DLF: Mechthild Zschau, Sie sind Mitglied der Jury des Adolf-Grimme Preises für Information und Kultur. Helfen Sie mir doch ein bisschen, um was für eine Geschichte handelt es dich da bei diesem 'Taxi nach Schweinau'?
Zschau: Das ist eigentlich eine Comedy-Serie, die weiterführt. Zwei Menschen, die einander nicht kennen, begegnen sich in so Closed-Shop-Situationen, zum Beispiel im Taxi, unterwegs oder in einem Fahrstuhl, der stecken bleibt. Man kennt solche Situationen. Man fängt an, sich gegenseitig die Lebensgeschichte zu erzählen, und sie sind ja meist nicht sehr komisch, sondern eher ziemlich tragisch. Und diese beiden wunderbaren Schauspieler improvisieren das weitgehend, und dabei kommt eine Art von Tragikomödie zustande, immer natürlich mit kleinen komödiantischen Einschlägen, aber eigentlich ist es doch eine sehr ernste und nachdenkenswerte Veranstaltung, die die beiden da machen, also sehr dem Grimme Preis gemäß.
DLF: Grimme Gold ist selten. Diesmal gab es Gold gleich zweimal. Vier Grimme Preise mit Gold auch für die NDR-Produktion 'Die Hoffnung stirbt zuletzt'. Was war an diesem Film, also Mobbing einer jungen Polizistin, auszeichnungswürdig? Polizistinnenboom haben wir ja wirklich in der letzten Zeit ziemlich stark.
Zschau: Ja, aber selten wurde die Gruppe der Polizisten so kritisch und böse gezeigt. Es herrschte eigentlich die Tradition, die Polizisten sind die Guten, sie sorgen für Gerechtigkeit und fassen die Bösen. Und in dem Falle ist das Böse in der Polizei selber. Es sind Alltagsbeobachtungen aus unserer Gegenwart, und das ist das Verblüffendste, was es überhaupt gibt bei diesem ganzen Grimme Preis, es gibt diesen Trend, Alltagsbeobachtungen über Durchschnittsmenschen, und zwar quer durch die Fernsehspiele, durch die Unterhaltung, wie aber auch durch die Dokumentarfilme. Immer wieder kommt dieses Thema zum Tragen, und das hat mich schon sehr verblüfft.
DLF: Heißt es eigentlich, dass die Jury diesen Trend zum Alltag neu entdeckt hat, oder dass es wirklich, was das Material selbst betrifft, was Sie angesehen haben, dies zeigt?
Zschau: Es waren die herausragenden Stücke, die sich mit dem Alltag beschäftigten, zum Beispiel die Schwarzwaldhaus-Serie vom SWR, wo eine Familie so lebt wie 1902 und damit ja auch diese tragikomischen Elemente produziert, genauso ein anderthalb Stunden, also in Kinolänge Film über drei Putzfrauen in Berlin - 'Der Glanz von Berlin' heißt dieser Film -; auch eine Alltagsbeobachtung an den kleinen Leuten mit ihrer Tragik, mit ihrer Komik, mit ihrem Leben, mit ihrem kleinen Heldentum im Alltag. Genauso trifft das zu für die Comedys von RTL, wofür die Produzentin Christiane Hofer einen Spezialpreis bekommen hat, Nicola, Ritas Welt und Ohne Worte. Auch da geht es darum. Also es ist schon sehr eigenartig, dass offenbar die großen Events, die großen historischen Ereignisse, die große Literatur, die großen Sensationen ganz runtergefahren sind, und plötzlich fängt man an, ganz leise zu beobachten, langsam zu beobachten, genau zu beobachten und den Alltag um sich herum zu entdecken, während im Augenblick ja die Welt genug Probleme produziert, die hart und schwer genug sind und das andere Programm ja von oben bis unten verstopfen.
DLF: Stichwort Probleme. Sie waren für die Jury, wie gesagt, für Information und Kultur. Es habe, hörte man vorher, einen Mangel in der Sparte Dokumentationen gegeben. Die kurzatmige Tagespolitik habe umfassende Reportagen verdrängt. Mangelte es denn diesmal an den gewohnten wissenschaftlichen Schadens- und Leidensmeldungen aus aller Welt?
Zschau: Überhaupt nicht. Also ich beneide niemanden, der in der Vorauswahlkommission für diesen Preis sitzt. Die müssen 500 Dokumentarfilme innerhalb von drei Wochen sichten, das heißt von morgens bis nachts ununterbrochen Dokumentarfilme sehen, und sie erleben da das blanke Elend der Welt, also da sind die Kriege, Verstümmelungen und Folterungen, Misshandlungen von Kindern und alles Elend dieser Welt. Was sie uns weitergereicht haben in die Jury selber, waren eben die herausragenden Stücke, und da ist plötzlich dieses ganze Elend weg, und es kommt dieses genaue Hingucken oder auch das Lächeln über die Skurrilität der Welt.
DLF: Diese Dinge kommen aber von den Öffentlich-Rechtlichen und weniger von den Kommerziellen?
Zschau: Praktisch ausschließlich. Es gab noch einen zweiten Preis für einen Privatsender, das ist Marcel Reif für seinen Kommentar zur Fußballweltmeisterschaft auf Premiere, sonst ausschließlich öffentlich-rechtlich, und da geht es immer noch um Qualität, und da muss man wiederum sagen, dass selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen in diesem Preis nichts wäre ohne ARTE, ohne 3Sat und ohne das kleine Fernsehspiel vom ZDF. Da finden die wirklich wunderbaren Dinge statt.
DLF: Vielen Dank für das Gespräch.
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Zschau: Das ist eigentlich eine Comedy-Serie, die weiterführt. Zwei Menschen, die einander nicht kennen, begegnen sich in so Closed-Shop-Situationen, zum Beispiel im Taxi, unterwegs oder in einem Fahrstuhl, der stecken bleibt. Man kennt solche Situationen. Man fängt an, sich gegenseitig die Lebensgeschichte zu erzählen, und sie sind ja meist nicht sehr komisch, sondern eher ziemlich tragisch. Und diese beiden wunderbaren Schauspieler improvisieren das weitgehend, und dabei kommt eine Art von Tragikomödie zustande, immer natürlich mit kleinen komödiantischen Einschlägen, aber eigentlich ist es doch eine sehr ernste und nachdenkenswerte Veranstaltung, die die beiden da machen, also sehr dem Grimme Preis gemäß.
DLF: Grimme Gold ist selten. Diesmal gab es Gold gleich zweimal. Vier Grimme Preise mit Gold auch für die NDR-Produktion 'Die Hoffnung stirbt zuletzt'. Was war an diesem Film, also Mobbing einer jungen Polizistin, auszeichnungswürdig? Polizistinnenboom haben wir ja wirklich in der letzten Zeit ziemlich stark.
Zschau: Ja, aber selten wurde die Gruppe der Polizisten so kritisch und böse gezeigt. Es herrschte eigentlich die Tradition, die Polizisten sind die Guten, sie sorgen für Gerechtigkeit und fassen die Bösen. Und in dem Falle ist das Böse in der Polizei selber. Es sind Alltagsbeobachtungen aus unserer Gegenwart, und das ist das Verblüffendste, was es überhaupt gibt bei diesem ganzen Grimme Preis, es gibt diesen Trend, Alltagsbeobachtungen über Durchschnittsmenschen, und zwar quer durch die Fernsehspiele, durch die Unterhaltung, wie aber auch durch die Dokumentarfilme. Immer wieder kommt dieses Thema zum Tragen, und das hat mich schon sehr verblüfft.
DLF: Heißt es eigentlich, dass die Jury diesen Trend zum Alltag neu entdeckt hat, oder dass es wirklich, was das Material selbst betrifft, was Sie angesehen haben, dies zeigt?
Zschau: Es waren die herausragenden Stücke, die sich mit dem Alltag beschäftigten, zum Beispiel die Schwarzwaldhaus-Serie vom SWR, wo eine Familie so lebt wie 1902 und damit ja auch diese tragikomischen Elemente produziert, genauso ein anderthalb Stunden, also in Kinolänge Film über drei Putzfrauen in Berlin - 'Der Glanz von Berlin' heißt dieser Film -; auch eine Alltagsbeobachtung an den kleinen Leuten mit ihrer Tragik, mit ihrer Komik, mit ihrem Leben, mit ihrem kleinen Heldentum im Alltag. Genauso trifft das zu für die Comedys von RTL, wofür die Produzentin Christiane Hofer einen Spezialpreis bekommen hat, Nicola, Ritas Welt und Ohne Worte. Auch da geht es darum. Also es ist schon sehr eigenartig, dass offenbar die großen Events, die großen historischen Ereignisse, die große Literatur, die großen Sensationen ganz runtergefahren sind, und plötzlich fängt man an, ganz leise zu beobachten, langsam zu beobachten, genau zu beobachten und den Alltag um sich herum zu entdecken, während im Augenblick ja die Welt genug Probleme produziert, die hart und schwer genug sind und das andere Programm ja von oben bis unten verstopfen.
DLF: Stichwort Probleme. Sie waren für die Jury, wie gesagt, für Information und Kultur. Es habe, hörte man vorher, einen Mangel in der Sparte Dokumentationen gegeben. Die kurzatmige Tagespolitik habe umfassende Reportagen verdrängt. Mangelte es denn diesmal an den gewohnten wissenschaftlichen Schadens- und Leidensmeldungen aus aller Welt?
Zschau: Überhaupt nicht. Also ich beneide niemanden, der in der Vorauswahlkommission für diesen Preis sitzt. Die müssen 500 Dokumentarfilme innerhalb von drei Wochen sichten, das heißt von morgens bis nachts ununterbrochen Dokumentarfilme sehen, und sie erleben da das blanke Elend der Welt, also da sind die Kriege, Verstümmelungen und Folterungen, Misshandlungen von Kindern und alles Elend dieser Welt. Was sie uns weitergereicht haben in die Jury selber, waren eben die herausragenden Stücke, und da ist plötzlich dieses ganze Elend weg, und es kommt dieses genaue Hingucken oder auch das Lächeln über die Skurrilität der Welt.
DLF: Diese Dinge kommen aber von den Öffentlich-Rechtlichen und weniger von den Kommerziellen?
Zschau: Praktisch ausschließlich. Es gab noch einen zweiten Preis für einen Privatsender, das ist Marcel Reif für seinen Kommentar zur Fußballweltmeisterschaft auf Premiere, sonst ausschließlich öffentlich-rechtlich, und da geht es immer noch um Qualität, und da muss man wiederum sagen, dass selbst das öffentlich-rechtliche Fernsehen in diesem Preis nichts wäre ohne ARTE, ohne 3Sat und ohne das kleine Fernsehspiel vom ZDF. Da finden die wirklich wunderbaren Dinge statt.
DLF: Vielen Dank für das Gespräch.
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