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Preisschild für die Army

Auch am Geschäft mit dem Krieg ist die Wirtschaftskrise nicht vorbeigegangen. Der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates fordert deutliche Einsparungen bei der Army. Für Kritiker bedeuten die geplanten Kürzungen den Ausverkauf der nationalen Sicherheit.

Von Katja Ridderbusch |
    Die Kultur des endlos verfügbaren Geldes müsse ersetzt werden durch eine Kultur der Maßhaltung. Das sagte der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates im August. Und fügte hinzu: Jede Initiative, jedes Programm in seinem Ressort werde in Zukunft ein Preisschild tragen.

    Nicht nur der amerikanische Sender CBS griff die Bekanntmachung von Verteidigungsminister Gates in den Abendnachrichten auf. Die neue Sparsamkeit sorgte für einiges Aufsehen und polarisierte Politik und Öffentlichkeit in den USA. Die einen lobten die weitsichtigen und mutigen Pläne des Verteidigungsministers. Die anderen fielen ihm in die Parade und raunten von unverantwortlichen Kürzungen: Die Verteidigungsfähigkeit der Supermacht Amerika sei in Gefahr; der Ausverkauf der nationalen Sicherheit habe begonnen. Was aber verbirgt sich tatsächlich hinter dem Reformvorhaben von Robert Gates?

    In den USA fordern die Wirtschaftskrise, steigende Staatsschulden und eine schleppende Konjunktur ihren Tribut – auch in der Militärpolitik. Außerdem verkaufen sich Mahnungen zur Maßhaltung besonders gut in Zeiten des Wahlkampfs: Anfang November stehen die Halbzeitwahlen zum US-Kongress an.

    Doch das Sparprogramm des Verteidigungsministers soll nicht politischer Spielball sein, sondern eine langfristige Neuorientierung einleiten: Gates will haushalten; er will in den kommenden fünf Jahren 100 Milliarden Dollar innerhalb des Militärbudgets einsparen - und die freiwerdenden Mittel zum Teil in eine Modernisierung der Truppe investieren. Seit dem 11. September 2001 hatte sich der Verteidigungshaushalt der USA fast verdoppelt. Vor allem bei der ausufernden Bürokratie will der Pentagon-Chef nun die Schere ansetzen.

    Der Verteidigungshaushalt der USA beträgt im ausgehenden Fiskaljahr 2010 664 Milliarden Dollar – einschließlich der Ausgaben für die Kriege im Irak und in Afghanistan. 664 Milliarden, das ist, in absoluten Zahlen, mehr als je zuvor in der amerikanischen Geschichte für Verteidigung ausgeben wurde.

    "Keine Frage, das amerikanische Verteidigungsbudget ist mit Abstand das größte der Welt, so groß wie die Verteidigungshaushalte der anderen großen Militärnationen zusammen",

    sagt Joseph Wood, Verteidigungsexperte beim "German Marshall Fund", einem Thinktank in der amerikanischen Hauptstadt Washington, D.C.

    Zum Vergleich: China, größte aufsteigende Militärmacht hinter den USA, veranschlagte im Fiskaljahr 2010 78 Milliarden Dollar für die Verteidigung, das sind gerade einmal zwölf Prozent des amerikanischen Etats; Großbritannien veranschlagte 70,2 Milliarden, Frankreich knapp 45 und Deutschland 43,4 Milliarden.

    Nach den Anschlägen vom 11. September war das politische Klima im Land derart aufgeheizt, dass ein massives Aufrüsten folgte. Es galt, dem "internationalen Terrorismus" die Stirn zu bieten, zwei Kriege, in Afghanistan und Irak, verschlangen rund eine Billion Dollar; die indirekten Kosten für Wiederaufbau und langfristige Versorgung der Invaliden nicht mitgerechnet.

    Private Söldnerfirmen boten ihre Dienste an; die Rüstungsindustrie boomte. Es entstand ein kafkaesker Apparat aus Geheimdiensten und Anti-Terror-Agenturen, innerhalb und außerhalb des Pentagon. Ein Apparat, der anschwoll, der sich verselbstständigte, und bei dem selbst die Verantwortlichen den Überblick verloren. So der Verteidigungsexperte Joe Wood:

    "Seit 9/11 ist es immer schwieriger geworden, die Finanzierung all der verschiedenen nachrichtendienstlichen Aktivitäten wirklich zu verfolgen. Die Bürokratie ufert aus, ohne dass tatsächlich mehr dabei herauskommt."

    Die amerikanische Tageszeitung "Washington Post" recherchierte zwei Jahre lang im Dickicht dieser geschlossenen Antiterror-Welt. Das Ergebnis: 1300 Regierungsorganisationen und 2000 private Sicherheitsfirmen sind mittlerweile für Amerikas Heimatschutz im Inland tätig. Eine enorm hohe Zahl.

    Schon Präsident Dwight D. Eisenhower, der große General des Zweiten Weltkriegs, hatte in seiner Abschiedsrede im Januar 1961 vor der drohenden Übermacht eines "militärisch-industriellen Komplexes" gewarnt – und die amerikanischen Bürger zur Wachsamkeit aufgefordert – nicht wissend um die Gegebenheiten heute:

    Das Zusammenspiel zwischen einem wachsenden Militärapparat und einer machtvollen Waffenindustrie, so fürchtete der damalige US-Präsident, könne den demokratischen Prozess der freien politischen Willensfindung in seinem Land gefährden. Eisenhowers Sorge hat sich zum Teil bewahrheitet: Das Pentagon ist zu einem bürokratischen Labyrinth geworden: 23.000 Mitarbeiter arbeiten heute im Nervenzentrum der amerikanischen Militärmacht. Und: Die US-Rüstungslobby gilt auf dem Kapitolshügel als ebenso einflussreich wie gefürchtet.

    Mit seinen Plänen zur Reform des militärischen Sektors verfolgt Verteidigungsminister Gates daher ein weiteres Ziel: Er will für mehr Transparanz sorgen. Als ersten Schritt will er den Trend, zentrale militärische Aufgaben nach außen zu vergeben, umkehren.

    Im Jahr 2001 waren 26 Prozent der Arbeitskräfte, die für das Pentagon im Einsatz waren, Angestellte von Privatfirmen. 2009 waren es bereits 39 Prozent. Und darin sind noch nicht die Unternehmen enthalten, die im Auftrag des Pentagon, des Außenministeriums oder des Geheimdienstes CIA im Irak und in Afghanistan tätig sind: Baufirmen, die Militärbasen errichten. Sicherheitsdienste, deren Angestellte als Bodyguards Diplomaten beschützen oder Checkpoints bewachen. Paramilitärische Einheiten, die in Sondermissionen unterwegs sind.

    Umstritten ist vor allem die Rolle von privaten Söldnerfirmen. Firmen wie "Blackwater" zum Beispiel, die inzwischen unter dem Namen Xe-Services auftritt. Deren Mitarbeiter gerieten erst im Irak, dann in Afghanistan immer wieder in die Kritik. Sie sollen außerhalb des Gesetzes operiert haben und in kriminelle Machenschaften verwickelt gewesen sein.

    "Ursprünglich sollten private Auftragsfirmen ausschließlich Aufgaben wahrnehmen, die nicht militärischer Natur sind, Aufgaben in den Bereichen Infrastruktur oder Logistik beispielsweise. Die Kontroverse über private Sicherheitsfirmen ist entsanden, weil diese oft die Grenzen zu den Bereichen überschritten haben, die als öffentliche, militärische Aufgaben gelten",

    sagt Militärexperte Joe Wood. Tatsächlich agieren die privaten Sicherheitsfirmen in einer völkerrechtlichen Grauzone. Zwar ist seit 2001 eine UN-Konvention gegen das Söldnerwesen in Kraft, die aber von den USA nie unterzeichnet wurde.

    Verteidigungsminister Gates will nun den wirtschaftlichen Hebel ansetzen: In den kommenden drei Jahren soll der Etat für Auftragsunternehmen um fast ein Drittel schrumpfen. Militärische Kernaufgaben sollen wieder ausschließlich von Soldaten, die der staatlichen Kontrolle unterstehen, wahrgenommen werden. Und was die Verwendung von Privatfirmen angeht, hat Gates sehr konkrete Vorstellungen:

    Kartoffen schälen oder Geschirr spülen zum Beispiel. Ich finde, so etwas sollten Privatfirmen machen. Wenn ich einen hoch spezialisierten Infanteristen habe, dann wäre es doch dumm, wenn ich ihn Kartoffeln schälen ließe. Es gibt eine Menge Aufgaben, die früher Soldaten erledigt haben und die heute Auftragsfirmen übernehmen sollten. Das ist, ehrlich gesagt, auch billiger.

    Der Effizienzgedanke leitet ihn auch in anderer Hinsicht. Gates hat der ausufernden Bürokratie im eigenen Haus den Kampf angesagt. Er will den Wasserkopf abbauen, die Verwaltung verschlanken, den Apparat aufbrechen.

    Immer mehr hochrangige Militärs und ziviles Führungspersonal tun immer mehr Dinge, die auch von Mitarbeitern mit niedrigerem Dienstgrad erledigt werden könnten. Da geht es oft mehr um die eigene Wichtigkeit, um Prestige, um Bürokratie um der Bürokratie willen als um die eigentlichen Aufgaben.

    Deshalb will Gates in den kommenden drei Jahren auch mindestens 200 Generals- und Admirals-Positionen sowie zivile Führungsposten abbauen, ferner viele Kommissionen, Beiräte und Beratungsagenturen schließen, die sich im Speckgürtel des Pentagon angesiedelt haben.

    Am meisten politischen Staub hat indes Gates' Ankündigung aufgewirbelt, das "Joint Forces Command" zu schließen, ein mittelgroßes Kommandozentrum in Norfolk im Bundesstaat Virginia. Knapp 6000 Arbeitsplätze, militärische wie zivile, stehen zur Disposition.

    Das "Joint Forces Command" wurde 1999 ins Leben gerufen, um die Zusammenarbeit der einzelnen Teilstreitkräfte – Heer, Luftwaffe, Marine und Marineinfanterie – zu fördern. Dieses Ziel sei heute erreicht, meint Verteidigungsexperte Joe Wood, der früher selbst für die Luftwaffe Kampfjets flog, der im Weißen Haus, im Pentagon und für die NASA arbeitete:

    "Ich finde, es ist eine gute Idee, das Joint Forces Command zu schließen. Schließlich haben die Teilstreitkräfte die Idee der vernetzten Operationen verinnerlicht, sie haben gelernt, in einem gemeinsamen Umfeld zu kämpfen."

    Die Schließung des Kommandozentrums ist noch Zukunft. Bereits eingeleitet wurde dagegen eine andere Sparmaßnahme. Im vergangenen Jahr hatte Verteidigungsminister Gates zum Unwillen der Rüstungsindustrie eine Reihe von Beschaffungsprogrammen zurückgeschraubt oder gekündigt: die Produktion des Jadgflugzeugs F-22 "Raptor" soll eingestellt werden, der Mehrzweck-Kampfjet F-35, "Joint Strike Fighter", muss auf ein Ersatztriebwerk verzichten; und die Bestellung von Transportern des Typs C-17 wurde gestoppt.

    330 Milliarden Dollar will das Pentagon damit langfristig einsparen. Keine geringe Summe. Postwendend reagierte denn auch der Rüstungsgigant Lockheed Martin und warnte davor, dass die Sparprogramme in der gesamten Branche 90.000 Jobs kosten könnten.

    Ein Trost für die angeblich so geschundenen Rüstungsfirmen: Es winkt – womöglich nicht ganz zufällig - ein lukrativer Waffendeal mit Saudi-Arabien. Danach sollen amerikanische Unternehmen, vor allem der Flugzeugbauer Boeing, in den nächsten Jahren Kampfjets und Hubschrauber im Wert von 60 Milliarden Dollar an das Wüstenreich verkaufen. Das bislang größte Rüstungsgeschäft in der Geschichte der USA. Der Rüstungsexperte Loren Thompson vom Lexington Institute, einem Thinktank in Washington:

    "Die amerikanische Rüstungsindustrie wird über diesen Deal jubeln. Weil die Nachfrage in die Heimat zurück geht."

    Die Verteidigungsfähigkeit des Landes hat in den USA wie anderswo höchste Priorität. Damit ist auch der Militärhaushalt selbst in den USA traditionell eine heilige Kuh. Sparpläne führen meist zu Grundsatzdebatten zwischen den politischen Lagern.

    Nachdem Verteidigungsminister Gates im August seine Reform öffentlich gemacht hatte, kam es infolge zu eilig einberufenen Sondersitzungen der Militärausschüsse von Senat und Repräsentantenhaus. Wider Erwarten stießen die Sparpläne des Pentagon auf verhaltene Reaktionen. Und das, trotz des immer heftiger ausgetragenen Wahlkampfes in den USA, bei dem sich das rechts-konservative Lager als wenig zimperlich erweist. Auch Vertreter der ansonsten eher rüstungsfreundlichen Republikaner hielten sich mit scharfer Kritik an den Reformplänen von Gates zurück.

    "Verteidigungsminister Gates versteht die harte wirtschaftliche und finanzielle Lage, in der sich unsere Nation befindet. Und ich unterstütze seine Bemühungen, alles zu tun, damit jeder einzelne Dollar des Steuerzahlers zählt",

    so John McCain, Senator von Arizona, Vietnam-Veteran und ehemaliger Präsidentschaftskandidat der Republikaner.

    Allerdings können wir es uns nicht leisten, unsere Verteidigungsfähigkeit aufs Spiel zu setzen. Deshalb müssen wir sicherstellen, dass unser Militärbudget robust bleibt.

    Weniger bedächtig äußerten sich dagegen Vertreter konservativer Thinktanks. Sie sehen Amerikas nationale Sicherheit in akuter Gefahr. Mackenzie Eaglen, Forscherin bei der erzkonservativen "Heritage Foundation", wettert gegen die Sparpläne der Obama-Regierung:

    "Noch nie zuvor hat eine Regierung so viele Militärprogramme gestrichen – und das in Kriegszeiten! Das ist gefährlich und destruktiv. Und ich fürchte, auch sehr kurzsichtig. Uns Konservativen kommt es vor, als ob der Präsident hier einseitig abrüstet. Das ist eine politische Kampagne, um in der Gegenwart zu punkten – wir aber spielen dabei mit unserer Zukunft."

    Auch der Historiker Robert Kagan warnte in der "New York Times" vor einer Kürzung des Militäretats.

    Es hat keinen wirtschaftlichen Sinn, das Verteidigungsbudget zu kürzen, wenn der allgemeine Trend dahin geht, die Konjunktur anzukurbeln. Gerade Rüstungsausgaben sind geeignet, die Wirtschaft direkt zu beeinflussen.

    Und auch strategisch sei eine Kappung des Verteidigungsbudgets das falsche Signal, meint Kagan:

    "Die Ankündigung von Budgetkürzungen würde die klare Botschaft an die Welt senden, dass Amerikas Rückzug begonnen hat. Und das dürfte es sehr viel schwieriger machen, die Alliierten zu mehr Engagement zu bewegen."

    Militärexperte Joe Wood mag diesem Argument nicht folgen.

    "Offen gesagt glaube ich nicht, dass Kürzungen in unserem Militärhaushalt bei den Entscheidungen der Alliierten für oder gegen mehr Engagement eine Rolle spielen. Vor allem die Europäer tun sich doch schon schwer genug damit, zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben."

    Außerdem verweist Militärexperte Joe Wood auf ein wichtiges Detail: Bei den Plänen von Verteidigungsminister Gates gehe es nicht primär um Kürzungen im Haushalt, sondern um eine Verlagerung der Ausgaben und eine Verschiebung der Priori-täten. So erklärt sich denn auch der Pentagon-Chef persönlich. Er wolle nicht Kosten einsparen.

    Sondern? Worum geht es dann?

    "Darum, die Kosten der Bürokratie zu reduzieren und die Einsparungen in eine Modernisierung der Truppe zu investieren."

    Was dann soviel hieße wie: Posten werden gestrichen, und das frei werdende Geld soll in das Militär der Zukunft fließen.

    So soll das amerikanische Militärbudget nach den Vorstellungen des Pentagon-Chefs durchaus weiter wachsen, allerdings eben nur noch um maximal zwei Prozent pro Jahr.
    Die düstere wirtschaftliche Lage und die zu erwartenden politischen Folgen hätten ihn zu seiner - wie sie offiziell heißt – "Effizienz-Initiative" - bewegt, sagt Gates.

    "Meine größte Sorge ist, dass in ökonomisch harten Zeiten die Politik das Verteidigungsbudget als den Ort ausmacht, an dem das Haushaltsproblem des Landes gelöst werden könnte."

    Tatsächlich hat Amerika ein gigantisches Haushaltsdefizit – allein 1,6 Billionen Dollar im laufenden Jahr. Die Staatsschulden sind mittlerweile auf 13,6 Billionen Dollar angewachsen.

    Verteidigungsminister Gates diente bereits unter Obamas Vorgänger George W. Bush - und kündigte für das kommende Jahr seinen Rückzug an. Mit seinem Effizienz-Programm wolle er nun sein Haus bestellen und auf kommende Einschnitte vorbereiten, meint Militärexperte Joe Wood.

    "Gates will sich und seine Nachfolger wappnen, wenn plötzlich die Ansage kommt: Das Pentagon muss sehr schnell Geld einsparen, Ende. Dann kann er sicher sein, dass die Kürzungen nicht blind und unüberlegt vorgenommen werden. Sein Plan weist jedenfalls in die richtige Richtung."

    Für das nächste Fiskaljahr dürfte der amerikanische Militärhaushalt allerdings erst einmal gesichert sein: Mit 708 Milliarden Dollar - 3,4 Prozent mehr als im Vorjahr – wird er eine neue Rekordhöhe erreichen.

    Also, alles wie gehabt? Das ehrgeizige Reformvorhaben von Verteidigungsminister Robert Gates nicht mehr als eine Mogelpackung? Eine bloße Umverteilung im Gewand des Bürokratieabbaus?