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Preise so niedrig wie 1997

Zwar ist die Lage bei den deutschen Milchbauern nicht ganz so dramatisch wie in den neuen EU-Beitrittskandidaten - doch auch hier ist die Stimmung hochexplosiv. Die Milchpreise sind so niedrig wie vor sieben Jahren - aktuell kostet ein Liter Milch im Supermarkt gerade einmal 55 Cent. Das freut natürlich die Verbraucher, drängt die Landwirte aber zunehmend in einen finanziellen Engpass. "Wie am Markt bleiben?" - Dies ist auch die Frage, die Experten auf dem diesjährigen Milchforum der ZMP, der zentralen Markt- und Preisberichtstelle beschäftigt.

Von Andreas Baum |
    Die Milchwirtschaft ist in diesen Tagen aufs Höchste alarmiert. Denn der Preis für ihre Erzeugnisse ist so niedrig, dass er von Vertretern des Bauernverbandes schon als ruinös und unsittlich bezeichnet worden ist. Schuld haben nach Ansicht der Fachleute die großen Einzelhandelskonzerne, insbesondere die Billigdiscounter. Für Otto-Dietrich Steensen, Präsident der Deutschen Milchwirtschaft, sind diese Dumpingpreise Thema Nummer eins auf Fachtagung in Berlin.
    Die Situation auf den Betrieben unabhängig auch von Betriebsgrößen, ob nun kleine Kuheinheiten oder bis zu den ganz großen Betrieben, in den neuen Bundesländern, haben gewaltige Schwierigkeiten, durch diesen Preisverlust und das hängt damit zusammen, dass man die Kriterien für die Intervention Butter und Magermilchpulver gewaltig gesenkt hat. Und leider ist es so, dass sich der Marktpreis sehr dicht am Interventionspreis orientiert und dadurch haben wir diese gewaltigen Einbußen und das stehen viele Bauern nicht lange durch.
    Der Interventionspreis ist die Mindestmarke, ab der der Staat Milch aufkaufen würde, um den Markt zu stabilisieren. Die Bauern sind also ziemlich aufgebracht, schon Anfang des Monats haben Landwirte vor Lagern der Billig-Supermärkte Aldi und Lidl demonstriert, das könnte sich wiederholen, jedenfalls ist die Stimmung ausreichend aufgeheizt. Denn hinzu kommt die Unzufriedenheit über die Umsetzung der EU-Agrarreform. Da ist unter anderem geplant, die Prämien anhand der landwirtschaftlichen Fläche eines Betriebes zu berechnen, was diejenigen Bauern benachteiligt, die auf wenigen Hektar viele Kühe stehen haben, also intensiv wirtschaften.
    Wir setzen uns ganz stark dafür ein, dass die Prämien voll auf den Betrieb ausgezahlt werden und nicht ab 2007 gleitend auf die Fläche. Das lehnen wir strikt ab, denn wir haben gewaltige Milchpreisverluste, die wir so nicht akzeptieren können. Wir werden das heute merken, wie die Stimmung unter den aktiven Bauern ist. Und dann noch diese Kürzung, also, dann wird’s in Deutschland und in Europa bald keine Milchwirtschaft mehr geben.
    Auch wenn es so schlimm nicht kommen sollte: Der niedrige Milchpreis wird dafür sorgen, dass sich viele Landwirte umorientieren müssen, dass sie von der intensiven Milcherzeugung umsatteln müssen auf andere Produkte, und viele, daran lässt Verbandspräsident Steensen keinen Zweifel, viele werden aufgeben müssen.

    Es wird einen ganz gewaltigen Strukturwandel geben, weil gerade die Betriebe, die auf Zukunft gesetzt haben, die Ställe gebaut haben, die Quoten gekauft haben, heute in so eine große Bedrängnis kommen, dass sie unter diesen Umständen, wenn das länger anhält, nicht mehr wirtschaften können.
    Auf der Fachtagung treffen sich auch die unmittelbar Betroffenen der Niedrigpreise. Einer von ihnen ist Günter Früh von einer Landwirtschaftsgenossenschaft in der Nähe von Eisenach, in einem ländlichen Raum, der es ohnehin schwer genug hat.
    Wir sind ein Gebiet, komplett als benachteiligtes Gebiet anerkannt, das heißt, mit sehr hohem Grünlandanteil und mit weniger guten, natürlichen Bedingungen für die Produktion landwirtschaftlicher Produkte.
    Das niedrige Milchpreisniveau trifft diese Betriebe besonders hart, weil sie auf Flächen wirtschaften, auf denen eigentlich nur Kühe stehen können, sie haben also keine Alternative.
    Wir können nicht umstrukturieren. Wir müssen also mit den Gegebenheiten fertig werden, die wir haben. Und Grünland kann man ja nicht besser verwerten als über die Veredelung, über den Rindermagen in Form von Milch oder von Fleisch.
    Die andere Seite der Medaille ist für diese an und für sich benachteiligten Betriebe, dass sie von der Umsetzung der EU-Agrarreform profitieren könnten, denn sie haben relativ viel Fläche im Vergleich zur Stückzahl ihrer Milchkühe.
    Es hat für uns, da wir sehr viel Grünland haben, geht es für unseren Betrieb, sagen wir mal, noch relativ glimpflich aus, weil ja die jetzigen Prämienzahlungen wesentlich niedriger sind für das Grünland.
    Und das ist ja auch ein durchaus gewollter Nebeneffekt der EU-Agrarreform, nämlich die extensiv wirtschaftenden Betriebe konkurrenzfähiger zu machen. Denn die bearbeiten ihr Land in der Regel auf eine Weise, die Ressourcen-schonend ist und von der Naturschutz und Artenvielfalt profitieren.
    Ein weiteres Thema, das die Fachtagung beschäftigen wird, ist die EU-Osterweiterung, die ja unmittelbar bevorsteht. Hier ist man optimistischer: Man hofft darauf, neue Märkte erschließen zu können. Und man wünscht sich eine Steigerung der Kaufkraft in den Beitrittsländern, die dazu führen wird, dass mehr Nachfrage nach den eigenen, relativ hochwertigen Produkten entsteht.