dichterin der Stille, ihre Gedichte hatten eigentlich fast schon die Innigkeit von Gebeten.
Fischer: Sie haben das Stichwort erwähnt. Das Wiegenlied, auch der kindliche Abzählreim wurden ja zu ihren lyrischen Formen gezählt. Was hatte sie noch für stilistische Mittel?
Braun: Was sie versucht hat, sind ganz elementare Verse, die wirklich sehr mit den ganz einfachen Strukturen – Heinrich Heine wurde ja eben erwähnt -, mit den einfachen Strukturen auch der Volksliedstrophe, die mit einfachsten Reimformen arbeiten. Aber sie hat auch mit den Mitteln des Kinderlieds oder des Kindergedichts gearbeitet in ihrer Dichtung für Erwachsene, hat auch diese Kinderlied-Methodik aufgenommen. Und die Gedichte wurden im Laufe der Jahre – sie hat ja quasi 50 Jahre lang Gedichte geschrieben – sehr sparsam, sehr streng, sehr asketisch, die wurden immer kürzer, immer schmaler, immer verknappter und die Präzision hat aber auch zugenommen.
Fischer: Sie ist am Niederrhein geboren und im Elsass aufgewachsen, hat aus dem Französischen übersetzt, später als Lektorin bei Luchterhand gearbeitet und dann seit Anfang der 70er-Jahre bei Suhrkamp, auch als Lektorin. Sie hat neben Lyrik auch Prosa und neben Prosa auch Kinderbücher geschrieben. Wie kam es denn, dass sie so breit verfasst war als Schriftstellerin?
Braun: Da kann ich vielleicht auf ihren Schriftstellerkollegen und guten Freund Arnold Stadler verweisen. Der hat ja mal gesagt, unter allen Dichterinnen ist Elisabeth Borchers die spektakulär unspektakulärste. Sie hat etwas vollbracht, was kaum jemand bisher geschafft hat: Sie war an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig, und zwar völlig präsent, nämlich diese Doppelexistenz. Als Lektorin hat sie ja die wichtigsten Autoren der deutschen Gegenwartsliteratur, Hans Magnus Enzensberger, Martin Walser und andere über viele Jahre begleitet. Sie hat ja 40 Jahre lang auch als Lektorin für Luchterhand und dann für Suhrkamp gearbeitet.
Und zugleich hat sie dann angefangen, Gedichte zu schreiben. Übrigens, was nicht so bekannt ist: nach dem Krieg kam sie aus dem Elsass nach Oberschwaben, hat dort im Ravensburger Kreis, wie er damals hieß, mitgewirkt, und Peter Hamm, den viele ja noch als Literaturkritiker kennen, der noch sehr präsent ist als Kritiker, hat ja auch damals als Dichter angefangen und hat damals als junger Lyriker Elisabeth Borchers zum Dichten angestiftet. Das war eigentlich der Ursprung, der dichterische Ursprung der Elisabeth Borchers gewesen.
Fischer: Herzlichen Dank an Michael Braun für diese Würdigung der Dichterin Elisabeth Borchers, die im Alter von 87 Jahren in Frankfurt gestorben ist.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.