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Preis der Nationalgalerie 2019
Zurück zur künstlerischen Qualität

So bedeutend wie der Londoner "Turner Prize" möchte der Berliner "Preis der Nationalgalerie" seit Jahren auch gern sein. Bislang ist ihm das nicht gelungen. Nun startet ein neuer Versuch.

Von Carsten Probst | 15.08.2019
 Die vier nominierten Künstler für den Preis der Nationalgalerie 2019: Pauline Curnier Jardin, Simon Fujiwara, Katja Novitskova und Flaka Haliti.
Nominiertes Quartett: Pauline Curnier Jardin, Simon Fujiwara, Katja Novitskova und Flaka Haliti. (Foto: David von Becker)
Nach der teilweise sehr grundsätzlichen Kritik der letzten vier nominierten Künstlerinnen an der letzten Ausgabe des Preises der Nationalgalerie bemühen sich die Auslober diesmal, einiges besser zu machen. So sind sicherlich auch die einsichtsvollen Worte von Udo Kittelmann zu verstehen, des Direktors der Neuen Nationalgalerie Berlin, als er auf die bisherigen Erfahrungen mit dem Preis zurückblickt:
"Über die ganzen letzten Jahre konnte man beobachten, dass die künstlerischen Beiträge auch von den Institutionen - das gilt sicherlich weltweit - immer mehr auch eine ethisch-moralische Verantwortung verlangen. Ich glaube, das ist eine der besten Entwicklungen, die Museen allgemein in den letzten Jahren genommen haben und uns tatsächlich auch intern, allen Mitarbeitern, Grund geben, uns zu verhalten."
Um neuerliche Debatten um Geschlecht oder Herkunft der ausgewählten Künstler zu umschiffen, hat man sich erkennbar um Ausgewogenheit bemüht, drei Künstlerinnen und ein Künstler sind nun auf der Short List des Preises, alle zwischen 1980 und 1984 geboren, die in ihren Arbeiten zumindest vordergründig wenig Biografisches offerieren. Die künstlerischen Arbeiten sollen wieder mehr im Vordergrund stehen – auch das war ein Kritikpunkt – dazu hat man jetzt eigens ein kostenloses Booklet herausgegeben, in dem die gezeigten Werke eingehend und exklusiv besprochen werden.
Mediale Verwertung von Klischees
"Ethisch-moralisch" geht es aber auch in den Arbeiten selbst zu, alle verhandeln aktuelle politische und kulturelle Fragen: ethnische Konflikte, Reproduktionsbiologie, mediale Verwertung von Klischees und die doppelte Diskriminierung insbesondere von älteren Frauen.
Die gebürtige Kosovarin Flaka Haliti wartet mit aufwendig all-over gestalteten Räumen mit einer geradezu sterilen Atmosphäre auf. Hellgrauer Teppichboden mit hell tapezierten Wänden, an denen futuristische Motive und verschlungene Leuchtstoffröhren zu sehen sind, die ihren Formen nach den Tags von Sprayern ähneln. Hauptelemente jedoch sind zwei Roboterskulpturen, die aber keine Funktion haben, sondern sich in Müßiggang zu ergehen scheinen. Aus dem Beiheft kann man entnehmen, dass die dafür verwendeten Materialien aus einem aufgegebenen Feldlager der Kosovo Force der UN stammen, womit sich eine mögliche Interpretation dieser Arbeiten anbietet: Sie versinnbildlicht die seltsame Vorstellung von Frieden, die den UN-Friedensmissionen in den Konflikten der Welt anhaftet.
Wesentlich eingängiger ist die Bildsprache von Simon Fujiwara, der in London geboren wurde und in Berlin lebt und sich immer wieder mit der Trivialisierung von Geschichte durch die Medienkultur beschäftigt. Seine Hauptarbeit hier ist eine Installation, bei der man eine Nachbildung von Anne Frank als Wachsfigur an einem Schreibtisch beim Verfassen ihres berühmten Tagebuches sieht. Dabei wird sie von einem Kameraroboter aus immer neuen Positionen beobachtet und lächelt, wie es sich für einen Medienstar gehört, fortwährend brav ins Objektiv.
Kunst und Wissenschaft
Katja Novitskova aus Estland wiederum, mit 35 Jahren die jüngste Nominierte, widmet sich kritisch dem Zusammenhang von Kunst und Wissenschaften. In ihrer zentralen Arbeit hat sie elektrische Babyschaukeln des Typs "Mamaroo" mit verschiedenen synthetischen und organischen Materialen so verfremdet, dass sie wie Brutroboter aussehen, die ihrerseits mit elektronischen Nabelschnüren an die Stromversorgung angeschlossen sind.
Eine wirklich eigene und in diesem Sinn durchgehend überzeugende und eindringliche Bildsprache findet aber von den Vieren nur die Französin Pauline Curnier Jardin, deren vielfältige Installationen insgesamt kohärent wirken. In einem mysteriösen Wald aus weichen Vinylobjekten lässt sie die Häute älterer Damen ein Stelldichein geben, die gewissermaßen vom Leben abgelegt wurden. Ein Film greift dabei die isolierte Sexualität von Frauen jenseits der Menopause auf, die sie symbolisch in eine Gefängnisszenerie verlegt hat, die Jean Genets "Chant d'Amour" von 1950 nachempfunden ist. Die 1980 geborene Curnier Jardin bewahrt ihren Arbeiten jenes Rätselhafte und Unbewusst-Emotionale, das die anderen – Ethik und Moral hin und her - an den Mainstream der gängigen aktuellen Diskurse geopfert zu haben scheinen.