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Preisbindung bei Medikamenten
Die Angst der Apotheker vorm Internet

Im Oktober hob der Europäische Gerichtshof die Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente auf - für ausländische Versandapotheken. Deutsche Online-Apotheken dürfen nicht an den Preisen rütteln. Noch nicht, fürchten jene, die nur von Laufkundschaft leben.

Von Tonia Koch | 17.11.2016
    Das rote Apotheken-Logo an einer Eingangstür, dahinter Regale mit Medikamenten.
    Standort-Apotheken befürchten Aufhebung von Preisbindung für rezeptpflichtige Medikamente. (dpa/Ole Spata)
    St. Josef läutet den Mittag ein. Die Apotheke gegenüber hat noch eine halbe Stunde am Vormittag geöffnet. Die ärztliche Gemeinschaftspraxis um die Ecke verzichtet auf die Mittagspause. Arzt und Apotheker bilden in der knapp 4.000-Seelen-Gemeinde Holz bei Saarbrücken eine Art Symbiose. Mit Vorteilen für beide Seiten, sagt der Inhaber der Allee-Apotheke, Manfred Saar.
    "Die Apotheke braucht natürlich den Arzt vor Ort, ohne Arzt wäre die Apotheke nicht überlebensfähig, auf der anderen Seite ist es natürlich auch so, dass, wenn die Apotheke nicht mehr da ist, der Arzt auch an Kundschaft verliert, weil viele Patienten es schätzen, gleich vom Arzt in die Apotheke gehen zu können."
    Patienten, vor allem diejenigen, die auf dem Land wohnen, schätzen dieses Modell, weil es ihren Gewohnheiten und ihren Vorstellungen von dörflichem Miteinander entspricht.
    "So wie man im Ort bestrebt ist, auch andere Geschäfte zu halten, so soll man auch über die Apotheke denken."
    "Ich denke, man sollte die ganzen Geschäfte, und dazu zähle ich auch Apotheken vor Ort, unterstützen und nicht alles nach auswärts transferieren."
    "Für mich ist es wichtig, dass sie da ist, vor allem jetzt im Winter - als ältere Person fahr‘ ich nicht mehr Auto, und dann, weiß ich genau, rufe ich an und kriege es gebracht."
    Kannibalisierung unter den Apotheken?
    Aber so mach einer sieht dieses Modell, dieses eingespielte Dreiecksverhältnis zwischen Arzt, Patient und Apotheker, durch ein Urteil des europäischen Gerichtshofes bedroht. Denn die Richter haben ausländischen Versandapotheken erlaubt, künftig auch auf rezeptpflichtige Medikamente Preisnachlässe oder Boni zu gewähren. Deutsche Versandhändler dürfen das nicht, sie sind an die von Flensburg bis Garmisch geltenden einheitlichen Preise gebunden. Aber was nicht ist, das kann ja noch werden - diese Angst treibt die Apotheken um, sagt Manfred Saar.
    "Also ich fürchte, dass die inländischen Versandapotheken ebenfalls erstreiten werden, dass die Preisbindung aufgeboben wird. Damit wird eine Art Kannibalisierung unter den deutschen Apotheken stattfinden."
    Verbraucherverbände und auch die Krankenkassen würden diesen Schritt hin zu gleichen Wettbewerbsbedingungen für ausländische und inländische Versandapotheken begrüßen, sagt Lutz Hager, Geschäftsführer der IKK-Südwest.
    "Wir sollten nicht den Wettbewerb dort verhindern, sondern wir sollten - ganz im Gegenteil - im Wettbewerb eine Chance sehen, auch eine Chance für die niedergelassenen Apotheken, ihre eigenen Stärken viel stärker auszuspielen, denn die Apotheker als Heilberufler haben eine ganz wichtige Rolle und können mit einem viel größeren Anteil noch sich in die Gesundheitsversorgung einbringen. Wir reden immer von den Lücken in der ländlichen Versorgung. Wir haben noch eine große Apothekendichte und eine große Kompetenz in der Beratung und Betreuung, das wollen wir auch in Zukunft erhalten sehen."
    Verbieten oder erlauben: CDU und SPD sind uneins
    Gerade viele ältere oder chronisch kranke Menschen wollen sich, wenn es um ihre Gesundheit geht, nicht auf ein anonymes Internetportal verlassen.
    "Die Beratung ist mir viel lieber, zumal sich manche Medikamente nicht mit anderen vertragen, oder Notdienst am Wochenende, da ist die Apotheke doch viel besser."
    "Jetzt mit den Medikamenten fürs Kind mach‘ ich das gar nicht, im Internet bestelle ich eh nicht so gern, ich bin da vorsichtig."
    "Manches Mal ist es schon sehr viel günstiger, also, Antibiotika würde ich nicht unbedingt im Internet bestellen."
    Frei verkäufliche Arzneimittel wie Kopfschmerztabletten, Heilsalben oder Hustensäfte werden verstärkt online bestellt, aber bei rezeptpflichtigen Medikamenten ist der Versandhandel rückläufig. Trotzdem beabsichtigt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), den Online-Handel mit Arzneien, die es nur gegen Rezept gibt, zu verbieten. Er hat ein entsprechendes Gesetz angekündigt, das beim Koalitionspartner SPD jedoch nicht auf Gegenliebe stößt.
    Karl Lauterbach:"Ein komplettes Verbot des Versandhandels scheint mir mit dem Urteil gar nicht in Einklang zu bringen zu sein und wäre auch eine unverhältnismäßige Maßnahme."
    Noch sind Medikamente durch den Online-Handel nicht nennenswert preiswerter geworden. Wenden sich Patienten mit einem Rezept an einen ausländischen Online-Anbieter, dann entfällt für sie etwa die Hälfte der Zuzahlung. Patienten, die davon befreit sein, wird der Selbstbehalt auf einem Konto gutgeschrieben. In wenigen Fällen gewährten die Versandapotheker im Ausland größere Nachlässe: etwa der Deutschen Parkinson-Vereinigung, die für ihre Mitglieder ein Bonussystem ausgehandelt hatte. Die Apotheker denken, dass solche Extra-Verträge Schule machen könnten und sich die Krankenkassen daran ein Beispiel nehmen könnten.
    Manfred Saar: "Ich fürchte dass es Selektivverträge der Krankenkasse geben wird mit bestimmten Versendern, die dann den Patienten mehr oder weniger zwingen, in Anführungszeichen, direkt bei der Versandapotheke zu bestellen, und das bringt kleinere Apotheken - und das sind leider sehr viele Landapotheken - mit Sicherheit in finanzielle Schwierigkeiten."
    Die Krankenkassen halten diese Befürchtungen für unbegründet. IKK-Vertreter Hager: "Ich glaube nicht, dass wir dahin kommen, wenn das möglich wäre, dann wären die Krankenkassen wahrscheinlich auch schon längst in diese Richtung gegangen. Aber wir haben sehr zu Recht eine freie Apotheken - wie auch eine freie Arztwahl und wir dürfen als Krankenkasse weder einen Arzt noch einen Apotheker empfehlen, und das wollen wir auch nicht."
    Die Bundesregierung wird entscheiden müssen, wie sie es mit dem Wettbewerb auf dem Apothekenmarkt hält. Denn inländische werden gegenüber ausländischen Anbietern rezeptpflichtiger Medikamente durch das EuGh-Urteil benachteiligt. Die Bundesregierung muss für Wettbewerbsgleichheit sorgen.