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Preis der Innovation

Die deutschen Nationalspieler, die noch vor zwei Wochen in Mönchengladbach Europameister wurden und jetzt wieder am Ball waren, mussten sich umstellen. Denn Hockey, das sich selbst als innovativen Sport sieht, leistet sich den Luxus, international und national unterschiedliche Spielregeln zu haben.

Von Moritz Küpper |
    Benjamin Wess ist Nationalspieler. Mit seinem Verein Rot-Weiß Köln spielt der BWL-Student in der Bundesliga, mit der Nationalmannschaft tritt er bei großen Turnieren wie Weltmeisterschafen und Olympischen Spielen an. Hockey hat in den letzten Jahren viele Regeln geändert - ohne dabei die Wettbewerbe zu harmonisieren. Und das müssen dann die Spieler ausbaden, wie eben Wess:

    "Ja, ist durchaus ungewohnt, dass in den verschiedenen Wettbewerben, sei es national, international oder auch in der Nationalmannschaft so viele verschiedene Regeln gibt. Wir werden eigentlich kurz vor den Turnieren extra noch mal gebrieft, sodass wir immer ein Update haben. Sodass es manchmal sogar dazu kommt, dass selbst wir Spieler bei den ersten Spielen verwirrt sind."

    Doch Wess ist damit in guter Gesellschaft: Denn bei der Europameisterschaft in Mönchengladbach war zu beobachten, dass viele Zuschauer, ehemalige Nationalspieler, aber auch Funktionäre mit Regelfragen überfordert waren: Gibt es nach einem Unentschieden Siebenmeterschießen, analog zum Elfmeter beim Fußball? Oder doch Penaltyschießen, wie beim Eishockey? Stand heute: International gibt es Penaltyschießen, in den Play-offs der Deutschen Bundesliga wurde - nach einigen Versuchsjahren - wieder das Siebenmeterschießen eingeführt.

    Der Hockeysport will innovativ sein. Mitunter verwirrt er damit jedoch die Beobachter. Bei allen Regeländerungen, eines ist dem Holländer Peter von Reth, beim Deutschen Hockey-Bund zuständig für Schiedsrichterfragen, wichtig:

    "Alle Änderungen, die wir vornehmen, in den letzten vier, fünf Jahren, kommen alle auf Wunsch von den Mannschaften. Die Trainer kommen mit solchen Ideen. Wir am grünen Tisch bestimmen überhaupt nichts. Wir machen das als Versuchsregel, und wenn es dann positiv auswirkt, dann werden auch die Trainer wieder befragt: Wollt Ihr so spielen? Und die sagen ja und dann wird es eingeführt. Es ist eine Zusammenarbeit, wir gehen voraus, wir sind innovativ."

    Und diesen Beweis ist der Hockeysport angetreten: Neben dem Videobeweis gibt es beispielsweise den sogenannten "Self-Pass". Ein Spieler muss bei Freischlag oder Einwurf nicht mehr passen, sondern kann direkt loslaufen. Die Folge: Das Spiel wird schneller und den Spielern bleibt keine Zeit, sich beim Schiedsrichter zu beschweren.

    Die vielen Regeländerungen in den letzten Jahren haben zwei Ursachen - zum einen ist das Spiel auf Kunstrasen sehr schnell geworden, hat sich gewandelt, zum anderen möchte sich Hockey für das Fernsehen attraktiv machen: So spielt die European Hockey-League in Vierteln, statt in Halbzeiten. Dort werden alle Trainer und Schiedsrichter verkabelt und der Fernsehzuschauer kann die Kommunikation, beispielsweise beim Videobeweis, live mitverfolgen. In der Bundesliga und bei Turnieren der Nationalmannschaft wird noch immer in Halbzeiten gespielt. Doch wie lange noch? Beim Deutschen Hockey-Bund arbeitet man hinter den Kulissen auch hier an einer Angleichung, wie Vorstandssprecher Torsten Bartel exklusiv im Deutschlandfunk ankündigt,

    "dass wir nicht mehr in Halbzeiten spielen, sondern dass wir das Spiel in Viertel spielen, sodass man immer eine Viertelpause hat, in der man die Möglichkeit hat, taktische Dinge zu ändern. Und man hätte die Möglichkeit, den Zuschauern im Fernsehen, aber auch im Internet entsprechend schöne Bilder zu zeigen. Tolle Zeitlupen. Das wäre so eine Zielsetzung oder Idee, die wir verfolgen."

    Bis zu den Olympischen Spielen im nächsten Jahr in London gibt es jedoch keine Änderungen. Denn der Hockeysport lebt - wie andere Randsportarten auch - in olympischen Zyklen, in denen nichts verändert werden kann. Das sich danach - erneut - etwas tun muss, scheint allen klar. Aber auch, dass Regeländerungen Grenzen haben. Denn manchmal kann, wie Nationalspieler Benjamin Wess festgestellt hat, weniger auch mehr sein:

    "Zum Teil kommen ja hockeybegeisterte Leute, die auch in ihren Vereinen Hockey spielen. Und selbst die sind dann von den neuen Regeln überrascht und das ist - glaube ich - für den Sport nicht unbedingt förderlich."